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US-Botschafter: Deutsche haben zu hohe Erwartungen in Obama gesetzt

Barack Obama habe viel vollbracht und sei deswegen in Deutschland nach wie vor sehr beliebt, sagt Philip D. Murphy, US-Botschafter in Deutschland. Dass viele nach den letzten politischen Ereignissen von ihm enttäuscht seien, liege daran, dass die Menschen zuviel von ihm erwartet hätten.

Philip D. Murphy im Gespräch mit Bettina Klein | 18.06.2013
    Bettina Klein: Für den US-Botschafter sind es die letzten Wochen hier in Deutschland; Anfang Juli kehrt er in die Vereinigten Staaten zurück. Pünktlich zum Besuch des amerikanischen Präsidenten steht nun auch fest, wer Philip Murphy im Haus am Pariser Platz beerben soll: John Emerson, ein bestens vernetzter Wahlkampfmanager, wird Botschafter. Er muss aber noch vom Senat bestätigt werden. Beim Besuch Obamas vor fünf Jahren in Berlin war die Stadt im Begeisterungstaumel. Wird das morgen irgendetwas Vergleichbares, irgendetwas, das mit dem Abend im Juli 2008 Ähnlichkeit hat? Das habe ich Botschafter Murphy gestern bei einem Besuch hier im Studio gefragt.

    Philip D. Murphy: Ich habe die Rede zusammen mit meiner Familie im Urlaub in Italien gesehen. Wir waren stolz als Amerikaner auf dieses besondere Ereignis. Es war auch für ihn eine herausragende Begegnung. Er will jetzt auch voller Erwartung wieder nach Deutschland zurückkehren. Ich glaube aber, dass es für ihn diesmal anders ist. Symbolisch kehrt er als Präsident zum ersten Mal nach Deutschland zurück. Er reiht sich ein in diese lange prägende Reihe von amerikanischen Präsidenten. Neben diesem hohen Symbolwert wird es auch ein Arbeitsbesuch sein. Die Deutschen fiebern dem Ereignis entgegen, genauso wie der Präsident auch.

    Klein: Einige in Deutschland sind jedoch enttäuscht, Menschen, die Barack Obama auf jeden Fall gewählt hätten. Haben Sie Verständnis dafür?

    Murphy: Nun, es ist doch herzerfreuend zu sehen, welch hohe Zustimmungswerte er in Deutschland hat. Sie liegen bei 70 oder noch mehr Prozent. Ich glaube, er wäre höchst erfreut, so hohe Zustimmungsraten Zuhause in den USA zu haben. Wenn er also Zustimmungswerte von 70 Prozent und mehr hat, dann bedeutet es, so viele Menschen werden von ihm schon nicht enttäuscht sein. Diejenigen, die aber enttäuscht sind, nun, das führe ich auf zwei Gründe zurück. Zunächst einmal: Manche haben zu hohe Erwartungen in diesen Mann gesetzt. So begabt, so herausragend er auch ist, für einen Menschen war das nicht zu erfüllen. Zweitens: Oft werden sie in dieses schreckliche, hakelige, politische Debattieren in den USA hineingezogen und sie übersehen dabei, dass er sehr viel geleistet hat. Ich glaube, wenn man sich seine Bilanz anschaut, wird man erkennen: Er hat viel vollbracht. Den Menschen wird das auch zum Bewusstsein kommen.

    Klein: Dann lassen Sie uns zwei Punkte herausnehmen. Das Lager in Guantanamo ist noch immer nicht geschlossen. Im Nahost-Konflikt gibt es auch nicht allzu viel Fortschritt. Stimmt das nicht?

    Murphy: Die Empörung über die Lage in Guantanamo kann ich verstehen. Der Präsident selbst wünscht auch die Schließung dieses Lagers, er hat es wiederholt gesagt, zuletzt vor drei oder vier Wochen. Benötigt wird hier die Hilfe anderer Länder. Deutschland hat geholfen, weitere Nationen sollen nun noch mitwirken. Auch die innenpolitische Lage muss in diese Richtung geführt werden. Es ist nicht alles so einfach, wie es am Anfang ausschauen mag. Dann muss man auch berücksichtigen, dass Obama das tut, was möglich ist. Im Nahen Osten haben wir sicherlich Hochs und Tiefs erlebt. Der einfache Weg von A nach B - wenn man dies erwartet, das wird notwendigerweise zu Enttäuschungen führen. Schauen Sie sich die Tragödie in Syrien an, die von Tag zu Tag schlimmer wird. Es gibt andere Stellen, wo man zu mehr Optimismus aufgrund von gelingenden Wahlen befugt ist. Insgesamt aber ein sehr schwieriges Umfeld. Die Schuld dafür kann man aber wahrlich nicht dem Präsidenten zuschreiben. Er hat eine schwierige Partie hier zu spielen. In dieser Gemengelage tut er, was er kann. Und wir dürfen nicht vergessen, dass vor unseren Augen sich echte Tragödien wie etwa in Syrien entfalten.

    Klein: Dann bleiben wir einen Moment bei Syrien. Wie nahe sind wir der nächsten Stufe, dem nächsten Schritt, sprich Waffenlieferungen an die Rebellen durch die USA oder wen auch immer?

    Murphy: Das weiß ich nicht. Ich weiß nur eines: Wir sind überzeugt, dass Assad gehen muss. Wir brauchen dann eine friedliche Übergangszeit, in der eine neue Regierung gebildet werden kann. Das Morden und die Tragödie müssen beendet werden. Wir als verbündete Kräfte in der Weltgemeinschaft müssen hier die Situation grundlegend ändern. Dabei brauchen wir auch Russland als einen entscheidenden Akteur, der zusammen mit uns an der Beendigung dieser Tragödie arbeitet.

