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US-Strafzölle
"Der Druck kommt jetzt nach Europa"

US-Präsident Donald Trump liege mit seiner Handelspolitik "komplett daneben", sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Martin Wansleben, im Dlf. Europa müsse jetzt gemeinsam mit anderen Mitgliedern der Welthandelsorganisation darüber nachdenken, wie man die Organisation wieder stärken könne. Ausnahmeregelungen seien keine Lösung.

Martin Wansleben im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 02.05.2018
    Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer Deutscher Industrie- und Handelskammertag, in der Bundespressekonferenz in Berlin
    Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer Deutscher Industrie- und Handelskammertag (imago / Metodi Popow)
    Tobias Armbrüster: Wir wissen es seit gestern Morgen: Das Pokerspiel um die Strafzölle geht weiter. US-Präsident Donald Trump hat in letzter Minute entschieden – eine Entscheidung über solche Zölle auf europäische Stahl- und Aluminiumexporte soll erst in vier Wochen fallen. Vier Wochen also, die noch bleiben, um weiter mit den USA zu verhandeln. Was heißt das alles jetzt für die deutsche Wirtschaft?
    Am Telefon ist jetzt Martin Wansleben, der Vorsitzende des Deutschen Industrie- und Handelskammertages. Schönen guten Morgen, Herr Wansleben!
    Martin Wansleben: Hallo, Herr Armbrüster. Guten Morgen!
    Armbrüster: Herr Wansleben, lässt der amerikanische Präsident die deutsche Industrie hier zappeln?
    Wansleben: Zumindest sind die Stahl- und Aluminiumhersteller natürlich unmittelbar betroffen. Da muss man gar nicht drum herumreden. Das ist für die schon ein ernstes Problem.
    Darüber hinaus – ich glaube, das ist das Entscheidende – benimmt sich ja Amerika so, als ob es WTO-Regeln überhaupt nicht gäbe, als ob es ein gutes Geflecht nicht gäbe. Sie ersetzen gutes Recht durch das Gesetz des vermeintlichen Stärkeren. Das wird so nicht funktionieren. Und das schwächt uns natürlich im Moment, weil der Druck jetzt nach Europa kommt. Wir waren bislang gewohnt, dass Gutes aus dem Westen kommt, aus Amerika. Das löst jetzt Herr Trump ab. Wir müssen uns jetzt als Europäer auf unsere Stärken besinnen und stärker agieren.
    Armbrüster: Heißt das jetzt, Sie sehen voraus, dass die Handelsbeziehungen zwischen Europa und den USA generell schwieriger werden?
    Wansleben: Zumindest sind diejenigen, die im Moment was zu sagen haben, der Wirtschaftsminister, Herr Lighthizer, der Verhandler, sage ich jetzt mal, und Herr Trump, nicht diejenigen, die die Weltordnung, die Welthandelsordnung retten werden. Das müssen wir jetzt übernehmen. Ich glaube, das ist fast die entscheidende Chance. Im Moment gucken wir ein bisschen wie das Kaninchen auf die Schlange nach Amerika und überlassen auch das Agenda-Setting Herrn Trump. Das sollten wir jetzt mal ändern! Ich bin sehr dafür, dass Europa jetzt alle anderen WTO-Mitglieder einlädt und sagt, lasst uns mal überlegen, wie wir die WTO wieder stärken können, und lasst uns überlegen, wie eine Weltordnung aussieht, die besser funktioniert als eine Weltordnung, wie offensichtlich Herr Trump sich das vorstellt, nämlich einzelne Deals mit Ausnahmen. Das alles funktioniert ja überhaupt nicht und verstößt gegen die WTO.
    "Wir müssen jetzt sicherlich auf Russland zugehen"
    Armbrüster: Sie sagen jetzt, die WTO einladen. Stellen Sie sich da konkret was vor? Eine außerordentliche Sitzung oder eine zusätzliche Kampagne?
