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Neues Album von Planningtorock
Mit Autotune zum wahren Ich

Mit androgyner Erscheinungsweise und verzerrter Stimme wurde Jam Rostron aka. Planningtorock zur Ikone der queeren Popmusik. Auf dem neuen Album "Powerhouse" arbeitet Rostron die Beziehung zur eigenen Familie auf.

Von Alexander Moritz | 17.11.2018
    Das Foto zeigt Jam Rostron alias Planningtorock bei einem Fotoshoot zum Album "Powerhouse"
    Auf dem neuen Album "Powerhouse" zeigt sich Jam Rostron aka. Planningtorock persönlich wie nie (Foto: Human Level / Goodyn Green)
    "Baby, I want you to know, that I feel transsome. Baby, I need you to know, that you feel transsome – so transsome tonight."
    "Transsome" - ein Song über transsexuellen Sex – obszön, poppig und mit elektronisch modulierter Gesangsstimme: So kennt man Planningtorock von früheren Alben.
    "It’s late, I’m all up at night, baby you touch me right, kissing my genders, in the bedroom light."
    "Das ist meine echte Stimme"
    Die tiefer gepitchte Stimme ist nicht nur so etwas wie das Markenzeichen von Planningtorock. Als Rostron vor einigen Jahren zum ersten Mal mit Stimmmodulatoren herumexperimentierte, war das eine Offenbarung.
    "Es war, als würde ich mich zum ersten Mal meine echte Stimme hören. Eine Stimme, mit der ich mich identifizieren kann. Deswegen habe ich total begeistert weiter an der Stimme herumgespielt, um meine Geschlechtsidentität besser zu verstehen. Das Pitchen diente also einem sehr persönlichen Zweck."
    Auf dem neuen Album "Powerhouse" zeigt sich Rostron persönlich wie nie. Schritt für Schritt schildert Rostron den Weg zur eigenen, queeren Identität – die sich nicht unter weiblich oder männlich fassen lässt.
    Der Mensch hinter der Kunstfigur
    War Planningtorock auf der Bühne bisher ein geschlechtsloses Alien - verfremdet durch Synthesizer, Masken oder eine übergroße Nasenprothese - blickt einen nun Jam Rostron an. Im Video zu "Transome" posiert Rostron vor der Kamera, ohne Maske, den Blick nachdenklich gesenkt. Erotisch, emanzipiert und doch verletzlich.
    "Die Alben haben mich bis zu diesem Punkt gebracht. Texte und Songs zu schreiben, in denen ich meine Geschichte teile – so habe ich mich Stück für Stück kennengelernt. Ich habe all diese Alben gebraucht, um zu mir selbst zu finden."
    "I feel a transformation, I feel a transformation in me."
    Wie hart es war, bis aus Janine endlich Jam wurde, kann man förmlich hören.
    "All those interspaces in me – I’m filling, filling up, up, up with me, me."
    Doch es gelang. Und selbst das Markenzeichen von Planningtorock, die gepitchte Stimme, legt Rostron auf dem neuen Album kurz ab.
    "In einem Song spreche ich mit der Stimme so wie jetzt auch. Das war mir sehr wichtig, damit Leute meinen Dialekt hören und verstehen, wo ich herkomme."
    "Back in the 80’s both me and me sister got given personal walkmans and it was a really big thing."
    Kindheitserinnerungen an den ersten Walkman und die Zeit mit Rostrons autistischer Schwester Beulah. Im Video zum Song sitzen die beiden mittlerweile um die 50-Jährigen gemeinsam im Auto und albern herum. Der Song "Beulah loves dancing" ist eine bemerkenswerte Liebeserklärung an die eigene Familie.
    "Beulah loves - dancing, has - always loved - music, yeah."
    "Meine Musik spiegelt wider, wo ich im Leben gerade befinde. Ich bin jetzt 47 Jahre alt und das war offenbar ein Zeitpunkt, mich mit bestimmten Dingen in meiner Kindheit und meiner Vergangenheit auseinanderzusetzen. Jetzt kann ich sie besser verstehen und meinen Frieden damit finden. Musik hat für mich einen großen Lerneffekt."
    "I’m ready to let it go ..."
    Ein Kind der Deindustrialisierung
    Aufgewachsen ist Rostron in einer Arbeiterfamilie nördlich von Manchester. Die Verhältnisse waren schwierig. Der Autismus der älteren Schwester wurde erst spät diagnostiziert, auch der Vater hatte eine bipolare Störung.
    "Das war ein starker Druck, der auf der Familie lastete. Es ist schwer, damit umzugehen und wir hatten kaum Mittel. Beratungsangebote oder gar Therapien gab es auch nicht. Manchmal war es wirklich sehr schwer. Dann wurde meiner Mutter Krebs diagnostiziert, Endstadium. Ich war damals fünf Jahre alt, sie 34. Man gab ihr noch sechs Monate zu leben. Aber sie ist heute noch hier – das zeigt ganz gut, wie viel "Power" sie hat."
    "Powerhouse" heißt dementsprechend der titelgebende Song des Albums, ein Dankeslied an Rostrons Mutter.
    "Even though it was hard times, you showed us how music could give us love. Oh mother, you’re a powerhouse."
    "Ich wollte meiner Mutter für ihre harte Arbeit und ihre Aufopferungsbereitschaft danken. Was uns durch viele schwere Zeiten geholfen hat, war viel Liebe und auch Humor – meine Familie ist sehr lustig – das hilft wirklich."
    Die Liebe der Familie siegt über Schmerz und schwere Zeiten – das ist zwar kitschig, doch es macht "Powerhouse" auch zu einem wunderbaren Popalbum: mit tanzbaren Beats und ergreifenden Geschichten. "Powerhouse" - eine Bereicherung.
    Die Bühnenperformance zum Album ist am 16. Januar im Berliner Technoclub Berghain zu sehen. Danach soll eine Tour mit Auftritten u.a. in Paris, Dresden und München folgen.