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US-Gesundheitswesen
Von Obamacare zu Trumpcare

Alle US-Bürger sollten krankenversichert werden - diese Vision von US-Präsident Barack Obama wurde 2010 in einer Gesundheitsreform, der sogenannten Obamacare, umgesetzt. Nach dem Wahlsieg der Republikaner stellt sich nun die Frage: Was wird von dem Gesetzespaket übrig bleiben? Schließlich hatte Donald Trump im Wahlkampf versprochen, die Reform zu annullieren.

Von Katja Ridderbusch | 26.11.2016
    Gips am Arm mit der Aufschrift: "I love Obamacare"
    Mehr als 20 Millionen Amerikaner haben mittlerweile eine Krankenversicherung über Obamacare. Werden sie bald die Notaufnahmen fluten - unversichert, unbehandelt, abgeschoben? (AFP)
    "Real change begins with repealing and replacing Obamacare."
    Er werde Obamacare rückgängig machen und ersetzen, polterte der Wahlkämpfer Donald Trump. Als Präsident wird er nun die Chance haben, seinen Plan umzusetzen und die Gesundheitsreform, das wohl wichtigste Projekte seines Amtsvorgängers Barack Obama, zu kippen.
    Mehr als 20 Millionen Amerikaner haben mittlerweile eine Krankenversicherung über Obamacare. Werden sie bald die Notaufnahmen fluten - unversichert, unbehandelt, abgeschoben? Wohl kaum, meint Dr. Alan Kozarsky.
    "I don't think anyone needs to panic. I'm personally not expecting much change." Niemand müsse in Panik verfallen, sagt Kozarsky, niedergelassener Augenarzt in Atlanta im Bundesstaat Georgia. Auch erwartet er keine dramatischen Veränderungen in seinem Praxisalltag.
    Trump will wahrscheinlich zwei Grundpfeiler der Reform erhalten
    David Howard sieht das ähnlich. Der Gesundheitsökonom an der Emory-Universität in Atlanta ist davon überzeugt: Schon aus strategischen Gründen sei die Trump-Administration gut beraten, das Gesetzespaket nicht komplett zu sprengen.
    "I don't think Republicans want to see news reports of cancer patients being denied care, because they were kicked off their insurance."
    Die Republikaner hätten kein Interesse an Medienberichten über Krebspatienten, denen man die Behandlung verweigert, weil die Versicherung ihnen gekündigt hat.
    Und tatsächlich: Wenige Tage nach der Wahl begann Donald Trump bereits, ein wenig zurück zu rudern. Er kündigte an, zwei der Grundpfeiler des Gesetzes erhalten zu wollen. Zum einen: Dass Versicherungen Patienten mit Vorerkrankungen nicht abgewiesen dürfen.
    "Because it happens to be one of the strongest assets" Weil das eine starke Errungenschaft sei, sagte Trump. Außerdem will er dafür sorgen, dass Kinder bis zum 26. Lebensjahr unter der Police ihrer Eltern versichert bleiben können.
    Republikaner könnten dank ihrer neuen Mehrheit vieles kippen
    Abgeschafft werde Experten zufolge wohl die Versicherungspflicht, die der republikanischen Idee vom schlanken Staat und individueller Freiheit stets entgegenstand.
    "Außerdem gehe ich davon aus, dass die Trump-Administration die Zuschüsse für Medicaid, die staatliche Krankenversicherung für Arme, kürzen und den Bundesstaaten mehr Freiheiten bei der Verteilung der Gelder einräumen wird", sagt Howard.
    Die Republikaner haben künftig in beiden Häusern des Kongresses die Mehrheit. Damit können sie nahezu alle Aspekte des Gesundheitspakets kippen, die Ausgaben und Besteuerung betreffen. Für andere Bestimmungen brauchen sie eine sogenannte Supermehrheit im Senat, 60 Sitze. Aber sie haben nur 52.