    Wansleben: Ja. Ich meine, die WTO beschließt mit Einstimmigkeit, aber man kann ja informell alle einladen. Das wäre wunderbar, wenn wir uns alle in Genf treffen würden und dann überlegen würden, was können wir tun. Die Amerikaner sind ausgestiegen aus dem asiatischen Freihandelsabkommen TPP. Vielleicht müssten die Europäer mal überlegen, ob wir stärker da einsteigen. Wir müssen jetzt sicherlich auf Russland zugehen, sicherlich auf China zugehen, sicherlich auf Indien zugehen und auch Südamerika, Afrika nicht vergessen. Das ist jetzt unsere Aufgabe. Die Amerikaner werden das für uns nicht mehr erledigen.
    Armbrüster: Was heißt das denn jetzt konkret zunächst mal für die deutsche Wirtschaft, wenn dieser Streit vier Wochen weiterschwelt, wenn da jetzt vier Wochen weiter erst mal vor allem debattiert wird?
    Wansleben: Für die unmittelbar betroffenen Unternehmen der Stahl- und Aluminiumindustrie ist das alles überhaupt nicht gut, weil das alles mit Unsicherheiten versehen ist. Auf der anderen Seite ist natürlich Unsicherheit mit der Hoffnung, dass es besser kommt, immer noch besser als die Gewissheit, dass es schlecht gekommen ist. Ich glaube, das muss man auch ganz deutlich sagen. Insofern sind wir jetzt gehalten, die Chancen auch zu nutzen.
    Auf der anderen Seite, darf man auch nicht vergessen, gibt es in den USA durchaus kontroverse Diskussionen. Ich habe mir das eben extra noch mal angeguckt in Vorbereitung des Gesprächs. Da gibt es ja sehr viele, die sagen, die Masse der Konsumenten auch für amerikanische Produkte wohnt jenseits der amerikanischen Grenzen. Da gibt es viele, die sagen, NAFTA ist wunderbar, TPP wäre gut gewesen und TTIP mit Europa wäre auch die Rettung gewesen. Es ist jetzt nicht so, dass nur Herr Trump, Herr Ross und Herr Lighthizer dort die Diskussion führen, sondern es gibt auch massive Gegenstimmen gegen die Politik der aktuellen Administration. Insofern haben wir da auch Verbündete für ein vernünftiges Freihandelssystem.
    Ich möchte noch einen wichtigen Punkt ansprechen, der mir persönlich Sorgen macht. Das ist die Frage, was wird eigentlich aus den USA. Wir sind von sich entwickelnden Ländern gewohnt, dass die versuchen, Teile ihrer Industrie zu schützen, aber doch nicht von einer Industrie- und Wirtschaftsnation wie die USA. Das heißt, mir scheint, dass die USA nicht mehr an die eigene Stärke glauben, sondern hier voll in die Defensive gehen. Und was das dann für den Dollar bedeutet, das muss man sich auch angucken, erst recht vor dem Hintergrund, welchen Einfluss die Chinesen auf den Dollar haben. Ich bin mir nicht im Klaren darüber, ob die amerikanische Administration – viele Amerikaner wissen das natürlich – sich wirklich im Klaren darüber ist, wie sehr sie zu Lasten der USA mit dem Feuer spielen.
    Armbrüster: Herr Wansleben, wenn ich Sie richtig verstehe: Sie möchten gerne, dass man den USA in diesem Streit entschlossen gegenübertritt, auch geschlossen, auch auf WTO-Ebene, dass sich Deutschland da mit anderen Verbündeten zusammentut.
    Wansleben: Ja, eindeutig. Wir haben ja keine bessere Alternative, Herr Armbrüster. Denn sonst schwächen wir die WTO ebenfalls. Das ist für uns noch schlechter.
