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US-Musikerin EMA
"South Dakota machte mich wild und robust"

Viele Songs von Erika M. Anderson alias EMA sind verstörend und dunkel. Sie verraten EMAs Wurzeln als Gitarristin einer Folk-Noise-Band. Die Musikerin aus dem US-Bundesstaat South Dakota singt von den Verlorenen, Abgehängten der kapitalistischen Gesellschaft, deren Wut in Gewalt, Rassismus und Hass münden kann.

Von Anja Buchmann | 17.09.2017
    Eine blonde Frau sitzt einem Sofa . Auf dem Sofa liegen verschiedene Kleidungsstücke verteilt. Im Hintergrund brennt ein kleiner Kamin
    EMA spielte in verschiedenen Punk Bands. (David Mitchell)
    Diese Sendung können Sie nach Ausstrahlung sieben Tage anhören.
    Musik: "Nihilistic And Female"
    "No hate, no bigotry, no xenophobia, no sexism, no rascism, no classism" ist auf Erika M. Andersons Facebookseite als Hintergrundbild zu lesen; und oben drüber: No fascism.
    Das zeigt schon mal inhaltlich und politisch, in welchen Welten sich die Musikerin bewegt, obwohl das nur die halbe Wahrheit ist. Sie kennt sowohl die liberale, freiheitliche, nicht-rassistische, nicht-sexistische und nicht menschenfeindliche Sicht der Welt, als auch die gegenteilige. Denn Erika M. Anderson kommt ursprünglich aus "the middle of nowhere", aus South Dakota.
    "Ich weiß nicht, ob es in Europa einen Ort gibt, der so isoliert ist, wie South Dakota. Es ist in der Mitte des Landes. Keine Küste, kein Ozean in der Nähe, es gibt viel Landwirtschaft. Eine Region, die geographisch und auch kulturell isoliert ist. Man nennt es auch "Fly Over State", weil die meisten Menschen nur im Flugzeug darüber fliegen, von Küste zu Küste. Und es gehört zu den roten Staaten, den konservativen Staaten. Oregon ist dagegen sehr progressiv in vielerlei Hinsicht."
    Portland, Oregon, ist der Ort an dem sie aktuell lebt. Ein absolutes Gegenteil zu Andersons Herkunft aus einem US-Bundesstaat, der mehrheitlich hinter den Republikanern und Präsident Donald Trump steht. Viele "Angry White Men" leben dort; Menschen, die mit sich und der Welt unzufrieden sind, wenig Geld haben, sich herabgesetzt und nicht ernst genommen fühlen. Und deren Wut und Verzweiflung sich zuweilen in undifferenziertem Hass seinen Weg sucht.
    "Es hat mich wild und robust gemacht, dort aufzuwachsen. Es gab nicht viel Kunst und Kultur, also musste man sein eigenes Ding machen. Obwohl, andererseits gab es doch einen Haufen Bands dort und es war ein kreativer Platz, viel Punk und DIY. Und ich habe Empathie für Menschen, die an sehr konservativen Orten aufgewachsen sind. Menschen, die für andere, die in einer liberalen Gegend leben, ein absolutes Mysterium sind: Warum denken die so, was sind das für Ansichten? Ich kann verschiedene Ansichten verstehen, weil ich von dort bin, aber auch an der Küste gelebt habe. Das gibt mir eine differenzierte Perspektive."
    Musik: "Anteroom"
    "Es gab keine Frauen, die Musik gemacht haben in South Dakota. Als ich eine Band gegründet habe, war das also eine große Sache. Und mir war gleich klar, dass ich als Frontfrau auch Gitarre spielen musste, um meine Position zu bestärken. Wir haben dann eine schräge, queere Punkband zusammen gestellt. Das war sehr sehr anders als die sonstigen Bands in South Dakota. Aber irgendwie war es auch ähnlich wie das, was ich heute mache. Meine Instinkte haben sich nicht geändert."
    Aufbruch nach Kalifornien
    Ihr Instinkt hat die Musikerin auch als junge Erwachsene von South Dakota nach Los Angeles gehen lassen. Die Freunde in der alten Heimat konnten den Aufbruch nach Kalifornien nicht verstehen, laut Erika Anderson war es aber immerhin noch besser als nach New York zu ziehen. Nun also: Los Angeles. Sie studiert experimentelle Videokunst, arbeitet nebenbei beim Radio, wo sie unter anderem den Multiinstrumentalisten Henry Barnes kennen lernt, mit dem sie von da an gelegentlich in seiner Band "Amps For Christ" spielt. Daneben ist oft im Downtown-Club "The Smell". Wie viele Künstler in LA in den frühen 2000ern.
