Stickoxid-Belastung in München

"Weil man nimmer atmen kann"

Ein Linienbus fährt am 27.06.2017 durch eine Straße in München (Bayern).
München ist Pendlerhaupstadt und ganz vorne bei der Stickstoffdioxid-Belastung dabei. © dpa / picture alliance / Fabian Nitschmann
Von Tobias Krone · 02.08.2017
München ist Deutschlands Pendlerhauptstadt und das hat Folgen: Bei einem Viertel aller Hauptstraßen werden die gesetzlichen Grenzwerte für Stickoxid überschritten. Das treibt die Bürger im Protest vereint auf die Straße.
Die revolutionäre Energie im grünbürgerlichen Fußvolk von München-Sendling ist normalerweise eher begrenzt. Aber der Jubel, mit dem sich die Anwohner ihre Isartalstraße zurückholen, ist frenetisch. Eine Stunde lang ist das Nadelöhr für den Verkehr gesperrt. Die Demo lockt Jung und Alt raus – wie die Rentnerin Hermine Franz.
"Ist ja klar, wegen der Frischluft. Weil man nimmer atmen kann."
Anwohner haben die Demo gegen die Dieselstinker, wie sie hier sagen, organisiert. Der Verkehr reicht ihnen schon lange, die übertretenen Stickoxid-Grenzwerte vor der Haustür bringen das Fass zum Überlaufen. Die Anwohnerin Kerstin Tonczek.
"Ich weiß also zum Beispiel, dass hier in dem Eckhaus von den 18 Kindern, die hier wohnen, drei Kinder Asthma haben. Ich habe meine Fenster nach vorne raus im dritten Stock, und trotzdem sind bei mir die Ecken in der Wohnung komplett verrußt."

Fahrverbote drohen

Die Menschen hier sind besorgt um ihre Kinder, die gerade friedlich den Asphalt bemalen, auf dem sich sonst um diese Uhrzeit Stoßstange an Stoßstange reiht. Allzu unappetitlich sind die Messwerte, deren Veröffentlichung die Deutsche Umwelthilfe von der bayerischen Staatsregierung erst vor Gericht erstreiten musste.
Ein Viertel der Münchner Hauptstraßen liegt über dem Stickoxid-Grenzwert. Oberbürgermeister Dieter Reiter von der SPD drohte mit Fahrverboten für Diesel-Fahrzeuge ab 2018. Doch der Autofahrer-Klub ADAC will Fahrverbote vermeiden, denn manchen Pendlern auf dem Land bleibe gar keine andere Wahl als das Auto. Pressesprecher Alexander Kreipl.
"Von einem Diesel-Fahrverbot wären natürlich diejenigen betroffen, die auf ihr Fahrzeug angewiesen sind, die täglich mit ihrem Fahrzeug in die Innenstadt einpendeln müssen, weil sie unter Umständen keine Alternative im öffentlichen Verkehr haben. Oder zu Zeiten unterwegs sind, wo man einfach das Auto braucht. Das ist… regelrecht ein Schlag ins Gesicht für die Verbraucher."

