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Drohende Streiks bei Ryanair
"Das Billigflugkonzept hat seinen Preis"

Inzwischen gebe es bei allen Fluggesellschaften zu wenige Piloten, sagte Luftverkehrsexperte Heinrich Großbongardt im Dlf. Doch nur mit ausreichend Piloten könne Ryanair seine Wachstumsstrategie fortsetzen. Daher sei die Führung mittlerweile bereit, Gespräche mit Gewerkschaften zu führen.

Heinrich Großbongardt im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 06.08.2018
    Ein Flugzeug der Fluglinie Ryanair rollt am 02.11.2016 auf den Flughafen in Frankfurt am Main (Hessen) ber das Vorfeld. Im Hintergrund ist die Heckflosse einer Lufthansa-Maschine zu sehen.
    Mit Ryanair muss sich Europas größte Fluggesellschaft auf neue Billigkonkurrenz an ihrem Heimatflughafen Frankfurt einrichten. (picture-alliance/ dpa/ Andreas Arnold)
    Dirk-Oliver Heckmann: Hunderte Flüge sind in den vergangenen Wochen bereits gestrichen worden bei Europas größtem Billigflieger Ryanair. Und das mitten in der Urlaubszeit. Ein Grund: Streiks beim Kabinenpersonal und bei den Piloten. Gut möglich, dass es in dieser Woche auch in Deutschland dazu kommt. Die Vereinigung Cockpit, in der vor allen Dingen die Piloten organisiert sind, setzte Ryanair eine Frist bis heute, um ein verhandlungsfähiges Angebot zu einem Tarifvertrag auf den Tisch zu legen, den gibt es nämlich bisher nicht. Ansonsten könnten auch auf deutschen Flughäfen die Flieger am Boden bleiben. Eine Urabstimmung war in der vergangenen Woche übrigens mit 96 Prozent für Streiks ausgegangen. Für Freitag haben die Gewerkschaften bereits Streiks angekündigt, in Belgien, in der Schweiz und in Irland. Piloten wie auch Kabinenpersonal wirken wild entschlossen, denn Ryanair gilt in der Branche als Fluggesellschaft, die ihre Beschäftigten sehr schlecht bezahlt und rüde behandelt. Heinrich Großbongardt ist Luftverkehrswirtschaftsexperte, jetzt bei uns am Telefon. Schönen guten Morgen!
    Heinrich Großbongardt: Schönen guten Morgen, Herr Heckmann!
    Heckmann: Herr Großbongardt, Piloten und Kabinenpersonal beklagen eine schlechte Bezahlung und eine Wegwerf-Mentalität bei der Behandlung der Beschäftigten. Wie berechtigt ist diese Kritik?
    Großbongardt: Ja, das ist wohl so. Ohne dass man genaue Zahlen hat von außen, so scheint es doch so zu sein, dass die Ryanair, was die Bezahlung angeht, am unteren Ende liegt. Wir haben ja auch hier aus Deutschland Berichte gehabt, dass Piloten gar nicht angestellt sind, sondern über irgendwelche Vermittler Beschäftigung unternehmen dort als letztendlich selbstständige Unternehmer angestellt sind, Scheinselbstständigkeitsverhältnisse und solche Dinge. Das geht natürlich eigentlich überhaupt nicht.
    Heckmann: Teilweise müssen Piloten sogar zahlen dafür, dass sie fliegen dürfen?
    Großbongardt: Ja, auch das hat es gegeben. Ob das noch so ist, ist schwer zu sagen, aber es hat noch vor relativ kurzer Zeit Fälle gegeben, wo eben junge Piloten bei Ryanair gezahlt haben, dass sie als Copiloten fliegen durften, um Stunden zu sammeln, damit sie dann überhaupt für andere Fluggesellschaften attraktiv wurden.
    "Auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen"
    Heckmann: Um den Pilotenschein auch zu erhalten. Also, da wurden Piloten durchaus auch unter Druck gesetzt.
    Großbongardt: Das ist für Piloten, wenn sie ihre Ausbildung haben und keine Lizenz haben, ist das eine ganz bittere Situation, und das hat Ryanair ausgenutzt, um die eigenen Kosten niedrig zu halten.
    Heckmann: Ryanair gilt ja als billigster Flieger überhaupt, mancher spricht von einem perversen Modell, das auf Ausbeutung beruht. Sie auch?
    Großbongardt: Wir müssen sehen als Verbraucher, wenn Preise irgendwo besonders niedrig sind, dann beruht das ganz häufig darauf, dass es auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen wird. Das ist nicht nur effizient, effizient ein Unternehmen führen können inzwischen auch andere, das beruht auch immer darauf, dass man, was Arbeitsbedingungen angeht, aber auch, was Löhne und Gehälter angeht, dann auch da spart. Denn immerhin, neben Treibstoff ist das Kabinen- und Cockpitpersonal der zweitgrößte Posten bei einer Fluggesellschaft.