    "Jeder denkt, "The Smell" wäre was ganz besonderes gewesen. Aber es gab viele Nächte, wo es einfach leer war. Wie in vielen berühmten Clubs mit diesem besonderen Ruf. Auch in der Seattle-Szene war das so; Menschen romantisieren diese Zeiten. Aber häufig hängen da nur ein paar Verrückte ab, es ist nicht sonderlich glamourös. Aber wenn ich zurück blicke, denke ich auch: Wow, das war erstaunlich."
    Noise-Musik mit "Gowns"
    Und dann begegnet sie Ezra Buchla. Musiker und Sohn von Don Buchla; einem der Pioniere der Synthesizer-Entwicklung an der amerikanischen Westküste. Sozusagen das Pendant zu Robert Moog an der East Coast. Und Ezra Buchla?
    "Er war einfach ein sehr dünner Mann mit Brille, Jeans und Laptop. Ich hab einfach so diesen Typ, auf den ich abfahre: Uh, der sieht wie ein Nerd aus, und der hat einen Compute. Heute ist es nicht mehr ganz so, damals war es auch etwas besonderes, einen Laptop mit sich herum zu tragen. Ich steh eben auf schlaue Typen."
    Der smarte Ezra Buchla ist eine Größe in Los Angeles, nicht nur durch den berühmten Vater. Er ist ebenfalls zuweilen Gast bei "Amps For Christ", spielt Synthesizer in der experimentellen Punk-Band "The Mae Shi" und treibt sich insbesondere in der Noise-Szene herum: Eine Szene, die kompakte, dichte Geräusche liebt, Melodien und zuweilen auch Rhythmen ablehnt und deren Klang- und Krachkaskaden den ganzen Körper erreichen. Und deren Fans zunächst wenig begeistert sind, als sich Ezra mit Erika zusammen tut.
    "Sie wollten Noise-Musik von Ezra. Und dann gab es Gesang, dazu noch eine Frau dabei und Texte, die man verstehen konnte. Das war quasi gegen die Regeln. Manche mochten es, manche, die sehr in der Noise-Szene verankert waren, hassten es. Die wollten einfach nur Power Electronics und Lärm ohne Rhythmus oder Melodie, einfach Sound. Für manche Menschen war das das erste Mal, dass sie sowas hörten: Musik, die all das hatte, Synthesizer, Improvisation, Lärm, aber eben auch Songs und richtige Texte. Die waren schockiert, das war ein richtig neues Ding."
    Musik: "Feathers"
    Synthesizer, Gitarre, Gesang, zuweilen auch Schlagzeug und Bass dabei: Die Band Gowns, hier mit "Feathers", einem Titel, den Ezra Buchla und Erika Anderson bei einem ihrer ersten Treffen gemeinsam geschrieben haben; erschienen auf der Gowns-EP "Dangers Of Intimacy".
    Gowns haben nur ein volles Album veröffentlicht: "Red State" im Jahr 2007. Ansonsten hat die Band von Beginn an etwas Selbstzerstörerisches, insbesondere weil die beiden Bandleader ein Paar bilden. Ein kompliziertes Paar, Erika und Ezra können irgendwann nicht mehr gut miteinander umgehen.
    "Eine der dunkelsten Zeiten meines Lebens" Fuck California
    Vor dem letztendlichen Bruch der Gowns gehen sie zusammen nach Oakland, um in der Nähe von Ezras krankem Vater zu sein. Eine schwierige Zeit, meint Erika im Rückblick. Und eine Zeit, in der mindestens ein Song für ihr erstes Solo-Album entsteht: "California". Eine faszinierende Anti-Hymne, in der sich Liebeskummer vermischt mit allgemeiner Verlorenheit, Verzweiflung und dem Vermissen ihrer Kindheitsfreunde. Zwischendurch zitiert sie eine Bo Diddley-Zeile, vielleicht kennt sie es auch von der Version der Doors, aus dem Song "Who Do You Love": "I'm just 22 and I don't mind dying".
    "Es ging auch um den Schnitt: Ich bin fortgegangen aus South Dakota und habe Menschen zurück gelassen, mit denen ich aufgewachsen bin und die ich liebe. Menschen, die damals noch nie das Meer gesehen hatten. Irgendwie kam das alles hoch. Es war eine der dunkelsten Zeiten meines Lebens in Oakland. Ich habe als High School-Vertretungslehrerin gearbeitet in einer sehr harten Nachbarschaft. Irgendwann fuhr ich mit dem Fahrrad nach Hause nach einem beschissenen Tag und alles was ich dachte war Fuck California."
