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US-Regierung "großer PR-Coup gelungen"

Der Politikprofessor Thomas Jäger beurteilt das Abrüstungsabkommen zwischen USA und Russland nicht ausschließlich positiv. Der US-Regierung sei ein großer PR-Coup gelungen, indem sie den START-II-Vertrag in die Vision einer atomwaffenfreien Welt eingebettet habe. Gleichzeitig sei es möglich, dass die Regierung durch die neue Strategie mehr Mittel für konventionelle Kriegsgeräte zur Verfügung habe.

Thomas Jäger im Gespräch mit Silvia Engels | 08.04.2010
    Silvia Engels: Seit dem Ende des Ost-West-Konflikts hat sich die Bedeutung der Atomwaffenarsenale der USA und Russlands verändert. Ging es früher darum, zwischen den zwei Supermächten ein glaubwürdiges Gleichgewicht der Abschreckung aufrechtzuerhalten, haben die riesigen Atomwaffenarsenale in der heutigen, in der multilateralen Welt einen deutlich geringeren strategischen Nutzen. Dem tragen heute Moskau und Washington Rechnung.

    In Prag unterzeichnen soeben die Präsidenten Russlands und der USA, Medwedew und Obama, das Nachfolgeabkommen von START II. Damit ist nun das weitreichendste Abrüstungsabkommen seit Jahren unter Dach und Fach.

    Soeben schüttelten sich in Prag die Präsidenten Obama und Medwedew die Hände. Das Nachfolgeabkommen zu START II ist unter Dach und Fach. Mitgehört hat Thomas Jäger. Er ist Professor für internationale Politik an der Universität Köln. Guten Tag, Herr Professor Jäger!

    Thomas Jäger: Ich grüße Sie, Frau Engels.

    Engels: Ist das Abkommen heute nur eine bürokratische Fortschreibung oder eine echte Verbesserung in der Abrüstung?

    Jäger: Es ist ja sehr häufig als historisch bezeichnet worden, und das ist es sicher in dem Sinn, als dass die Vereinigten Staaten und Russland ja aufeinander zugegangen sind. Sie sind es aber nur genau in dem Maße, wie es ihren Interessen entspricht.

    Das heißt das, was vereinbart wurde, ist eigentlich das, was in beider Interesse liegt, das, was beide wollen, und sie wollen das vor allem deshalb, weil sie die Nuklearwaffen nicht mehr brauchen, auf die sie jetzt vorgeblich verzichten, sondern weil sie verstärkt konventionelle Mittel brauchen und zum Teil auch schon in der Entwicklung sind. Und wenn man konventionell erreichen kann, was man früher nuklear erreichen wollte oder musste oder meinte zu können, dann kann man eben auf diese Waffen verzichten.

    Engels: Schauen wir noch mal genau auf den Vertrag. Die Langstreckenwaffen sind es, die atomare Sprengköpfe tragen, die damit weiter reduziert werden. Sie sagen, man braucht diese Waffensysteme nicht.

    Geht es also nur darum, Geld zu sparen, oder: Präsident Obama hat ja auch schon angebracht, dass es einfach sicherer sei, diese Systeme abzurüsten, weil sonst die Gefahr möglicherweise von Nukleardiebstahl besteht?

    Jäger: Ja, da spielt vieles zusammen. Geld ist ohne Frage ein wichtiges Motiv. Die Waffen waren alt, sie mussten erneuert werden. Das Zweite ist: Die Sicherheit des nuklearen Materials muss weiterhin gewährleistet werden. Über die 2600 auf russischer Seite und 2100 auf amerikanischer Seite gibt es ja noch viele, viele Tausend nukleare Sprengköpfe, die derzeit gesichert werden müssen. Vor allem aber gibt es in den Vereinigten Staaten seit dem Jahr 2001 ein Programm, das darauf abzielt, Langstreckenwaffen mit konventionellen Gefechtsköpfen zu bestücken, um die gleiche Wirkung zu erzielen und sie sogar möglicherweise noch eher einsetzen zu können, als die nukleare Schwelle zu überschreiten.

    Auf russischer Seite ist es so, dass sich nach dem Ende des Ost-West-Konflikts das sicherheitspolitische Interesse vor allem in den postsowjetischen Raum konzentriert hat, wo man als Hegemonialmacht wahrgenommen werden will, wo man auch durch den Ausstieg aus dem Vertrag über konventionelle Rüstung 2007 nun die Hände frei hat, stärker in konventionelle Rüstung zu investieren.

    Engels: Wie sehen Sie die Perspektiven, wenn wir mal beim atomaren Bereich bleiben, dass diese Fortschritte noch weiter fortgeführt werden, heißt die weitere Reduzierung von Atomwaffen?

