Freitag, 29. März 2024

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US-Rassismusdebatte
"Obama ist kein Zauberer"

Unruhen in Ferguson, die Amerikaner streiten wieder über Rassismus in ihrem Land: Die Kluft zwischen den Gruppen in der US-Gesellschaft sei geringer geworden, sagte der US-Politologe Jackson Janes im Deutschlandfunk. Obama sei die Personifizierung dessen. Aber viele seien auf der Strecke geblieben.

Jackson Janes im Gespräch mit Dirk Müller | 20.08.2014
    In der US-Kleinstadt Ferguson nimmt die die Polizei einen schwarzen Demonstranten fest.
    In der US-Kleinstadt Ferguson nimmt die die Polizei einen schwarzen Demonstranten fest. (AFP / Michael B. Thomas)
    Die tödlichen Schüsse eines weißen Polizisten auf einen schwarzen Jugendlichen wie in der US-Kleinstadt Ferguson seien leider erwartbar gewesen, sagte Janes im DLF. Die Vorfälle in Ferguson seien "leider keine Ausnahme, das ist eine Fortentwicklung von der schmalen Gratwanderung in dieser Gesellschaft". Ferguson "ist ein exemplarisches Beispiel, wie weit wir gekommen sind, aber wie weit wir noch laufen müssen", sagte der Leiter des American Institutes for Contemporary German Studies (AICGS).
    Auch ein Präsident Obama könne die gesellschaftlichen Spannungen nicht wegzaubern, sagte Janes. Die Probleme müssten nicht auf Bundesebene gelöst werden, sondern in den Kommunen. "Wir haben riesige Probleme quer durch das Land: wirtschaftlich, politisch, kulturell, aber auch zwischen den Rassen." Diese Spaltung sei nun schon 200 Jahre alt; darüber habe es vor 150 Jahren einen Bürgerkrieg gegeben. Obama sei die Personifizierung, dass die Kluft geringer geworden sei. "Wie viele Afroamerikaner sind in den letzten Jahren ganz weit voran gekommen, vorne weg der Präsident von Amerika. Aber wie viele sind zurückgelassen!"
    Die bestehenden "sozialen Schichtungen" führten immer wieder zu solchen Vorfällen wie nun in Ferguson, sagte Janes. "Die Grundbedingungen in der Gesellschaft führen dazu, dass viele Leute sich in einem Teufelskreis befinden. Wir müssen in diesen Teufelskreis hineinbrechen und das beenden. Und das ist eine Aufgabe, die sehr lange dauern kann."

    Das Interview mit Jackson Janes in voller Länge:
    Dirk Müller: Die Fernsehbilder stammen nicht aus den Townships Südafrikas, wir sind ja auch nicht mehr in den 80ern oder Anfang der 90er-Jahre – wir sind im Sommer 2014 in den USA, in Missouri. Rohe Gewalt bis in die frühen Morgenstunden, seit neun Tagen, seit zehn Tagen Gewalt jeden Tag, Proteste, Angriffe schwarzer Bürger gegen die Polizei und auch umgekehrt, eine Art Kleinstadt-Bürgerkrieg, so hat jetzt eine amerikanische Zeitung das Ganze beschrieben, ausgelöst durch die tödlichen Schüsse eines weißen Polizisten auf einen unbewaffneten schwarzen Jugendlichen, Michael Brown, 18 Jahre alt. Die Nationalgarde ist extra angerückt, Barack Obama hat sich eingeschaltet, ruft auf, besonnen zu sein, friedlich zu demonstrieren. Sie ist demnach wieder ganz oben auf der Agenda, die Rassismusdebatte in den USA. In Washington haben wir vor knapp zwei Stunden den amerikanischen Politikwissenschaftler Jackson Janes erreicht vom Institute for Contemporary German Studies. Missouri 2014 – haben Sie, Herr Janes, mit so etwas gerechnet?
    Jackson Janes: Leider ja. Ich meine, Missouri ist ein Punkt in einer langen Kette. Vor einiger Zeit hatten wir Trayvon Martin in Florida, vor 20 Jahren hatten wir Rodney King. Das ist nicht – leider – eine Ausnahme, das ist manchmal eine Fortentwicklung von der schmalen Gratwanderung in diese Gesellschaft, die wir nach wie vor haben.
    Und ich glaube, es wird leider wahrscheinlich nicht das letzte Mal, dass wir in diese Phase kommen. Insofern – ich glaube, es ist ein exemplarisches Beispiel, wie weit wir gekommen sind, aber wie weit wir noch laufen müssen, mit Rassismus umzugehen in Amerika.
    Obama hat nie gesagt, dass er ein schwarzer Präsident ist
    Müller: Viele in Europa, viele in Deutschland, die mit großem Interesse diese Entwicklung verfolgen, haben gedacht, seit Barack Obama ist alles anders.