    Musik: California
    "Habt Ihr in Deutschland von dem "Ghostship-Feuer" gehört? Das war die Szene, der Ort eines Künstler-Kollektivs, wo ich mich in Oakland rumgetrieben habe. Ich musste einfach umziehen, meine alte Band war außerdem dabei, sich auf zu lösen. Ich musste die Stadt verlassen – entweder wieder zu meinen Eltern nach South Dakota – oder woanders hin. Schließlich bin ich nach Portland gegangen, wo ich ein paar Freunde habe. Da bin ich dann geblieben, ich habe tatsächlich mein Haus für einige Zeit gar nicht verlassen. Wie eine Eremitin. Erst in den letzten Jahren bin ich raus gegangen und habe auch neue Leute in Portland kennen gelernt."
    Die Geburt von EMA "Past Life Matyred Saints" und "The Future's Void"
    Zwischen der letzten Zeit in Oakland und dem anfänglichen Eremitendasein in Portland liegen noch mindestens eine Depression und die Veröffentlichung ihres Solo-Debuts "Past Life Matyred Saints". Der Titel bezieht sich angeblich auf einen Freund, der behauptet, in einem früheren Leben ein gequälter Heiliger gewesen zu sein. Und so merkwürdig und dunkel wie dieser Titel sind auch die Songs auf dem Album: EMA, wie sie sich nun nach ihren Initialen Erika M. Anderson nennt, badet in Verzweiflung und Verlust, Musik und Text wirken beklemmend und sehr emotional. Das Ganze garniert mit Lo-Fi-Ästhetik, Noise, viel Hall, Feedbackschleifen und dem Geräusch, wie Finger über Geitarrensaiten rutschen. Songs die klingen, als würden sich Laurie Anderson mit Patti Smith, Lou Reed und Kurt Cobain ein düsteres Stelldichein geben, das dennoch nicht völlig hoffnungslos ist.
    Musik: "Marked"
    "Marked" aus dem ersten Album von EMA, veröffentlicht 2011. Drei Jahre später veröffentlicht sie das schwierige zweite Album. Auf "The Future's Void" betrachtet Anderson auch unser online dominiertes Leben: Sie kritisiert Überwachung und kollektives Langzeit-Gedächtnis des Internets, das unsere Beziehungen verändert und unseren Alltag formt, beeinflusst auch von der Science-Fiction-Romantrilogie "Neuromancer" von William Gibson, die sie in der Zeit gelesen hat. Musikalisch bewegt sich EMA im stahlartigen Industrialsound, mit Grunge, verstörenden Klavierballaden und Lärm-Kaskaden. Dabei nimmt sie nicht nur Gitarre und Gesang und zuweilen Klavier selbst auf, sondern spielt und programmiert auch Synthesizer und übernimmt das Programmieren diverser Schlagzeugparts. EMA und "Neuromancer".
    Musik: Neuromancer
    "Wir waren Freaks. Menschen, die nie an einem kleinen Platz, weit weg von einer großen Stadt gelebt haben, wissen es nicht: Da gibt es richtige Verrückte, totale Freaks. In der Mitte von Nirgendwo."
    Eine blone Frau sitzt auf einem Hocker mit einem angezogenem Bein. Sie hat weiße Stiefel an.
    EMA, benennt sich nach ihren Initialen Erika M. Anderson (David Mitchell)
    Künstler und Verrückte
    Erika M. Anderson im Rückblick auf ihre Kindheit und Jugend im konservativen "Fly Over State" South Dakota. Eine nach wie vor prägende Zeit, die sich indirekt auf ihrem aktuellen Album "Exile in the outer ring" niederschlägt. Denn auf dem geht es auch um die Mentalität und Wut der Vergessenen, Verlassenen, Perspektivlosen aus dem amerikanischen Niemandsland.
    "Ich habe zumindest ein bisschen Einfühlungsvermögen zu verstehen, warum manche Menschen in einem bestimmten Umfeld so abweisend ist. In der Politik zum Beispiel sehen und hören sie Menschen, die denken, sie seien besser. Und das macht sie wirklich verrückt. Und das bringt die Leute dazu, manchmal gegen ihre eigenen Interessen zu wählen. An diesen Orten, wo es wirtschaftlich schlecht aussieht und die Menschen weniger Zugang zu kultureller Teilnahme haben, gibt es viel Missgunst und Groll. Und obwohl ich jahrelang an der Westküste war, kann ich immer noch diesen Ärger fühlen, wenn ich zum Beispiel einen hippen Coffeeshop sehe, der unglaublich teuer ist. Ich habe diesen Instinkt, den Menschen an diesen Orten auch haben. Die dann einfach denken: Fuck you."
