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US-Demokraten
"Clinton nimmt eine große Last mit in den Wahlkampf"

Die US-Demokraten haben Hillary Clinton offiziell als ihre Präsidentschaftskandidatin nominiert. Mit der Lobrede auf seine Frau habe ihr Ehemann Bill Clinton Eindruck auf die Wähler gemacht, sagte Rüdiger Lentz, Leiter des Aspen Institute Deutschland, im DLF. Dennoch habe Hillary Clinton weiter Probleme, weil sie als wenig glaubwürdig gelte.

Rüdiger Lentz im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 27.07.2016
    Die demokratische Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton bei einer Rede.
    Hillary Clinton will die erste US-Präsidentin werden. (AFP / John Gurzinski)
    Lentz sagte, Clintons Chancen "sind sicherlich letzte Nacht gestiegen wegen der Liebeserklärung ihres Mannes." Das habe sicherlich Eindruck auf die Wähler gemacht, denn Bill Clinton genieße weiter hohes Ansehen. Seiner Ansicht nach bleiben bei der Präsidentschaftskandidatin aber Probleme der mit der Glaubwürdigkeit und Authentizität. "Selbst eigene Parteigänger haben sie öffentlich als Lügnerin bezeichnet."
    Ihr republikanischer Konkurrent Donald Trump werde versuchen, das für sich auszunutzen. Lentz betonte: "Die Wahl ist außerordentlich offen." Seine Hoffnung sei, dass Clinton gewinne.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk-Oliver Heckmann: Hillary Clinton gegen Donald Trump, das ist die Auseinandersetzung, auf die es in den kommenden Monaten hinausläuft. Trump war ja auf einem chaotisch verlaufenden Parteitag in Cleveland auf den Schild gehoben worden. Jetzt zogen die Demokraten nach. Sie nominierten in Philadelphia Hillary Clinton, wie gerade schon gehört. Darüber können wir jetzt sprechen mit Rüdiger Lentz, Direktor des Aspen Instituts in Berlin, langjähriger Korrespondent der Deutschen Welle in den USA. Guten Morgen, Herr Lentz!
    Rüdiger Lentz: Guten Morgen, Herr Heckmann.
    Heckmann: Ist das ein historischer Tag, den wir da heute erleben?
    "Ein historischer Tag"
    Lentz: In jedem Fall ist das ein historischer Tag, denn zum ersten Mal tritt eine Frau, die von einer großen Partei nominiert worden ist, als Präsidentschaftskandidatin an und sie hat sehr gute Chancen. Die Chancen sind sicherlich letzte Nacht gestiegen, auch durch die Liebeserklärung ihres Mannes. Manche Kommentatoren sagen schon, das erste Mal, dass Bill Clinton mehr über eine andere Person als über sich selbst geredet hat. Aber das hat sicherlich auch seinen Eindruck auf die Wähler nicht verfehlt, denn Bill Clinton genießt nach wie vor außerordentlich hohes Ansehen, und das tut einer Kandidatin gut, die ja nicht nur unumstritten in ihrer eigenen Partei ist, sondern auch in der Öffentlichkeit nach wie vor sehr hohe negative Popularitätswerte einfährt.
    Heckmann: Eigentlich sollte der Parteitag der Demokraten ja geräuschloser ablaufen als das Chaostreffen der Republikaner. Ist das am Ende gelungen aus Ihrer Sicht? Es gab ja auch Proteste.
    Lentz: Es gab Proteste, es gab Proteste bis zuletzt. Es sind auch Anhänger von Bernie Sanders nach der Nominierung von Hillary Clinton ausgezogen und haben sich außerhalb der Halle zum Protest getroffen. Das alles wirft auch Schatten und vor allen Dingen darf man nicht vergessen, dass ja aufgrund dieser Mail-Kampagne, die veröffentlicht worden ist, auch ein Schatten auf Hillary Clinton und ihren Stab fällt, die möglicherweise in den Vorwahlen mit dazu beigetragen haben, durch Wahlfälschung Bernie Sanders, ihrem ärgsten Konkurrenten zu schaden. Woher auch immer diese Informationen stammen oder wer sie in die Öffentlichkeit gebracht hat, es bleiben hier auch nachhaltige Schäden, die sicherlich auch von der republikanischen Partei in dem jetzt beginnenden und sicherlich schmutzigen und harten Wahlkampf ausgenutzt werden.