    Jäger: Momentan ist es so, dass sich die beiden großen Atommächte auf diese 1550 geeinigt haben. Man muss sehen: Der Abstand zum nächsten, zu China mit etwa 180 Sprengköpfen, ist so groß, das ist eine sehr sichere Entfernung. Indien, Pakistan mit 70 und 80 Sprengköpfen sind weiter hinten dran.

    Das heißt, hier hat man sich die Dominanz auf der einen Seite gesichert. Auf der anderen Seite finde ich es sehr verwunderlich, jetzt zu argumentieren, der Druck auf Staaten wie Nordkorea und Iran würde größer werden, auf die nukleare Entwicklung zu verzichten. Im Gegenteil!

    Ich sehe, dass diese Staaten jetzt erst recht erkennen, dass sie gar keine andere Möglichkeit haben, ihre Sicherheit zu gewährleisten, dass also möglicherweise auch im Zusammenhang mit der Nuklearstrategie, die Obama vor wenigen Tagen verkündet hat, hier der Druck auf diese Regierungen noch gestiegen ist, die Sicherheit autonom zu gewährleisten.

    Engels: Bundesaußenminister Westerwelle sieht mit dem Abkommen heute auch eine Chance, mittelfristig die letzten US-Atomwaffen aus Deutschland abzuziehen. Ist das realistisch?

    Jäger: Das ist eine realistische Option, wobei man hier sehen muss, dass aus der amerikanischen Regierung verlautbart ist, dass es bei einer ganzen Reihe auch von europäischen Verbündeten Schwierigkeiten mit diesem Vertrag gab, weil man die erweiterte Abschreckung, also den nuklearen Schutzschirm über Europa, nun brüchig werden sieht. Das ist ja ein ganz grundsätzliches Problem gewesen, wird derzeit auch in der Strategieentwicklung der NATO diskutiert, welchen Stellenwert haben Nuklearwaffen für das Bündnis.

    Das werden wir im Herbst noch intensiver sehen, auf was man sich da einigen kann. Aber möglicherweise werden sie aus Deutschland abgezogen. Andere Staaten werden davon nicht begeistert sein.

    Engels: Herr Professor Jäger, Sie haben es schon mehrfach angesprochen: atomare Abrüstung ist das eine; auf der anderen Seite würden jetzt wieder Trägersysteme und auch Gelder frei, um konventionell aufzurüsten.

    Kritiker argumentieren ohnehin, da könnten Kriege wieder führbarer werden. Also möglicherweise nicht ein Schritt hin zu mehr Sicherheit?

    Jäger: Das ist das, was wir eben noch nicht wissen. Was wir wissen ist, dass der amerikanischen Regierung ein großer PR-Coup gelungen ist, indem sie diesen Vertrag einbettet in die Vision einer atomwaffenfreien Welt. Das ist ja eine bestimmte Interpretation. Die muss man nicht teilen.

    Aus meiner Sicht ist der Vertrag nicht mehr als die Feststellung der Interessenlage der USA und Russlands, und das kann eben auch in die von Ihnen jetzt angedeutete Richtung gehen, dass nämlich Kriege führbarer werden, dass man Mittel frei hat für die konventionellen Waffen, die man jetzt entwickeln muss, um sie dann möglicherweise auch einsetzen zu können.

    Engels: Sie haben es angedeutet: Möglicherweise fühlen sich jetzt potenzielle Atomstaaten wie der Iran eher noch darin gestärkt, die eigenen Entwicklungen voranzutreiben.

    Könnte man aus diesem Schulterschluss zwischen USA und Russland nicht auch den Schluss ziehen, dass man jetzt auch strategisch zusammengeht, um gegen diese Staaten möglicherweise diplomatisch härter vorzugehen?

    Jäger: Da bin ich eher skeptisch, denn die Interessenlage, die jetzt deutlich wird, dass man sagt, wir einigen uns darauf, Waffenarsenale zu reduzieren, ist ja doch nur ein Teil der staatlichen Politik. Es geht um Energiesicherheit, um ökonomische Interessen, um Allianzen in bestimmten regionalen Zusammenhängen, und da sind die Interessenlagen der Vereinigten Staaten und Russlands, aber auch Chinas, das hier dann mit ins Spiel kommt, noch sehr unterschiedlich.

    Ich sehe nicht, dass dies nun ein Schritt ist zu härteren Sanktionen, die dann dazu führen sollen, den Iran davon abzuhalten, die nukleare Option sich offenzuhalten. Ich kann das nicht erkennen.

    Engels: Vielen Dank! Einschätzungen von Thomas Jäger, Professor für internationale Politik an der Universität Köln. Ich bedanke mich für das Gespräch.

    Jäger: Ganz herzlichen Dank.