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US-Polizeigewalt
"Rassismus ist nie inhärent"

Keine Ermittlungen gegen den weißen US-Polizisten, der einen Schwarzen in Ferguson erschossen hatte: In der Justiz der Vereinigten Staaten gebe es ein Zwei-Klassen-System, sagte die Politologin Joyce Mushaben im Deutschlandfunk. Entscheidend sei jedoch nicht die Frage der Hautfarbe.

Joyce Mushaben im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 26.11.2014
    Ein brennendes Polizeiauto in Ferguson/Missouri während Protesten gegen die Entscheidung der Geschworenen, keine Anklage gegen den Polizisten zu erheben, der den schwarzen Jugendlichen Michael Brown erschossen hatte.
    61 Festnahmen, mehr als Hundert Schüsse - die Bilanz der Nacht nach der Entscheidung der Geschworenen in Ferguson. (AFP - Jewel Samad)
    Die Entscheidung der Geschworenen-Jury, keine Anklage gegen den Polizisten Darren Wilson zu erheben, offenbare die Klassenunterschiede in den USA, sagte die Politologin Joyce Mushaben von der University of Missouri-St. Louis im DLF. "Wer sich gute Anwälte leisten kann, wer in den besseren Nachbarschaften leben kann, wohnen kann, die kriegen natürlich die besseren Bildungsmöglichkeiten, die besseren Arbeitsmöglichkeiten - und das ist diese ungleiche Verteilung der finanziellen Ressourcen." Minoritäten seien die Unterprivilegierten in der Gesellschaft.
    Ursachen des weitverbreiteten Rassismus in den USA seien sowohl Stereotype in den Medien als auch die Trennung von Milieus, sagte Mushaben. "Der Rassismus hat damit zu tun, dass die Leute kaum Gelegenheit haben, bei diesen getrennten Nachbarschaften, die wir auf die 40er-, 50er-Jahre zurückführen können, die lernen sich nicht gegenseitig kennen. Wenn wir eher 'Community Policing' hätten, wo die Polizisten wirklich die Straßen rauf- und runterlaufen mussten, um abends mit den Nachbarn zu reden, dann könnte man natürlich eher Vertrauen aufbauen."