    Klein: Wie bringen wir oder wie bringen die Vereinigten Staaten Russland an diesen Punkt?

    Murphy: Ich habe die Antwort nicht. Ich hätte sie gerne. Ich weiß nur: Außenminister Kerry und der russische Außenminister Lawrow hatten sich geeinigt, eine Syrien-Konferenz einzuberufen. Das schien ein gangbarer Weg in die richtige Richtung. Die Ereignisse seither haben dieses Ziel noch in weitere Ferne gerückt. Ich glaube immer noch, dass es uns gelingt, dieses Ziel zu erreichen, und ich hoffe vor allem auch, dass Russland hier auf bedeutsame und verantwortliche Weise einen Beitrag zur Lösung dieser Tragödie leistet.

    Klein: Viele Menschen hier und überhaupt in Europa sind aufgebracht wegen der Datensammlung und Internet-Überwachung durch amerikanische Behörden. Wir hören, das ist nötig, um Ihr Land oder auch jedes andere Land der Welt vor Terrorismus zu schützen. Sie werden dieses Argument in der öffentlichen Debatte hierzulande eher nicht finden. Meinen Sie, wir müssten da mehr Verständnis aufbringen für das, was die amerikanische Regierung da unternimmt?

    Murphy: Uns verbindet mit Deutschland eine sehr erfolgreiche Zusammenarbeit an diesen Themen. Unser Bestreben ist es, Schaden von unseren Bürgern fernzuhalten. Wir haben mit allen Bundesregierungen, aber besonders mit der jetzigen sehr gut zusammengearbeitet. Kein Zweifel kann daran bestehen. Dennoch ist es insbesondere seit dem 11. September schwieriger geworden, ein Gleichgewicht herzustellen zwischen den bürgerlichen Rechten, den Freiheiten, dem Schutz der Privatsphäre. All das liegt uns ja sehr am Herzen. Das ist ja auch eingeschrieben in unsere Grundsatzerklärung, die "Bill of Rights". Das gilt doch auch hier in Deutschland einerseits, und andererseits das Fernhalten, die Sicherheit unserer Bürger. Diese beiden hohen Ideale zu erreichen, verlangt ständiges Nachjustieren, und wir müssen beharrlich daran weiterarbeiten, Achtung für die Bürgerrechte und Schutz der Privatsphäre einerseits, andererseits aber Schutz und Sicherheit für die Bürger. Das muss jeden Tag in unserem Aufgabenheft stehen.

    Klein: War es richtig, dass Edward Snowden mit diesen Informationen an die Öffentlichkeit gegangen ist? Für viele in Deutschland ist er ein Held. Stimmen Sie da zu?

    Murphy: Nein, das sehe ich nicht so. Selbstverständlich gilt auch hier die Unschuldsvermutung. Wenn sich aber die Vorwürfe gegen ihn bewahrheiten sollten, dann hat er die Welt nicht sicherer, sondern unsicherer gemacht. Diese Geheimhaltung von Dokumenten erfolgt nie ohne Grund. Wir haben in den USA, wie wir glauben, die transparenteste Möglichkeit der Offenlegung bei Dokumenten. Nur für eine bestimmte Zeit gilt die Pflicht zur Geheimhaltung, um Schaden von Bürgern abzuwenden. Wir als Amerikaner und auch andere Staaten müssen hier zusammenwirken, dass Dinge geheim bleiben, die, wenn sie öffentlich bekannt würden, Schaden für andere in unseren Ländern erzeugen würden.

    Klein: Wenn die Leute hier sagen, das mag alles rechtmäßig sein im Sinne amerikanischer Gesetze, aber es entspricht vielleicht nicht deutschem oder europäischem Recht, würden Sie zustimmen, dass sichergestellt sein muss, dass das auch mit unserem Recht hier vereinbar sein muss, wenn so viele Daten gesammelt und das Internet in einem gewissen Sinne überwacht wird?

    Murphy: Zweierlei würde ich dazu sagen. Erstens: Wir versuchen, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen. Nicht immer gelingt uns das. Aber es ist unser Ziel - Punkt. Zweitens: Gegenüber unseren Verbündeten halten wir uns an die Regeln. Ich weiß, wie sehr das Thema Datensicherheit den Deutschen am Herzen liegt, insbesondere nach den Schrecknissen des letzten Krieges und auch im Zusammenhang mit den Stasi-Verwicklungen. Nach den vier Jahren, die ich in Deutschland verbracht habe, weiß ich, wie wichtig das ist. Aber für uns ist es ebenfalls sehr wichtig und wir halten uns an die Regeln.

    Klein: Herr Botschafter, das ist vermutlich Ihr letzter Besuch in diesem Amt hier im Deutschlandfunk. Sie werden Deutschland verlassen. Gibt es etwas, auf das Sie wirklich stolz sind, auf das, was Sie erreicht haben in den vergangenen vier Jahren hier als Botschafter?

    Murphy: Nun, ich habe erfahren, das ist schon mein 52., leider auch mein letzter offizieller Besuch in NRW. Die letzten vier Jahre haben mir gezeigt, Deutschland ist eine echte Bundesrepublik, und ich habe das Tag um Tag leibhaftig erfahren. Ich habe erst kürzlich wieder eine öffentliche Diskussion mit Schülern aus vier Bonner Gymnasien gehabt. Mir liegt das so am Herzen, dass ich diese Möglichkeit habe, mit den jungen Menschen zu sprechen, ihnen etwas zu vermitteln von Amerika, von uns Amerikanern, einschließlich dessen, dass wir nicht vollkommen sind. Aber ich glaube, wenn die jungen Leute dann mal mein Alter erreicht haben, werden sie etwas mitgenommen haben über das, was Amerika ausmacht, und darauf bin ich am meisten stolz.


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