    Obamacare besitzt raffinierten Selbstschutzmechanismus
    Doch es geht nicht allein um Stimmenmehrheiten. Wenn Versicherungen beispielsweise Menschen mit Vorerkrankungen, also potenziell teure Patienten, weiterhin aufnehmen müssten - dann seien staatliche Subventionen unvermeidbar.
    "The Affordable Care Act is like a giant jigsaw puzzle." Der Affordable Care Act - so der offizielle Name des Gesetzes - sei wie ein riesiges Puzzle, sagt Howard. Eine Bestimmung greife in die andere, und wenn man einen Teil kippe, funktionierten andere Teile auch nicht mehr. Ein Dominoeffekt mit negativen Folgen für den gesamten Versicherungsmarkt.
    So zeigt sich erst jetzt: Die Architekten von Obamacare haben das Gesetzespaket mit einem raffinierten Selbstschutzmechanismus ausgestattet.
    Elektronische Patientenakte darf vermutlich bleiben
    Was ebenfalls bleiben dürfte: die elektronischen Patientenakten. Ärzte müssen jede Konsultation in einer Datenbank dokumentieren. Auch das war Teil von Obamacare - mit dem Ziel, medizinische Versorgung stärker an Qualität auszurichten. Gut gemeint, aber schlecht gemacht, meinen viele Ärzte. Auch Alan Kozarsky.
    "Ich finde diese vermeintlichen Qualitätsberichte einfach nur lächerlich. Zum Bespiel die Richtlinie, bei einem Glaukom-Patienten oder einem Diabetiker einmal im Jahr einen Untersuchung mit erweiterten Pupillen durchzuführen. Das würde jeder Augenarzt tun, der alle Sinne beisammen hat. Zugleich kann das System aber nicht unterscheiden zwischen einem Arzt, der einfach nur die Kosten in die Höhe treibt und einem Arzt, der Patienten mit komplexen Krankheiten behandelt."
    Verängstigte Patienten, genervte Ärzte, verunsicherte Krankenhäuser. Die Kliniken erhielten im Zuge von Obamacare weniger staatliche Zuschüsse - und im Gegenzug das Versprechen, die überfüllten Notaufnahmen würden entlastet. "Doch der Deal ging nicht auf", sagt Jimmy Lewis, CEO von Hometown Health, einem Verbund regionaler Krankenhäuser in Georgia.
    "Many times, patients are using the emergency room as a primary care unit as opposed to a real ER." Noch immer nutzten viele, selbst versicherte Patienten, die Notaufnahmen als eine Art Hausarztpraxis. Deshalb setze er seine Hoffnung auf die neue Administration, sagt Lewis. Viel schlimmer könne es ja nicht werden.
    Wird sich mittelfristig doch nichts ändern?
    Zu den potentiellen Gewinnern einer Trump'schen Gesundheitsreform gehören die Krankenversicherungen, deren Verhandlungsposition gestärkt ist. Und die Pharmaindustrie, die künftig auf noch weniger Regulierung hoffen darf.
    Von Obamacare zu Trumpcare: Wie die Zukunft des Gesundheitswesens in den USA aussehen wird, weiß derzeit niemand so genau. Denn: Noch haben Trump und sein Team keinen detaillierten Plan vorgelegt, womit sie Obamacare eigentlich ersetzen wollen. Gesundheitsökonom David Howard ist jedenfalls überzeugt: Kurz- und mittelfristig werde wenig passieren: "It will take a long time to make any significant changes to the Affordable Care Act."
    Weil Gesetzesänderungen eben Zeit brauchten. Howard hält es für möglich, dass die Republikaner zwar Teile des Gesetzes formal kippen und damit eine Art symbolischen Sieg erringen -- dass sie aber mit der Umsetzung warten, vielleicht sogar bis zur nächsten Kongresswahl in zwei Jahren: "... and leave it for a future Congress to determine what really happens", so Howard.