    Heckmann: Das heißt, dieses Billigflugkonzept, das hat einfach ganz konkret seinen Preis, und zwar in der Behandlung der Beschäftigten.
    Großbongardt: Das Billigflugkonzept hat seinen Preis in der Behandlung und in der Bezahlung der Beschäftigten, zumindest innerhalb eines gewissen Rahmens. Es gibt andere Fluggesellschaften wie beispielsweise Easyjet, die zeigen, dass das auch anders geht.
    Heckmann: Diese schlechte Bezahlung, die schlechte Behandlung, die Ryanair vorgeworfen wird, hat die möglicherweise auch Auswirkungen auf die Sicherheit?
    Großbongardt: Das ist nicht zu erkennen, dass es da wirklich Auswirkungen gibt. Es gibt einzelne Fälle, wo es einen Zwischenfall gegeben hat, aber wenn man sich anguckt, wie groß eine Ryanair ist, wie viel geflogen wird und wie lange es diese Fluggesellschaften inzwischen schon gibt, dann ist das nicht wirklich zu erkennen.
    Heckmann: Okay. Ryanair-Boss Michael O'Leary hat sich ja immer geweigert, überhaupt Gewerkschaften zu akzeptieren als Gesprächspartner. Erst seit Ende letzten Jahres spricht er überhaupt mit Arbeitnehmervertretern. Wie kommt es eigentlich, dass das in Deutschland möglich ist?
    Großbongardt: Es gibt ja keine Verpflichtung für Unternehmen, Gewerkschaften anzuerkennen. Aber dass sich die Position von Ryanair inzwischen geändert hat, zeigt eben auch veränderte Kräfteverhältnisse am Arbeitsmarkt. Es gab viele Jahre, in denen Piloten eher im Überangebot waren, und inzwischen sind Piloten bei allen Fluggesellschaften knapp. Wir haben altersbedingte Abgänge, aber wir haben natürlich auch das starke Wachstum des Luftverkehrs. Wenn man sich anschaut, wie viele Flugzeuge bestellt sind, dann müssen die einfach auch berädert werden, dann müssen einfach Piloten rein. Und für jedes Flugzeug, dass Boeing oder Airbus ausliefert, muss man jetzt nach Typ und je nach Einsatzspektrum zwischen zehn und 14 Besatzungsmitglieder im Cockpit rechnen.
    Heckmann: Das heißt, der Mangel an Piloten hat jetzt dafür gesorgt, dass Ryanair-Boss O'Leary seinen Kurs geändert hat?
    Großbongardt: Ja, selbstverständlich. Denn nur wenn ausreichend Piloten da sind, kann Ryanair auch seine Wachstumsstrategie fortsetzen.
    "20, 30 Euro kommen auf den Ticketpreis drauf"
    Heckmann: Auf der anderen Seite gibt es auch eine andere Reaktion, nämlich auf die Streiks in Irland. Da hat nämlich Ryanair damit reagiert, zumindest anzukündigen, 300 Stellen nach Polen zu verlegen. Ist das die Methode, auf Aktionen von Arbeitnehmern zu reagieren bei Ryanair?
    Großbongardt: Das ist sicherlich eine Methode, aber auf der anderen Seite zeigt die Reaktion der irischen Pilotengewerkschaft, dass das nicht zwingend funktioniert. Und man muss einfach sehen, dem Grundproblem, nämlich, dass generell Piloten knapp sind in Europa, kann man auch damit nicht wirklich ausweichen.
    Heckmann: Wie kann man ausweichen?
    Großbongardt: Ausweichen geht letzten Endes wie bei allen knappen Gütern – es ist ein Arbeitsmarkt – kann man, denke ich, nur über den Preis. Das wird sich sicherlich auch bei den Passagieren bemerkbar machen, nämlich in Form höherer Ticketpreise.
    Heckmann: Sie haben den eklatanten Mangel an Piloten angesprochen. Die sehen jetzt die Gelegenheit, sich zu wehren, ebenso, wie auch das Kabinenpersonal. Gerät das Geschäftsmodell von Ryanair in diesen Tagen an seine Grenzen?
    Großbongardt: Sicherlich wird Ryanair nachsteuern müssen, aber das Thema Low-Cost ist einfach europäischer Alltag. Wir haben in Deutschland ungefähr 30 bis 35 Prozent Low-Cost-Anteil inzwischen im Luftverkehr. Das ist ein fester Teil des Marktes, das wird bestehen bleiben. Es wird vielleicht nicht mehr ganz so Low-Cost sein, sondern da werden dann vielleicht am Ende irgendwo 20, 30 Euro auf den durchschnittlichen Ticketpreis drauf kommen.
    Heckmann: Beim Billigflieger Ryanair drohen in dieser Woche Streiks auch in Deutschland. Über das Geschäftsgebaren bei Ryanair haben wir gesprochen mit Heinrich Großbongardt. Er ist Luftverkehrswirtschaftsexperte. Schönen Dank, Herr Großbongardt, für das Gespräch!
    Großbongardt: Auch Ihnen noch einen schönen Tag!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.