Dienstag, 19. März 2024

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US-Folkrockerin Aimee Mann
Melancholisch, akustisch und politisch

Ihre bekannteste und leider nur beinahe oscargekrönte Arbeit, der Soundtrack zu "Magnolia", liegt schon einige Zeit zurück. Ihre Ausdrucksstärke hat Aimee Mann aber bis heute nicht verloren, wie das neue Album beweist.

Von Christiane Rebmann | 25.03.2017
    Aimee Mann auf einem Schwarz-Weiss-Foto in nachdenklicher Pose
    Aimee Mann (Picture Alliance / Oktober Promotion / Sheryl Nields )
    Gegen Phil Collins kommt man nicht an. Diese Erfahrung machte Aimee Mann, als sie im Jahr 2000 mit dem Song "Save Me” aus dem Film "Magnolia" das Rennen um den Oscar für den besten Soundtrack verlor. Die schlanke, blonde Musikerin hat nicht aufgegeben und weiter Platten aufgenommen.
    Auf ihrem neunten Werk "Mental Illness” lässt sie den Folk-Rock und -Pop der 70er Jahre aufleben. Die Überraschung: Neben akustischer Gitarre plus ein wenig Twelve-string und Klavier gibt es auf dem neuen Album auch Streicher zu hören. Verantwortlich dafür ist ihr Produzent Paul Ryan.
    Aimee Mann: "Er schrieb diese schönen Arrangements, die auch noch von Song zu Song sehr unterschiedlich klingen. Das machte die Sache interessant, weil wirklich jedes Lied anders klingt."
    Zwischenmenschliches aus dem Freundeskreis
    Der Titel "Mental Illness" fasst zusammen, womit sich die 56-Jährige hier beschäftigt: Mit Zwischenmenschlichem, mit einfach nur schwierigen oder auch dysfunktionalen Beziehungen. Die Künstlerin, die seit Jahren glücklich mit ihrem Musiker-Ehemann Michael Penn zusammenlebt, hat eine Reihe von Geschichten aus ihrem Freundeskreis zusammengetragen.
    "In einigen der Songs geht es um einen Bekannten, der sich als Soziopath mit einer bipolaren Störung herausstellte - und als pathologischer Lügner. Wir alle, die wir ihn kannten, brauchten lange, um all diese verrückten Lügen aufzudecken, die er uns erzählt hatte."
    Die Betroffene war eine gute Freundin, die sich mit diesem Mann eingelassen hatte.
    "Sie wollten heiraten. Und deshalb zog sie ans andere Ende des Landes, um bei ihm zu sein. Sie checkte in ein Hotel ein und wartete auf den Typen. Aber er kam nie. Sie hat ihn dann irgendwann an einem ganz anderen Ort aufgetrieben. Aber sie hat nie herausgefunden, welches Spiel er da mit ihr gespielt hatte. Wir fragten uns: Ist dieser Typ psychisch krank? Oder ist er einfach nur richtig böse?"
    "Du stellst dein ganzes Wissen über diese Person in Frage"
    "In 'Lies of Summer' geht es darum, dass du erkennst, dass dich jemand anlügt. Du siehst auf die gemeinsame Geschichte zurück, und plötzlich machen viele dieser merkwürdigen Ereignisse, über die du dich immer gewundert hattest, Sinn. Und bei anderen Dingen sagst du: 'Ich kann nicht glauben, dass das eine Lüge ist!' Du stellst dein ganzes Wissen über diese Person in Frage."
    Lügen sind ja auch gerade in der Politik ein wichtiges Thema, sagt die US-Musikerin, die sich vor der Präsidentschaftswahl letztes Jahr als erste an dem "30 days, 30 songs" Projekt gegen Donald Trump beteiligte. Dass der Protest gegen das eigenwillige Wahrheitsverständnis des neuen Regierungschefs nicht stärker ist, hat auch mit der Fernsehkultur ihres Landes zu tun, meint sie:
    "Die Menschen bei uns haben so viele Reality-TV-Shows gesehen, dass sie sich an so etwas gewöhnt haben. Jeder, der im Entertainment-Business arbeitet, weiß, dass das alles Illusion ist. Aber man muss auch bedenken, welche Auswirkungen diese Sendungen auf das Gehirn haben. Man wird sehr leicht von ihnen davongetragen. Das Fernsehen gibt auch unwichtigen Dingen einen Rahmen und lässt sie dadurch wichtig aussehen."
    "Die verrückte Welt der Filmstudios"
    "Patient Zero" ist eine typische Geschichte über jemanden, der nach Hollywood zieht und von der Oberflächlichkeit und Verlogenheit der Gesellschaft dort schockiert ist, erklärt Mann.
    "Ich wurde durch Bücher wie 'Tag der Heuschrecke' von Nathaniel West inspiriert und von Raymond Chandlers Romanen über Los Angeles. Ich hatte auf einer Party den Schauspieler Andrew Garfield getroffen, den ich für einen sehr guten Schauspieler halte. Das war vor den 'Spiderman'-Filmen. Er war gerade nach Hollywood gezogen und war überwältigt von der verrückten Welt der Filmstudios und wie alle mit dem Geld um sich warfen. Ich machte mir, ehrlich gesagt, ein wenig Sorgen um ihn. Deshalb schrieb ich diesen Song."
    "Eine Katze namens Gans"
    In "Goose Snow Cone" singt sie über jemanden, der seine verletzten Gefühle versteckt. Der Titel bezieht sich gleichzeitig auf das von Andrea Dezsö gemalte Cover, auf dem ein weißes, schneeflauschiges Fabelwesen sehr wach zwischen stilisierten Bäumen hervorguckt.

    "Das klingt ein wenig albern, aber Freunde von mir haben eine Katze namens Goose, also Gans. Sie stellen dauernd Fotos von ihr auf Instagram. Und diese Katze starrt immer mit einem sehr intensiven Blick in die Kamera. Irgendwann fing ich an, sie richtig zu mögen. Als ich dann durch Irland tourte, geriet ich dort in eiskaltes Schneewetter. Ich hatte Heimweh und fühlte mich einsam. Da guckte ich mir wieder die Fotos von der Katze mit ihrem kleinen weißen Gesicht an. Es sah aus wie aus Schnee."
    Das eigentlich kitschige Glockengebimmel, das sich durch den Song zieht, unterstreicht die Ambivalenz der Stimmung.
    "Ich wollte, dass das wie Schlittenglöckchen klingt. Das hilft, diese besondere Atmosphäre zu schaffen, in der Du dich fühlst wie mitten in einem Schneesturm."
    Mit "Mental Illness" beweist Aimee Mann, dass sie immer noch wunderbar anrührende Melodien schreiben kann. Die zurückhaltenden Streichereinlagen heben diese Qualität noch hervor. Sie bilden einen reizvollen Kontrast zu Aimees Stimme und ihrem Gesang, der oft angenehm-lakonisch klingt. Das passt auch gut zum Thema der Songs.