Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Musikfestival Wacken
Schwermetall mit Schwermut

An diesem Wochenende beginnt das Festival in Wacken. Für wenige Tage ist der kleine Ort eine Pilgerstätte für Heavy-Metal-Fans. Den meisten macht die Kombination aus Musik- und Bierdröhnung Spaß. Manche fühlen sich einsam in der Masse, um sie kümmert sich ein Seelsorgeteam der evangelischen Kirche.

Von Mechthild Klein | 04.08.2017
    Drei aus dem Seelsorge-Team für das Metal-Festival in Wacken: Die Erzieherin Sunny Koglin, Pastorin Katharina Schunck und Diakon Mirco Pendrzinski.
    Drei aus dem Seelsorge-Team für das Metal-Festival in Wacken: Die Erzieherin Sunny Koglin, Pastorin Katharina Schunck und Diakon Mirco Pendrzinski. (Deutschlandradio / Mechthild Klein)
    Jedes Jahr am ersten Augustwochenende pilgern 75.000 schwarzgekleidete Heavy-Metal-Fans zum Open Air nach Wacken in Schleswig-Holstein. Auf den Äckern rund ums Dorf wurden schon vor Tagen die riesigen Bühnen aufgebaut.
    "Wacken ist immer ein Stück nach Hause kommen. Freude lange im voraus – würd ich sagen."
    Katharina Schunck ist Pastorin und schon zum siebten Mal im Seelsorge-Team der Evangelischen Nordkirche.
    "Letztes Jahr war Iron Maiden mein absoluter Favorit, den ich unbedingt sehen musste", sagt sie. "Ich bin gespannt: Volbeat ist ja fast eine Band, die ein bisschen rausfällt, weil sie sehr kommerziell unterwegs ist. Auch das würde ich mir gerne angucken."
    Die Seelsorge-Zelte sind auf dem Gelände gut sichtbar, ganz in der Nähe der Security und des Deutschen Roten Kreuzes. Auch an ihren blauen Westen sind die Seelsorger gut erkennbar, wenn sie auf dem Gelände durch die weitgehend schwarz gekleideten Massen gehen.
    Tilman Lautzas, Landesjugendpastor der evangelischen Nordkirche, hat die Seelsorge-Arbeit für das Open Air-Festival aufgebaut: "Wir arbeiten in Schichten: Wir haben von mittags an bis in die frühen Morgenstunden unsere Seelsorge-Pagode besetzt. Da gibt es immer eine Tagesleitung, da gibt es immer Personen mit unterschiedlichen Berufen, unterschiedlichem Alter, natürlich auch Männer und Frauen, die dort sitzen und warten dass jemand kommt und um ein Gespräch bittet."
    "Beziehungskonflikte sind so ein Standard-Ding"
    19 Leute sind im Seelsorge-Team. Darunter Psychologen, Erzieher, Diakone, Pastoren – es gibt sogar eine lange Warteliste für die ehrenamtliche Arbeit in Wacken. Alle Helfer haben Erfahrungen mit Krisenintervention. Heavy-Metal kann auch ganz schön schwer auf der Seele liegen. Durch die tagelange Dauerbedröhnung, den exzessiven Bierkonsum, die laute Musik und die Enge können manche Metaller schon mal an ihre Grenzen kommen. Katharina Schunck erzählt:
    "Einige Leute erleben Krisen einfach durch das Festival selbst. Indem Konflikte auftreten mit den Menschen mit denen sie da sind. Beziehungskonflikte sind so ein Standard-Ding, was auftaucht auf so einem Festival. Es sind große Lebensfragen, Probleme, die aus dem Alltag mitgebracht werden. Wo man dachte: Oh, ich kann damit gut umgehen. Ich geh aufs Festival und will feiern und stelle auf dem Festival fest, in der ganzen Masse von 80.000 Menschen: Ich bin ganz schön einsam und mit meinen Problemen einfach durchgehend befasst. Und ich brauch jetzt wen, der das mit mir gerade irgendwie auffängt. Oder mir soweit hilft, dass ich hier irgendwie durch das Wochenende gehen kann, bis zu schwierigeren psychologischen Problemen tatsächlich."