    "Nichts tun, was die WTO schwächt"
    Armbrüster: Na ja. Es gibt jetzt einige Leute, die sagen, Donald Trump hat eigentlich mit diesem Kurs gar nicht mal so unrecht. Da läuft zurzeit einiges schief mit Zöllen und auch mit Exportüberschüssen, vor allen Dingen mit den deutschen Exportüberschüssen, lasst uns doch einfach mit ihm reden, lasst uns zwischen EU und den USA das aushandeln, dass wir da einfach gegenseitig neue Spielregeln finden und dass wir es auch irgendwie hinkriegen, dass die deutschen Exporte in die USA vor allen Dingen in dieser Branche nicht mehr ganz so stark steigen. Was hielten Sie von einer solchen Lösung?
    Wansleben: Ich tue mich gerade bei der Frage von Handel unheimlich schwer mit der Ausgangshypothese, Donald Trump hätte irgendwo recht. Ich sehe überhaupt nirgendwo, wo er recht hat, zumindest was die Handelspolitik angeht. Da liegt er meines Erachtens komplett daneben.
    Das Zweite ist: Wir können nur Dinge tun, die die WTO stärken, und nichts tun, was die WTO schwächt. Wenn wir jetzt irgendwelche Ausnahmeregelungen mit den USA verhandeln, dann gibt es ja innerhalb der WTO die Meistbegünstigkeitsklausel. Das heißt: Alles das, was wir mit den Amerikanern verhandeln, gilt dann für alles. Für die Europäer gibt es keine bessere Alternative, als den Amerikanern klar zu sagen, wir bewegen uns ausschließlich im Rahmen der WTO. Und das Zweite ist: Wir müssen alle anderen WTO-Mitglieder versuchen zu motivieren, dass wir alle zusammenkommen und jetzt die Chance nutzen, die fast, muss man sagen, der Angriff der USA auf die WTO mit sich bringt, um zu gucken, dass wir jetzt die WTO stärken. Das ist meines Erachtens die einzige Antwort. Alles andere führt in die Irre. Fast muss man jetzt sagen, wir sollten jetzt nicht dem Irrglauben folgen, der im Moment in den USA dominiert, dass wir durch Ausnahmeregeln, durch irgendwelche bilateralen Deals oder irgend so was in irgendeiner Form das Welthandelssystem besser machen oder davon gewinnen können. Das ist völlig falsch.
    Armbrüster: Das heißt, die ganzen Ökonomen, die sagen, dieser riesige Außenhandelsüberschuss, den Deutschland vor allen Dingen mit den USA hat, der ist nicht nachhaltig. Das alles, was solche Ökonomen sagen, das ist falsch?
    Wansleben: Herr Armbrüster, der deutsche Außenhandelsüberschuss geht zu allererst zulasten Deutschlands. Wir nutzen nicht die materiellen Möglichkeiten, die wir hätten. Faktisch führt doch die jetzige Situation dazu, dass wir dem Ausland Geld leihen. Das haben wir doch erlebt bei der Subprime-Krise. Warum sind wir so stark davon beeinträchtigt gewesen? Weil wir so einen großen Außenhandelsüberschuss haben. Der Nachteil liegt bei uns in erster Linie und der Nachteil liegt in den USA dadurch, dass die USA jetzt sich bemühen müssen, wettbewerbsfähiger zu sein. Im Moment können die USA einen Teil ihres Wohlstandes damit finanzieren, dass sie Dollars drucken. Wenn sie so weitermachen, verlieren sie diese Möglichkeit und werden ärmer – es sei denn, sie machen Bildung, Bildung, Bildung und werden besser, nicht nur im Bereich des Silicon Valley, sondern insgesamt.
    Armbrüster: Live hier bei uns in den "Informationen am Morgen" war das Martin Wansleben, der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages. Vielen Dank, Herr Wansleben, für Ihre Zeit an diesem Mittwochmorgen.
    Wansleben: Danke Ihnen, Herr Armbrüster.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.