    Heckmann: Und da sagen die Demokraten, da könnte Moskau hinter stehen, hinter diesen Veröffentlichungen. - Es geht ja darum, dass die Parteispitze den Konkurrenten von Hillary Clinton, Bernie Sanders, systematisch benachteiligt haben soll. Sie denken, das könnte weiterhin eine Belastung bleiben für Hillary Clinton im Konflikt mit Donald Trump?
    "Problem der Glaubwürdigkeit und Authentizität"
    Lentz: Das genau ist ihr Problem: Das Problem nämlich der Glaubwürdigkeit und der Authentizität und dass man ihr solche Dinge unterstellt. Selbst eigene Parteigänger haben sie immer wieder auch öffentlich als Lügnerin bezeichnet. Hillary Clinton nimmt eine große Baggage, eine große Last mit sich in den Wahlkampf, weil sie eine lange Geschichte erstens als aktive Politikerin hat, zweitens als auch eine, die mit ihrem Mann sehr früh einmal in einen Immobilienskandal verwickelt worden war. Das alles wird wieder hochkochen. Sie ist eine Frau, die einerseits in der Öffentlichkeit Ansehen genießt durch ihre hohe Professionalität, die ihr niemand abstreitet, andererseits aber, was Charakter und die Frage auch von Glaubwürdigkeit angeht, ein Problem hat, und dieses Problem wird sicherlich auch von der Gegenseite her massiv ausgeschlachtet werden.
    Heckmann: Herr Lentz, 13 Millionen Amerikaner haben ja bei den Vorwahlen für Bernie Sanders gestimmt. Jetzt geht es darum, diese Anhänger natürlich auf die Seite von Hillary Clinton zu ziehen. Aber viele Anhänger haben jetzt auch gesagt, gerade nach der E-Mail-Affäre, unsere Stimme bekommt Hillary Clinton nicht. Sie haben es gerade dargestellt. Auch auf dem Parteitag gab es bis zuletzt Proteste. Könnte das am Ende ausschlaggebend sein beim Rennen mit Donald Trump?
    Lentz: Sicherlich! Das ist einer der Faktoren, die man inzwischen einkalkulieren muss. In welchem Prozentsatz und wie weit das ausschlaggebend sein kann, weiß man nicht. Aber es ist durchaus möglich, dass ein Teil der Anhänger von Bernie Sanders, der selbst ja seinen Anhängern empfohlen hat, jetzt sich hinter Hillary Clinton zu einigen, dem nicht folgt. Es gibt auch eine Kandidatin, über die wenig geredet wird, nämlich die Präsidentschaftskandidatin der Grünen, Jill Stein, die durchaus damit rechnet, dass auch ein Teil der Anhänger von Bernie Sanders überläuft und sie unterstützt.
    Es gibt auch die Überlegung, dass möglicherweise ein Teil der Anhänger zuhause bleibt und nicht wählt. Wie die Gruppe von Bernie Sanders sich verhalten wird, das wissen wir heute nicht, aber dass es einer der Faktoren ist, der auch gegen Clinton sich möglicherweise dann auswirken kann, ist unbestritten.
    Heckmann: Sie haben gerade gesagt, Herr Lentz, Hillary Clinton hätte gute Chancen. Jüngste Umfragen sehen allerdings Donald Trump erstmals vor Clinton. Ist das für Sie eine reine Momentaufnahme, oder drückt sich da möglicherweise sogar doch ein Trend aus?
