Dienstag, 23. April 2024

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US-Diplomatie
"Israel führt die Amerikaner vor"

Der Politikwissenschaftler Christian Hacke hält die US-Diplomatie im Nahen Osten für gescheitert. Die USA hätten weder die Mittel noch die Fähigkeiten, um im Konflikt zu vermitteln, sagte er im DLF. US-Außenminister John Kerry wirke desorientiert und agiere realitätsfremd.

Christian Hacke im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 30.07.2014
    Tobias Armbrüster: Wir bleiben beim Thema Nahost. Dieser Krieg im Gazastreifen, der dauert schon über drei Wochen an, es ist bereits jetzt der längste israelische Militäreinsatz seit fast einem Jahrzehnt. Die Friedensbemühungen von internationaler Seite, die gibt es auch, aber wir haben es gehört, sie sind bislang alle gescheitert. Es ist vor allem die amerikanische Diplomatie, die zurzeit vor die Wand fährt - wir haben das in den vergangenen Tagen erlebt. In israelischen Medien wurden jetzt Einzelheiten eines Telefonats zwischen Präsident Obama und Ministerpräsident Netanjahu bekannt, und das ist eine durchaus pikante Geschichte.
    Am Telefon ist jetzt der Bonner Politikwissenschaftler Christian Hacke. Er ist ein guter Kenner der internationalen Politik, vor allem der amerikanischen Außenpolitik. Schönen guten Tag, Herr Hacke!
    Christian Hacke: Seien Sie gegrüßt, Herr Armbrüster!
    "Es fehlt eine gewisse Geschmeidigkeit"
    Armbrüster: Herr Hacke, wir reden bei den USA ja immer noch über eine Weltmacht - warum lässt sich diese Weltmacht in Israel derzeit so vorführen?
    Hacke: Ja, ich glaube, das kam eben ja auch in dem Gespräch heraus. Die Amerikaner waren eigentlich selten oder fast gar nicht erfolgreich, wenn sie direkt versuchten, Israel konfrontativ in einer existenziellen Frage von ihrem Kurs abzubringen. Das hat in der Vergangenheit nicht funktioniert, und das funktioniert jetzt noch viel weniger. Und hier fehlt natürlich die gewisse Geschmeidigkeit, zeigt aber auf amerikanischer Seite - hier haben wir auch einen gewissen Niedergang amerikanischer Diplomatie festzustellen im Nahen Osten -, sie haben nicht mehr die Mittel, sie haben nicht mehr die Fähigkeiten. Dieser Außenminister wirkt auch in vielerlei Hinsicht desorientiert, zum Teil auch anmaßend, auch in dieser Forderung gegenüber Netanjahu, so richtig sie im Kern sein mag. Also hier sind viele Ungeschicklichkeiten, und ich glaube, auf amerikanischer Seite sehen wir mit Blick auf diesen Konflikt nur hochtourigen Leerlauf und nichts weiter, und deshalb sind jetzt andere Vermittler gefragt, wie zum Beispiel in Ägypten.
    Armbrüster: Lassen Sie uns noch kurz bei den Amerikanern bleiben: Wie außergewöhnlich ist das denn, dass eine Abschrift aus so einem Telefonat zwischen dem US-Präsidenten und dem israelischen Ministerpräsidenten an die Öffentlichkeit in allen Zeitungen gelangt?
    Hacke: Ja, das ist natürlich eine Entwicklung der modernen Welt, hätte ich beinahe salopp gesagt, und der modernen Kommunikation. Das haben wir in allen Bereichen jetzt. Nehmen Sie die Veröffentlichung in Polen über den polnischen Außenminister, nehmen wir alles, was wir jetzt in den letzten anderthalb Jahren über die Geheimdienste in Amerika und anderswo gehört haben. Heute ist offensichtlich kein Diplomat mehr sicher, wenn er mit einem anderen spricht, dass das Geheimnis gewahrt bleibt. Und wenn das auffliegt, ist das natürlich eine dramatische Einbuße, weil damit verschiedene Personen und Pläne desavouiert werden.
    "Abdankung als Ordnungsmacht"
    Armbrüster: Herr Hacke, wir lesen jetzt immer wieder, dass vor allem der amerikanische Außenminister John Kerry zurzeit eine schlechte Figur abgibt. Woran liegt das?
    Hacke: Also das liegt zum einen, denke ich, schon in seiner Person, obwohl er sich zwei Jahre lang ja nun bald schon in einer Shuttle-Diplomatie abmüht und immer hin und her reist und bisher nichts erreicht hat. Die Verschiebungen sind natürlich auch zurückzuführen auf einen amerikanischen Präsidenten, der an einer Regelung der Nahostproblematik relativ wenig Interesse zeigt. Und drittens, das ist das Entscheidende: Die Amerikaner haben nicht mehr die strukturellen, die materiellen Fähigkeiten, im Nahen Osten als Ordnungsmacht aufzutreten, das muss man ganz klar sehen. Und diese Abdankung als Ordnungsmacht ist das zentrale Moment, und deshalb spielen nun auch eben Mächte wie Israel, die früher auch zum Teil durch die USA gebunden werden konnten, die spielen mit den USA Katz und Maus. Also wir haben in den amerikanischen-israelischen Beziehungen jetzt genau das Phänomen, was wir auch schon seit Jahren kennen: Der Schwanz wackelt mit dem Hund. Das heißt also, Israel führt die Amerikaner, also John Kerry vor.
    Armbrüster: Also sind es die Israelis, die dieses Bild eines lächerlichen US-Außenpolitikers, eines US-Außenministers verbreiten?
    Hacke: Nicht nur das - das verbreiten sie zum Teil, aber es kommt hinzu, dass Kerry zu stark und zu einseitig und zu deutlich Hamas-Positionen befürwortet hat, in der Folge dann natürlich Netanjahu sich nicht auf eine Stufe mit Hamas stellen lassen will und daraus auch die Absage an den sogenannten Kerry-Plan. Ich meine, ein amerikanischer Außenminister, der am Wochenende auftritt und sagt, dass er praktisch in den nächsten Tagen dafür sorgt, dass ab Beginn der Woche Waffenruhe herrscht - also man kann nicht realitätsfremder die Dinge betrachten. Und deshalb kam auch aus Israel die Kritik, Kerry verhalte sich wie ein Außerirdischer, der mit seinem Raumschiff im Nahen Ost gelandet ist. Und dieser Eindruck verstärkt sich zunehmend.
    "Amerikanische Öffentlichkeit ist desinteressiert"
    Armbrüster: Herr Hacke, ganz kurz noch zum Schluss: Wie kommt das alles in der amerikanischen Öffentlichkeit an?
    Hacke: Die amerikanische Öffentlichkeit ist an diesen Dingen desinteressierter denn je. Wir haben natürlich nur die Kritik der Republikaner an der amerikanischen Nahostpolitik. Und McCain ist einer, der nun ganz besonders hier deutlich das Auftreten von Kerry kritisiert - die Republikaner natürlich traditionell stärker auch pro Israel orientiert und traditionell die Demokraten, jetzt die Regierung Obama, stärker Palästinenser-freundlich orientiert, Höhepunkt war damals unter Präsident Jimmy Carter. Da sind natürlich auch die inneren Gegensätze, und wir sehen eben auch, dass die Israellobby in den USA auch eine Bedeutung hat, die man nicht unterschätzen darf.
    Armbrüster: Ja. Vielen Dank, Professor Christian Hacke! Herr Hacke, ich musste Sie hier etwas unterbrechen, weil wir noch ein wichtiges Thema in der Sendung haben, aber besten Dank für Ihre Einschätzungen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.