    Janes: Das ist dann eigentlich eine Fehlschätzung. Obama wurde nicht mit einem Zauberstock ausgerüstet, als er vereidigt war in 2008. Und außerdem hat er nie gesagt, dass er ein schwarzer Präsident ist sozusagen. Er hat ja gesagt, ich bin Präsident von den Vereinigten Staaten von Amerika. Dass er das nicht irgendwie wegzaubern kann, die Spannungen, die da in dieser Gesellschaft herrschen, das ist, glaube ich, eine Selbstverständlichkeit. Und zum Teil ist auch die Frage, inwieweit das nicht nur auf Bundesebene zu erledigen ist, sondern auf Stadt- und auf Gemeindeebene. Wir haben riesige Probleme quer durch das Land, wirtschaftlich, politisch, kulturell, aber auch zwischen den Rassen. Und das ist nicht neu. Das ist dann uralt, das ist 200 Jahre alt.
    Müller: Wir haben aber immer gedacht, viele in Europa, viele in Deutschland: Das ist der erste schwarze Präsident – so ist er ja auch etikettiert worden, so ist er ja auch in den USA letztendlich antizipiert worden, von vielen jedenfalls – und das ist ja ein historisches Faktum. In Wirklichkeit, sagen Sie, ist er gar kein schwarzer Präsident.
    Janes: Er ist ja einer von vielen – die Leute, die eigentlich in diesen letzten 40 Jahren, die ich eigentlich dann überblicke ist ein Mann, der ein afroamerikanischer Präsident geworden ist, das ist eine riesige Leistung, und denken Sie mal dran, dass der Justizminister ein Afroamerikaner ist. Wir haben zwei Außenminister, die Schwarzamerikaner waren. Ich glaube, wir haben sehr viel erreicht und Obama ist die Personifizierung davon. Aber das heißt lange nicht, dass quer durch die Gesellschaft die Entwicklungen in einer wirtschaftlichen, kulturellen, politischen Art auf einmal wegzaubern kann, was alles dann hier ansteht. Wir haben noch viel zu erledigen, aber Obama ist ein Schritt in die richtige Richtung, gar keine Frage. Aber der ist ja kein Zauberer.
    Müller: Sie sagen, Jackson Janes, 200 Jahre alt ist dieser Konflikt, seit 40 Jahren ist die Bürgerrechtsbewegung zumindest ja in vielen formalen Punkten einen großen Schritt vorangekommen.
    Janes: Ja.
    Rassismus ist eine wirtschaftliche Angelegenheit
    Müller: Jetzt gibt es Barack Obama. Warum ist der Rassismus, wenn er denn noch so verankert ist, immer noch so tief vorhanden?
    Janes: Es ist zum Teil auch wegen der geschichtlichen. Denken Sie mal dran, vor 150 Jahren hatten wir einen Bürgerkrieg über gewisse Themen, die in diese Richtung noch passen. Wir haben ja keine Sklaverei mehr, aber wir haben wirtschaftliche Asymmetrien in dem Lande, und die betreffen natürlich auch Minoritäten, unter anderem Schwarzamerikaner. Und da müssen wir damit umgehen. Das ist dann eigentlich im Grunde genommen eine wirtschaftliche Angelegenheit für die gesamte Gesellschaft. Wie viele Afroamerikaner sind in den letzten 40 Jahren ganz weit vorangekommen, vorneweg der Präsident von Amerika? Aber wie viele sind zurückgelassen? Und das ist die große Aufgabe, die wir haben.
    Müller: Ist dort die Enttäuschung bei den Zurückgelassenen jetzt in dieser Situation besonders tief?
    Janes: Ich weiß nicht genau, ob es besonders tief ist. Ich meine, es geht nur darum, dass das Problem nicht mit der Wahl von Präsident Obama alles mehr oder weniger gelöst werden sollte. Er hat ja davon gesprochen am Anfang, dass wir nicht schwarz, dass wir nicht weiß, dass wir nicht rot, dass wir nicht blau sind – wir sind alle Amerikaner. Aber das ist ein Traum, und dieser Traum bleibt nach wie vor ein Ziel, aber es ist längst nicht erreicht.
    Müller: Es wird ja immer viel über die schwarze Partizipation, über die Partizipation der afroamerikanischen Gesellschaft diskutiert, also wie gut ist man wirtschaftlich, wie erfolgreich ist man wirtschaftlich? Sie haben es gerade, Herr Janes, ja auch angesprochen. Eine Zahl ist da interessant, die nicht überall bekannt ist, möchte ich noch mal nennen, auch für unsere Hörer:
    Zurückgelassene Bevölkerung ist das Problem
    Der Bevölkerungsanteil der schwarzen Minderheit in den Vereinigten Staaten beträgt 13 Prozent. Da werden viele doch noch einmal nachdenken und sagen: Nur 13 Prozent? Viele gehen von 20, 30, 40 Prozent aus. 13 Prozent. Und es ist ja offenbar auch in den Vereinigten Staaten eine große Diskussion und Auseinandersetzung, die jetzt wieder aufbricht. Das heißt: Hier ist eine Minderheit, die doch mehr Rechte und Partizipation fordert – das ist jetzt meine Frage, Fragezeichen –, als dass ihr vom Anteil zusteht?