    Lentz: Hier gibt es ein Momentum seit einigen Wochen und Monaten, dass es Trump wirklich geschafft hat, alle Unzufriedenen, die gegen das System, gegen Wall Street, gegen Jobverluste, gegen Globalisierung sind, diese Angst zu bündeln und sie für sich zu instrumentalisieren. Insofern ist die Wahl außerordentlich offen. Ich war bis vor zehn Tagen in den USA und viele meiner demokratischen Freunde haben die ernste Besorgnis, dass Trump tatsächlich der nächste Präsident werden könnte, und dann nicht nur Präsident würde, sondern möglicherweise auch mit einem republikanischen Haus und einem republikanischen Senat regieren könnte.
    Trump sei "wie der Rattenfänger von Hameln"
    Heckmann: Die "Washington Post" hat dieser Tage ja ganz klar Position bezogen mit der Überschrift "Trump ist eine Gefahr für Amerika". Sehen Sie das auch so und denken Sie, dass Trump-Anhänger dadurch zum Nachdenken angeregt werden?
    Lentz: Das Problem ist, dass die Beschreibung der "Washington Post" sicherlich richtig ist. Trump fehlt jede außenpolitische Erfahrung. Ihm fehlt jede Erfahrung in der Administration von öffentlichen Einrichtungen oder eines Staates. Ihm fehlt alles das, was klassische Politik in Amerika bisher ausgemacht hat. Aber sein fast brutales Auftreten, das Engagement für den kleinen zornigen Mann, für die kleinen Leute haben ihn bisher sehr weit gebracht, und obwohl ihn sehr, sehr viele für unqualifiziert für dieses Amt halten, ja sogar für eine Gefahr - und ich würde mich dem anschließen -, hat er eine zunehmend wachsende Wählerschaft von den Leuten, die sich gegen das Establishment wenden, die die Globalisierung fürchten, die um ihre Jobs fürchten, denn er verspricht für sehr komplexe Probleme sehr einfache Lösungen zu finden. Er ist wie der Rattenfänger von Hameln einer, hinter dem die Leute hinterherlaufen, weil er ihnen das Blaue vom Himmel herunter verspricht, aber das ist eine Politik, die zurzeit offensichtlich in großen Teilen der USA ankommt. Und denken wir an unser eigenes Land: Populismus feiert zurzeit fröhliche Urständ.
    Heckmann: Ja, in Deutschland, aber auch in den USA. Dort gibt es offenbar viele zornige Menschen, sehr viele zornige Menschen, die auf Trump abfahren. Ich kann Sie nicht mit der Frage unbehelligt lassen: Wie geht das Ganze aus Ihrer Sicht aus?
    "Sicher ist, dass man diese Wahl nicht prognostizieren kann"
    Lentz: Hier muss ich jetzt sagen, meine Hoffnung ist, dass Clinton gewinnt, auch wenn ich durchaus der Meinung bin, dass sie viele Probleme mit sich in das Amt bringen wird. Aber sie verfügt über eine sehr professionelle Mannschaft. Sie verfügt über ein gutes Team und insofern denke ich, das wäre die richtige Präsidentin. Auszuschließen ist es nicht, dass Trump Präsident wird. Ich würde sagen, die Chancen sind vielleicht unkalkulierbar, aber sie sind zumindest höher geworden in den letzten Wochen.
    Und wenn eines sicher ist, dann ist es, dass man diese Wahl nicht prognostizieren kann, weil es zu viele unbekannte Größen bei dieser Wahl gibt, die möglicherweise auch dadurch bestimmt wird, dass in den Swing States die beiden anderen Kandidaten der Libertarian Party und der Grünen zwar wenige Promillepunkte auf sich vereinen, aber dadurch einen der anderen Kandidaten in das Präsidentenamt befördern. Eine sehr komplexe Gemengelage, bei der es heute, glaube ich, unmöglich ist, klare Vorhersagen zu treffen. Nur wir müssen uns langsam darauf einrichten, dass es nicht ausgeschlossen ist, dass der nächste Präsident der USA Donald Trump heißt.
    Heckmann: Das verspricht, noch sehr spannend zu werden und zu bleiben. Der Direktor des Aspen Instituts in Berlin, Rüdiger Lentz war das. Herr Lentz, danke Ihnen für Ihre Zeit.
    Lentz: Danke, Herr Heckmann.
    Heckmann: Schönen Tag noch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.