Windige Hypothese der Autolobby

Manche hätten keine Möglichkeit, U- oder S-Bahn zu nehmen. Zumal die ohnehin längst überlastet seien. Auch die Messwerte der Stickoxid-Belastung interpretiert der ADAC ganz im Sinne der Autofahrer.
"Die Messergebnisse spiegeln genau wider: Dort, wo sich der Verkehr stockt, sind die Belastungen höher als an anderen Stellen. Das bedeutet natürlich, dass man versuchen sollte, neben vielen anderen Maßnahmen, auch den Verkehr zu verflüssigen, die Ampelschaltungen zu optimieren, intelligente Verkehrsleitsysteme einzusetzen, um einfach den Verkehr, dort wo möglich und sinnvoll, flüssiger zu gestalten."
Die Grafik zeigt, wie hoch die Stickstoffdioxid-Belastung an verschiedenen Messstationen in Deutschland ist.
Stickstoffdioxid-Belastung in Stuttgart und München besonders hoch.© picture-alliance/ dpa-infografik/ J. Reschke, M. Beils
Die grüne Welle als Lösung gegen Stickstoffdioxid? – diese windige Hypothese haben zumindest Untersuchungen in Stuttgart widerlegt. Die Münchner Grünen wollen dagegen eine radikale Verkehrswende. Die Partei will einen Bürgerentscheid fürs Fahrrad – nach Berliner Vorbild. Bundestagsabgeordneter Dieter Janecek.
"Wir brauchen zwei Meter breite Spuren, wir brauchen kindersichere Radwege, wir brauchen auch Kreuzungen, die nicht mehr gefährlich sind, wir brauchen grüne Welle für den Radverkehr und wir brauchen auch endlich eine Nord-Süd-Kreuzung und eine Ost-West-Kreuzung, dass Menschen auch reinpendeln können."
Es entbehrt dieser Tage nicht einer unfreiwilligen Ironie, dass sich München Radlhauptstadt nennt. Offiziell lässt sich das begründen. Nirgendwo anders in Deutschland gibt es einen höheren Radler-Anteil als hier. Und auch die Fahrradwege sind okay, verglichen mit anderen Großstädten. Wäre da nicht der Qualm der Autos. Die Münchner Radpendlerin Ann-Kathrin Schindler:
"Jetzt als Fahrradfahrer, der jeden Tag die Strecke von der Thalkirchener Straße an den Hauptbahnhof zurücklegen muss, befinden Sie sich derzeit an der Riesen-Verkehrschaos-Situation am Sendlinger Tor, wo ich die Abgaswerte besser gar nicht jeden Tag messen möchte. Mein Sohn wird ab Herbst jeden Tag die Strecke mit uns zur Kita fahren. Der sitzt auf Auspuffhöhe im Fahrradanhänger."

BMW schweigt

Die Radlhauptstadt München ist eben auch eine Autostadt. Im zylinderförmigen Hochhaus der Münchner BMW-Zentrale hüllt man sich in diesen Wochen in Schweigen. Dass man gegen Fahrverbote ist und punkt, das hatte Vorstandschef Harald Krüger schließlich schon auf der Hauptversammlung im Mai verkündet.
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Das BMW-Verwaltungsgebäude (BMW-Turm) in München © picture alliance / dpa / Sven Hoppe
Doch die bayerische Autolobby muss sich um politische Unterstützung nicht sorgen. Die CSU wähnt sich bei ihr sozusagen auf dem Beifahrersitz. Der stellvertretende Generalsekretär Markus Blume:
"Wer hier leichtfertig redet, oder vielleicht auch leichtfertig handeln will, der verkennt, welche Bedeutung die Automobilindustrie für den Wirtschaftsstandort Deutschland hat. Und der sagt im Grunde genommen: Mir ist auch egal, wie es mit Hunderttausenden von Arbeitsplätzen in dieser zentralen Branche weitergeht."
Die Verantwortung für die Arbeitsplätze hat Ministerpräsident Horst Seehofer zur Chefsache erklärt. Die CSU will eine Abwrackprämie für alte Dieselfahrzeuge, und eine KfZ-Steuererleichterung für neue saubere Modelle. Der Verbraucher soll nicht zahlen für die Misere der Autoindustrie, aber die Autoindustrie eben auch möglichst wenig.
Immerhin, die Umrüstung von Motoren der Schadstoffnorm Euro-5 auf Euro-6 sollten die Hersteller übernehmen, fordert die Staatsregierung.

Der Verbrennungsmotor ist kein Selbstläufer

Andere denken weiter – und sorgen sich um die Zukunft des Unternehmens, das in den vergangenen Jahren so fette Gewinne eingefahren hat. Wie dieser BMW-Kleinaktionär im Mai.

"Das gilt generell für die deutsche Automobilindustrie, dass die da viel zu spät auf den richtigen Zug aufgesprungen sind und gemeint haben, es geht alles immer so weiter, wie es seit Jahrzehnten gelaufen ist mit dem Verbrennungsmotor – das ist ein Selbstläufer. Aber es hat sich eben gezeigt mit der Umweltproblematik, dass dem nicht so ist."
"O Lord, won’t you buy me a deutsches Produkt
in Germany wird immer auf Qualität geguckt. Hust hust hust
So ein Grenzwert für Schadstoff, der steht wie ein Fels.
Es sei denn die Lobby überlegt sich something else. One more time"

Die Umweltproblematik – nun bringt sie sogar in der BMW-Stadt München die Menschen auf die Straße. Zu Fuß wohlgemerkt. Die Stimmung ist blendend. Während der Feierabendverkehr seinen Stau an diesem Tag auf Ausweichrouten verlegt.
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