Donnerstag, 28. März 2024

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Computerspiel "GreedFall"
Mit Pomp und Pest

Federhüte, Musketen und eine Neue Welt: GreedFall entführt die Spieler in die Neuzeit. Ihre Aufgabe: Eine mysteriöse Krankheit aufhalten. Das französische Entwicklerstudio verspricht viel Freiheit und knifflige Entscheidungen. Überzeugt das kunterbunte Mantel- und Degen-Spiel?

Von Christian Schiffer | 10.09.2019
Auf dem Bild ist ein Mann zu sehen, der mit einer Pistole ein Monster zu erschießen versucht.
Ein Ausschnitt aus dem Computerspiel "GreedFall" (Spiders)
"They say the island is full of miracles and we might find a cure even if I were to find it."
"I would never be able to return in time… "
"I know. But it brings me comfort. To know my son has left on a mission to heal his people."
Eine mysteriöse, pest-ähnliche Krankheit breitet sich aus, die auch die Mutter befallen hat. Ein Heilmittel soll es auf der Insel Teer Fradee geben, die kürzlich erst entdeckt wurde. In "GreedFall" schlüpft der Spieler in die Rolle von De Sardet, einem Adelsspross, der für die örtliche Handelskongregation arbeitet. Wir sind also nicht irgendwer, sondern reich und einflussreich, wir werden auf der Straße erkannt und sind generell mit ganz viel Vitamin B ausgestattet:
"I believe I've seen you at the palace. Are you one of the prince's relatives!"
Wie aus einem Roman von Alexandre Dumas
"GreedFall" lehnt sich an eine Epoche an, die in Computerspielen nicht allzu oft gewählt wird: Die Neuzeit. Anstatt nach Mittelalter oder Science Fiction, sieht es hier also nach 17. Jahrhundert aus, nach König Ludwig XIV, nach Kolonialismus, nach Absolutismus und Aufklärung. Das Action-Rollenspiel beginnt in der fiktiven Hafenstadt Sérène und dieses Sérène wirkt, als sei es direkt aus einem Roman von Alexandre Dumas entsprungen: Federhüte, Degen, Prachtbauten, Pomp. Doch in den ärmeren Vierteln, da dampft und ächzt Sérène. Betrunkene torkeln, Kranke siechen, Bettler betteln, Markschreier schreien. Und da die Seuche die Hafenstadt fest im Griff hat, gibt es auch den ein oder anderen Quacksalber, der seine Tinkturen anpreist.
"Are there any nasty side effects with his remedy of use?"
"There are none! You will feel nothing but an intense sense of well-being."
Wie in einem Rollenspiel üblich, spielen Entscheidungen in "GreedFall" eine große Rolle. Der Spieler entscheidet selbst, ob er De Sardet als tumben Haudrauf spielen will oder ihn nach und nach zu einer charismatischen Silberzunge entwickelt. Viele der Aufgaben lassen sich auf unterschiedliche Arten lösen. In ein Lagerhaus beispielsweise kann man klettern, schleichen, man kann sich den Weg freikämpfen, die Wachen bestechen, bequatschen oder ihr Pausen-Bier mit Schlafmittel versetzen. Immer wieder kommt es dabei zu kniffligen Entscheidungen: Soll man den Quacksalber den Behörden übergeben? Oder ihm zur Flucht aus der Stadt verhelfen? Denn eines ist auch klar: In "GreedFall" streiten verschiedene Fraktionen um Macht und Einfluss. Vieles ist nicht so, wie es auf den ersten Blick erscheint und man muss aufpassen, sich nicht manipulieren zu lassen und es sich mit allen zu verscherzen. Das gilt auch für die Eingeborenen, die man trifft, sobald man seinen Fuß auf Teer Fradee setzt.
"My people needs your help! My my dad has sent me to you in search of allies. I feared that without your help our clan will suffer a great horrors. We have already lost so many souls!"
Als würde der FC Köln die Quali für die Champions League schaffen
"GreedFall" ist bei dem französischen Studio Spider entstanden, das bislang Spiele gemacht hat wie The Technomancer, Bound by Flame, Mars: War Logs, Of Orcs and Men. Spiele also, die sogar Experten erst einmal googlen müssen und die vielleicht manchmal ambitioniert waren, aber nie herausragend. Nichts in der bisherigen Ludografie dieses Studios deutete darauf hin, dass es die Franzosen schaffen würden, ein Spiel wie "GreedFall" zu designen. Ein Spiel nämlich, das zwar kein Meisterwerk ist, dazu kommt die Story zu spät in Gang, sind die Charakter zu flach, das aber trotzdem sehr gut ist. Es ist ein bisschen so, als würde der 1. FC Köln sich unerwartet für die Champions League qualifizieren oder Jon Bon Jovi plötzlich ein Album vorlegen, das dem Feuilleton gefällt. "GreedFall" ist vielleicht nicht perfekt, aber trotzdem die vielleicht schönste Überraschung des Spielejahres 2019.