    Musik: "Aryan Nation"
    Der Songtitel "Aryan Nation" spielt auf eine amerikanische Neonazi-Organisation an, die besonders in den Gefängnissen ihr Unwesen treibt und Männer rekrutiert. Erika Anderson hat einen alten Bekannten getroffen, der einige Zeit in Haft war, und sich anschließend gefragt, ob er sich wohl diesen Leuten angeschlossen hat. Geschrieben hat sie den Song deutlich vor Donals Trumps Wahl zum US-Präsidenten; im Nachhinein erschien er ihr aber dringlicher denn je, in einer Zeit mit zunehmendem Rassismus, Sexismus und Extremismus. Insbesondere, wenn sie auf die männlichen Teenager, die "Scumbag-Boys", in trostlosen Regionen wie South Dakota schaut.
    "Die sagen oft sehr schockierende Dinge. Zum einen, weil das Teenager einfach machen und zum anderen, weil sie sehr isoliert sind und sich über abstrakte Dinge beklagen. Und solche Tendenzen sehe ich in ganz Amerika zur Zeit. Wie Menschen über Minderheiten oder über verschiedene Religionen reden. Sie sprechen in dieser aufhetzenden Art, einfach dumm. Sie wissen noch nicht mal irgendwas darüber, sie sind so isoliert, dass all dies für sie eigentlich eine völlig abstrakte Bedrohung ist. Und ich sehe, wie diese Mentalität immer mehr über Amerika schwappt."
    "Exile In The Outer Ring" ist ein sehr politisches Album. Ein Schwerpunkt, der sich bereits im Titel andeutet: Die Folgen der Gentrifizierung. Immer mehr Menschen werden aus den teuren gesichtslosen Innenstädten gedrückt und gleichzeitig ziehen Landbewohner in die Nähe der Städte, um Arbeit zu finden.
    Dadurch entsteht der "äußere Ring", eine Gegend, in der auch Erika Anderson lebt.
    "Es wie ein neuer Ort. Eine Mündung von Menschen, die aus der Stadt gedrängt werden und diejenigen, die das Land verlassen müssen. Es ist viel diverser als in den Stadtzentren, wie ein neuer Vorort. Arm, vielfältig und voller Verrückter. Die Kultur landet allmählich dort, denn die Zentren werden immer mehr homogenisiert. Sie verlieren ihre Leuchtkraft und sehen alle gleich aus."
    Musik: I Wanna Destroy
    "Wenn ich an den "Outer Ring" denke, denke ich an einen typischen amerikanischen Ort. Das beschreibe ich im letzten Stück der Platte: Beige Teppiche, Jalousien, ein Decken-Ventilator, ein Appartement-Komplex… ich weiß nicht, ob es so was in Deutschland oder Europa auch gibt, aber für Amerika ist das ein sehr typischer Ort. Und auf der Platte geht es viel um die Transformationen, die tiefen Emotionen und Erzählungen, die in solchen sehr prosaischen Orten stattfinden."
    Musik: "When The Darkness Began"
    Auch wenn Musik und Texte auf EMAs neuestem Album häufig traurig, wütend und desillusioniert klingen, wie eigentlich all ihre Songs: Die Musikerin schreibt sich in diesem Noise-Epos mit all seiner Verwundbarkeit ihre Aggression und Verzweiflung von der Seele. Und: Sie hat Orte, wie den "Outer Ring" tatsächlich noch nicht aufgegeben.
    "Es ist dort einfach nicht hip oder modisch, eher hoffnungslos. Aber dennoch: Ich habe Hoffnung. Ich glaube, das könnte wirklich zu einem ganz erstaunlichen Ort werden."
    South Dakota machte mich wild und robust
    "Sagt man auf deutsch auch: Etwas formt den Charakter? Also meine Kindheit und Jugend hat mich teilweise zu der Person gemacht, die ich heute bin. Ich würde das auch nicht ändern wollen, manche Charakterzüge mag ich ja an mir. Aber ich möchte nicht zurück nach South Dakota gehen. Es wäre sehr schwer, mich dort wieder anzupassen."
    Musik: "Always Bleeds"