    Janes: Ach, das glaube ich nicht unbedingt – meiner Meinung nach eine berechtigte Klärung. Ich meine, jeder Bürger hat einen Anspruch auf Beteiligung an der Gesellschaft, egal welche Farbe und egal wie viele Prozent das ausmacht. Die Frage ist, wie viele in diesen bestimmten Minoritäten tatsächlich dann zurückgeblieben sind in einer Gesellschaft, wo mehr oder weniger der Mythos ist, dass wir alle irgendwie doch mal uns gegenseitig helfen sollen. Und hier ist dann, glaube ich, dann wieder mal – sage ich noch mal – die wirtschaftliche Lage, diese sozialen Schichtung, die jetzt besteht, in Amerika, ist gravierend schwierig. Und sehr viele Leute in Ferguson, Massouri oder auch in vielen anderen Städten, viele junge schwarze 18-Jährige, 16-Jährige wie Mr. Brown, die sind davon betroffen. Oder wie viele Leute sind im Gefängnis, die Schwarzamerikaner sind? Hier müssen wir anpacken, hier müssen wir suchen, nicht unbedingt, wie dieser Polizist diesen jungen Mann erschossen hat, nicht nur, sondern wir müssen eingehen, fragen, welche Basis die Gesellschaft hat, die dazu führt, dass diese Ecken von Armut und zum Teil zurückgelassene Bevölkerungen ... wir wir denen helfen können – eine Aufgabe, die uralt ist.
    Müller: Schauen wir noch mal auf die Prozente, Jackson Janes. Das heißt also, die Schwarzen sind innerhalb ihrer Minderheit nach wie vor, wenn es um wirtschaftliche, soziale, kulturelle Indikatoren geht, nach wie vor ganz besonders arm, ganz besonders außerhalb der Gesellschaft?
    Janes: Nein, nicht alle. Ich meine, sehr viele sind in den letzten Jahren sehr weit vorangekommen, und wie gesagt, noch mal: Die Person Obama personifiziert das. Da ist sehr viel passiert in den letzten 40, 50 Jahren. Aber ich will nur sagen, das Problem ist nach wie vor die Frage: Wie kriegen wir die Leute, die zurückgelassen sind? Und es sind nicht nur die Schwarzamerikaner, es sind auch weiße Amerikaner, es sind auch hispanische. Wir brauchen eigentlich das gesamte gesellschaftliche Bild irgendwie vor Augen zu führen und zu fragen: Was können wir tun, damit alle Leute irgendwie eine Chance haben, nicht nur einige?
    Viele Leute befinden sich in einem Teufelskreis
    Müller: Noch eine Zahl: Die Wahrscheinlichkeit, dass ein schwarzer junger Mann getötet wird – das haben wir im Internet gefunden –, ist sieben Mal höher, als dass ein weißer Mann getötet wird.
    Janes: Ja. Ich meine, es ist die Frage, die natürlich gestellt wurde: Was wäre passiert, wenn der junge Mann, der erschossen wurde, weiß wäre und der Polizist schwarz wäre? Was wäre eigentlich dann passiert? Ich glaube, dass die Zahlen für sich sprechen. Das ist dann das Problem, das wir haben, dass die Grundbedingungen der Gesellschaft dazu führen, dass viele Leute in einem Teufelskreis sich befinden, und wir müssen doch diesen Teufelskreis einbrechen und das beenden. Und das ist dann eine Aufgabe, die sehr lange dauern kann.
    Müller: Herr Janes, ich muss noch was fragen, also das haben wir auch gestern gelesen – ist das so? Die Gewalt unter Schwarzen ist nach wie vor die Gewalt mit der höchsten Quote in den Vereinigten Staaten.
    Janes: Es ist ja leider so, dass dann zum Beispiel in der Stadt wie Chicago, wo fast tagtäglich Schießereien passieren, dass diejenigen Minoritäten, die betroffen sind, entweder afroamerikanisch oder manchmal hispanisch sind. Und das ist, wie gesagt, wiederum die Frage von wirtschaftlicher und sozialer Arbeit, die damit zusammenhängt: Wie kriegen wir diesen Teufelskreis durchbrochen?
    Müller: Der amerikanische Politikwissenschaftler Jackson Janes vom Institute for Contemporary German Studies.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.