Gianna Nannini auf Deutschland-Tournee

"Europa steht für offene Grenzen"

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"Lasst uns auch in der Liebe groß denken", sagt Gianna Nannini. © picture alliance / dpa / Samuel Golay
Moderation: Dirk Schneider · 09.03.2018
Gianna Nannini wird in Deutschland gerne mit dem Attribut der "Rockröhre" bezeichnet. Dabei ist die 1954 geborene Sängerin viel mehr als das: Auch mit ihrem neuen Album "Amore Gigante" setzt sie ein politisches Statement.
Musikredakteur Dirk Schneider hat mit Gianna Nannini gesprochen und sie zunächst nach ihrer Meinung zum Ausgang der italienischen Parlamentswahlen am vergangenen Sonntag gefragt.
Gianna Nannini: Die Leute müssen selbstbewusst werden und sich darüber klar sein, dass die Politiker sowieso nichts ändern werden.
Dirk Schneider: Sie nehmen dieses Ergebnis also nicht allzu schwer?
Gianna Nannini: Dieses Wahlergebnis macht mir keine Angst, weil ich wirklich nicht daran glaube, dass diese Wahlen viel ändern werden. Sie zeigen nur mal wieder, dass das Land in drei Teile geteilt ist, wie ein Kuchen. Und so war es schon immer, das einzig Neue ist der große Erfolg der Bewegung Fünf Sterne.

Verehrung für Jaki Liebezeit

Dirk Schneider: Sie sind neulich in Köln aufgetreten, zusammen mit vielen anderen Musikern, es war ein Abend für den verstorbenen Schlagzeuger Jaki Liebezeit. Ich war erstaunt, dass eine prominente Musikerin wie Sie bei so einem Abend auftritt, Sie haben dort ja eher am Rande eine Rolle gespielt. War das ein wichtiger Freundschaftsdienst für Jaki Liebezeit?
Gianna Nannini: Es war eine Ehre und eine Freude für mich, dass ich mit Jaki Liebezeit arbeiten durfte, er hat mir sehr viel beigebracht in Sachen Musik, er hat mir geholfen, meine Richtung zu finden, mit seinem europäischen Minimalismus. Es war auch eine Freundschaft, wir hatten viel Spaß, und er mochte meine Musik. Wir brauchen Leute wie Jaki, und er hat der europäischen Musik wirklich zu Geltung verholfen. Ich bewundere Jaki und seine Mitstreiter, und an diesem Abend wollte ich mich bei ihm bedanken.
Dirk Schneider: Trotz Ihrer italienischen Texte sind Sie international sehr erfolgreich, auch in Deutschland, Sie werden hier in großen Hallen spielen. Sind Texte in der Popmusik gar nicht so wichtig, oder sind Sie jemand, den man auch ohne Worte versteht?

Gianna Nannini: Wir haben so lange englischsprachige Musik gehört. Ich denke, dass es sehr wichtig ist, die eigene Identität in der Musik auszudrücken. Und von daher finde ich meine Texte schon sehr wichtig. Aber wir arbeiten in Bildern, und wenn man das Bild erst einmal kapiert hat, hat man schon viel verstanden. Dennoch: wir müssen unsere Sprachen stärken, das Deutsche, das Italienische. Darum bin ich auch für eine mediterrane Revolution: In Zukunft sollte italienische Musik so erfolgreich sein wie englische.

"Lasst uns auch in der Liebe groß denken"

Dirk Schneider: Zumindest verstehe ich den Titel Ihres aktuellen Albums, "Amore Gigante", den versteht wahrscheinlich jeder. Kann man diesen Titel auch als Antwort auf den Hass verstehen, der in Europa um sich greift, Hass auf Fremdes, auf die Armen, auf eigentlich alle, die anders sind als die Mehrheit?

Gianna Nannini: Zuerst einmal: Wir sollten andere Menschen nicht als Fremde wahrnehmen. Und mit "Gigante" ziele ich auch auf den Geist ab, darauf, dass wir offen sein sollten, ohne Vorurteile gegenüber Menschen die anders sind, eine andere Tradition haben. Dass wir darüber nachdenken, warum die Menschen anders leben als wir. Offen für Diversität. Wir sollten die Mauern öffnen, denn dafür steht Europa, für offene Grenzen, für einen anderen politischen und wirtschaftlichen Vertrag. Lasst uns auch in der Liebe groß denken, denn Liebe bedeutet auch, Menschen zu helfen. Auch Menschen, die anders sind als wir.
Gianna Nannini kniet bei einem Konzert in Rom im Jahr 2017 auf den Knien.
Gianna Nannini bei einem Konzert in Rom im Jahr 2017© imago stock&people

Liebe zu Motorrädern und gefährlichen Sportarten

Dirk Schneider: Haben Sie noch das Bedürfnis, sich in feministische Debatten einzumischen, oder haben Sie das Gefühl, schon alles gesagt zu haben?
Gianna Nannini: Wir sprechen schon so lange über Feminismus. Früher waren es ja ganz naheliegende Dinge, es ging um gleichen Lohn für dieselbe Arbeit, und damit gibt es natürlich immer noch Probleme. Aber früher wurden Frauen über diesen Begriff auch instrumentalisiert, wurden für revolutionäre Zwecke eingespannt und dadurch wiederum fremdbestimmt. Das hat sich geändert, inzwischen geht der Feminismus von den Frauen aus. Der Begriff Feminismus hat eine Evolution durchgemacht.
Dirk Schneider: Aber in der #MeToo-Debatte geht es ja auch sehr viel darum, was Männer ändern müssen.
Gianna Nannini: Es ist sehr schwer, sich als erwachsener Mann zu ändern. Das muss in der Schule, im Kindergarten anfangen, wir müssen die alten Konzepte aus der Erziehung heraushalten, die Erziehung neu denken.
Dirk Schneider: Sie fahren immer noch gerne Motorrad, treten in Lederjacken auf, Sie machen mit Ihren über 60 Jahren immer noch einen sehr wilden und unangepassten Eindruck. Gehört sowas auch ein bisschen zum Showbusiness dazu, oder haben Sie sich Ihre Wildheit und auch Ihre Wut bis heute bewahrt?
Gianna Nannini: Ach, man muss seine Wut schon in etwas anderes transformieren, man muss ruhiger werden, sonst bringt man noch irgendwann jemanden um. Ich halte mich körperlich sehr fit. Ich liebe wilde Dinge wie mein Motorrad, das Meer, aber auch gefährliche Sportarten wie Kitesurfing oder Freestyle Skiing. Ich liebe die Gefahr, sie hilft mir, mich zu fokussieren, und das ist auch gut für die Musik. Wir haben im italienischen das schöne Wort "arrabbiata", das bedeutet soviel wie "zornig", aber das bin ich in manchen Songs, in anderen nicht.
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