    Tilman Lautzas sagt: "Das ist ja eine Stresssituation, also eine bewusst herbeigeführte Stresssituation – das macht den Spaß aus. Also Lautstärke, vielleicht auch die Wetterbedingungen, die hygienischen Bedingungen. Das sind ja alles Faktoren, die belastend sind, aber auch unglaublich Spaß machen können – deswegen fahren die Leute hin. Aber der Stress ist da, auch für uns – der ist spürbar. Wir haben immer wieder Leute, die das wie eine Mutprobe sehen. Die sagen: Ich hab das vor Jahren schon probiert, ob ich das schaffe und ich wollte das jetzt noch mal ausprobieren, ob es geht und es geht dann doch nicht. Weil einfach die psychische Belastung zu hoch ist."
    Wer von der Bühne stürzt, wird aufgefangen
    Bei 100.000 Menschen auf dem Gelände sind immer einige dabei, die Gewalterfahrung haben, die Übergriffe schon erlebt haben. Manche sind traumatisiert, sagen Lautzas. Wenn die Musik die inneren Bilder noch triggert, kommen einige nicht mehr damit klar und brauchen Unterstützung. Also Gespräche oder einen Ort, wo sie sich zurückziehen können. Trotzdem sind die Seelsorger begeistert von den Metallern und ihrer Welt. Natürlich provozieren die Leute in den schwarzen Kutten mit ihren martialischen Gesten. Sie wollen gesehen werden mit ihren Besonderheiten. Frei sein, ohne Kleiderzwänge. Aber die Metal-Fans sind auch bekannt für ihre Hilfsbereitschaft, sagt Katharina Schunck: Und wer vor der Bühne stürzt, dem wird selbstverständlich geholfen wieder aufzustehen.
    "Ja, man ist tatsächlich in dieser Gemeinschaft aufgehoben, es gibt natürlich ganz viele verschiedene Richtungen des Metal. Trotzdem erlebe ich Wacken einfach als grundfreundlich. Die Leute sind einfach gut drauf im Normalfall. Die grüßen, sind nett und gehen gut miteinander um, die Leute unterstützen sich gegenseitig. Es hat viel von dem, was wir an christlichen Werten eigentlich vermitteln wollen. Toleranz, Respekt, Nächstenliebe, das wird da wirklich gelebt. "Welcome to the Holy Land" – Wacken hat auch vieles Religiöses an sich, was diese Szene ausmacht. Was andere Menschen in religiösen Gemeinschaften suchen, das suchen Metaller vielleicht - so meine These – manchmal in dieser Szene und in der Musik und in der Gemeinschaft miteinander."
    Von Außen kann der Blick auf die Metaller-Szene, die mit den Provokationen spielen schon mal irritieren.
    Tilman Lautzas: "Ja klar, man säuft ungehemmt, die Rollenzuweisung zwischen Männern und Frauen ist klar. Würde man unter anderen Bedingungen vielleicht sagen, ist manchmal sexistisch, aber alle spielen mit und spielen das gerne. Es ist ein Spiel mit den Tabus. Davon lebt das auch."
    Spiel mit Gewalt und Erniedrigung
    Das Spiel mit Gewalt und Erniedrigung kann einem schon mal die Sprache verschlagen. Dass auf der Bühne Bilder mit Feuersturm eingeblendet sind und Männer davor eine Axt schwingen, ist hier keine Verhaltensauffälligkeit. Man pflegt auf dem Festival das, das womit man sonst anecken würde. Besonders die Bands aus dem Black Metal:
    Katharina Schunck: "Die Gruppe Mayhem mit dem Schweinekopf. Und dem klassischen Beispiel was man da immer hat: Das tote Schwein, der Schweinekopf und er beißt die Ohren des Schweines ab, auf der Bühne. Und das, das wird hart inszeniert."
    Tilman Lautzas: "Ich hatte mal beschrieben, dass es ein Festival ist, das politisch und gesellschaftlich inkorrekt ist. Also alles, was inkorrekt ist: Sexismus, Gewaltsachen und so weiter... es ist ja insgesamt ein friedliches Fest, bei dem das alles nur gespielt wird. Also sowohl vom Publikum, als auch auf der Bühne. Also für viele ist es ja nicht in dem Sinne tödlicher Ernst, so. Das sind extreme Ausnahmen, sondern es ist insgesamt ein friedliches Fest, indem aber alles erlaubt ist, was normalerweise in der Gesellschaft nicht gerne gesehen wird."
    Am Freitag und Samstag Abend toben die Hauptacts auf den Bühnen in Wacken. Am Sonntag geht dieses größte Pilgerfest der weltweiten Heavy-Metal-Gemeinde zu Ende. Auch die Seelsorger packen ihr Zelte ein und räumen ihr Nachtquartier im Gemeindehaus. Für die meisten ist Wacken 2018 schon fest im Kalender eingetragen. May it rain or shine.