    Das vollständige Interview:
    Bettina Klein: Wir haben eingangs der Sendung schon auf die Proteste in den USA geschaut, die sich an den Entwicklungen in Ferguson entzündet haben, Proteste gegen Polizeigewalt, die zu oft Schwarze trifft.
    Die Politikprofessorin Joyce Mushaben lehrt an der Universität von St. Louis in unmittelbarer Nähe von Ferguson und mein Kollege Tobias Armbrüster hat mit ihr gestern Abend über den umstrittenen Spruch der Grand Jury gesprochen, die einen weißen Polizisten nicht anklagen wollte.
    Tobias Armbrüster: Professor Mushaben, zeigt uns dieses Urteil der Geschworenen-Jury, dass in der US-Justiz ein Zwei-Klassen-System herrscht?
    Joyce Mushaben: Ein Zwei-Klassen-System gibt es auf jeden Fall, aber das ist natürlich nicht dazu da, über rassistische Dinge zu urteilen, sondern das ist wirklich ein Klassensystem in dem Sinne, wer sich gute Anwälte leisten kann, wer in den besseren Nachbarschaften leben kann, wohnen kann. Die kriegen natürlich die besseren Bildungsmöglichkeiten, die besseren Arbeitsmöglichkeiten, und das ist diese ungleiche Verteilung der finanziellen Ressourcen, vor allem was unser Schulsystem anbetrifft, was die Ursache des Problems darstellt. Die meisten Weißen, die aus Ferguson entflohen sind, vor allem ab 2000, 2010, die gehen raus, weil die Schulsysteme dort im nördlichen Stadtteil inzwischen deren Akkreditierung verloren haben. Das wäre in Deutschland natürlich undenkbar, dass ein ganzes Schulsystem, ein ganzer Bezirk seine Akkreditierung für die Sekundärschule verliert.
    Armbrüster: Das heißt, wenn ich Sie richtig verstehe, das Problem von Michael Brown, wenn man das so sagen kann, war nicht seine Hautfarbe, sondern dass er einfach in einer armen Nachbarschaft gewohnt hat?
    Anderer Weg zu gleichen Bildungschancen
    Mushaben: Ja. Die Hautfarbe spielt nur insofern eine Rolle, als dass die Unterprivilegierten zum großen Teil auch Minoritäten sind, weil sie natürlich von vornherein zur Miete wohnen müssen, wenn sie da schlechtgestellt sind, und wenn sie dann zur Miete wohnen, kommt dann wenig Grundsteuer, die die Schulen finanzieren kann. Man kann das natürlich analytisch trennen. Das ist ein bisschen schwieriger in der Wirklichkeit. Aber ich glaube trotzdem, dass wir ganz andere Wege finden müssen, um allen gleichzeitig die gleichen Bildungschancen zu geben und Arbeitschancen und Ausbildungschancen und so weiter und so fort. Die Hautfarbe spielt insofern eine Rolle, als man natürlich ständig im Fernsehen, in den Medien, in den Filmen immer wieder mit solchen rassistischen Stereotypen konfrontiert wird. Zu dem kommt natürlich auch die Tatsache, dass diese Waffengewalt, dass man praktisch ohne Lizenz, ohne Ausbildung, ohne irgendwas sich eine Pistole oder noch was anschaffen kann. Dann ist es auch zu verstehen, dass ein Polizist ein bisschen zu schnell darauf reagiert in der Angst, wenn irgendeiner seine Hand bewegt, dann greift er gleich nach einer Pistole. Das erklärt aber nicht, warum der Wilson in diesem Falle nichts anderes hatte als seine Pistole, keinen Taser und nichts dergleichen.
    Armbrüster: Wir hören ja nun immer wieder von solchen Fällen, dass schwarze Jugendliche von Polizisten oder von Sicherheitskräften in den USA mit Schusswaffen angegangen werden, teilweise auch erschossen werden, so wie in diesem Fall. Hat die amerikanische Polizei ein Problem mit Rassismus? Ist es sozusagen inhärent in der amerikanischen Polizei?
    "Die Leute haben kaum Gelegenheit sich kennenzulernen"
    Mushaben: Ich würde nie sagen, dass der Rassismus irgendwie inhärent wird. Entweder ist das anerzogen, oder man hat ja eigentlich nicht die Gelegenheit, mal Leute aus anderen Teilen der Stadt kennenzulernen. Das Hauptproblem in Ferguson und auch in anderen Vierteln hier in St. Louis ist, dass die Polizei natürlich sehr stark weiß betont ist, weil die die Leute nicht rekrutieren können. Die Polizisten werden zum Teil auch gezwungen, in den Nachbarschaften zu wohnen, wo sie arbeiten. Das wollen die meisten nicht wegen der schlechten Schulsysteme, das vor allem in der Innenstadt. Dieser Rassismus hat damit zu tun, dass die Leute kaum Gelegenheit haben bei diesen getrennten Nachbarschaften, die wir auf die 40er-, 50er-Jahre zurückführen können, die lernen sich nicht gegenseitig kennen. Wenn wir eher ein Community Policing hätten, wo die Polizisten wirklich die Straßen rauf und runter laufen müssten, um ab und zu mal mit den Nachbarn zu reden, dann könnte man eher ein bisschen das Vertrauen aufbauen. Aber wenn sie natürlich nur im Auto dasitzen und jeder, der vorbeizieht, ist womöglich bewaffnet, dann kann das natürlich nicht positiv ausgehen.
    Armbrüster: Was schlagen Sie denn vor? Was müsste jetzt passieren?
    Mushaben: In diesem Bundesland bin ich jetzt schwer überfragt. Unser Landtag hat kein Interesse daran, Waffenbesitz irgendwie einzuschränken. Zweitens ist unser Landtag auch so orientiert, dass keine Steuer eine gute Steuer sein kann, und insofern diese kleinen Kommunen, die bluten richtig aus. Ich meine, wenn Ferguson zum Beispiel etwa 25 Prozent seiner Ressourcen aus den Verkehrsdelikten, aus den Parking Tickets, aus den Gerichtsverfahren beziehen muss, um überhaupt als Kommune überstehen zu können, dann haben wir natürlich ein viel tieferes Problem mit dem Finanzausgleich in diesem, meinem Lande.
    Klein: ..., sagt Joyce Mushaben - sie ist Politikprofessorin an der Universität von St. Louis - über die Entwicklungen in Ferguson und die Hintergründe. Mit ihr sprach mein Kollege Tobias Armbrüster.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.