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US-Vorwahlen
"Bernie Sanders hat eine Botschaft der Authentizität"

Beide sind Demokraten, beide vergleichsweise alt: Im Vergleich zu Hillary Clinton komme "der 74 Jahre alte Bernie Sanders bei den Jüngeren aber gut an", sagte der Politikwissenschaftler Michael Dreyer von der Uni Jena im DLF. Sanders stehe dafür, die traditionelle Politik in Amerika verändern zu wollen.

Michael Dreyer im Gespräch mit Jochen Spengler | 10.02.2016
    Bernie Sanders, Senator für den US-Bundesstaat Vermont, tritt bei den Vorwahlen neben Hillary Clinton bei den Demokraten an.
    Bernie Sanders, Senator für den US-Bundesstaat Vermont, tritt bei den Vorwahlen neben Hillary Clinton bei den Demokraten an. (dpa / picture alliance / Mike Nelson)
    Jochen Spengler: Wer wird Präsidentschaftskandidat in den USA? Dies ermitteln die beiden traditionellen Parteien, Demokraten und Republikaner, durch sogenannte Vorwahlen in den 50 Bundesstaaten. Nach Iowa letzte Woche gestern die zweite Runde in New Hampshire. Dort behielten die Umfragen Recht. Die Welle der Unzufriedenheit mit den traditionellen politischen Kräften hat den Rechtspopulisten und Milliardär Donald Trump von den Republikanern und den Linkspopulisten Bernie Sanders von den Demokraten zu Siegern gemacht. Abgestraft vom Wähler wurden etablierte Größen, allen voran Ex-Außenministerin Hillary Clinton.
    Einordnen wollen wir das Ergebnis von New Hampshire jetzt mit dem Politikwissenschaftler Professor Michael Dreyer von der Universität Jena. Guten Tag, Herr Dreyer.
    Michael Dreyer: Schönen guten Tag, Herr Spengler.
    Spengler: Es liegen ja noch Dutzende Vorwahlen vor uns. Ist jetzt durch Iowa und New Hampshire schon irgendetwas entschieden und wenn ja was?
    Dreyer: Wenn irgendetwas entschieden ist, dann ist es, dass tatsächlich noch Dutzende von Primaries vor uns liegen und dass die auch tatsächlich zählen. Normalerweise war nach Iowa und New Hampshire in vielen Wahlrunden die Sache einigermaßen klar, aber der gestrige Tag hat es, wenn überhaupt, nur komplizierter gemacht, vor allem auf der republikanischen Seite. Geklärt ist noch gar nichts.
    Spengler: Lassen Sie uns zunächst mal zu den Demokraten kommen. Da hat es ja die Favoritin Hillary Clinton unerwartet schwer getroffen. Die Schlagzeilen der deutschen Medien lautet heute: "Linker Opa besiegt kalte Streberin". Warum hat es Frau Clinton so schwer gegen den linken, 74 Jahre alten Bernie Sanders?
    Dreyer: Nun, Bernie Sanders hat eine Botschaft, die erstaunlicherweise gerade bei Jüngeren gut ankommt, trotz seines Alters. Das scheint überhaupt keine Rolle zu spielen. Nämlich eine Botschaft der Authentizität, dass er wirklich einsteht für das, was er will, und einsteht für eine Veränderung der traditionellen Politik in Amerika, und Hillary Clinton ist, nachdem sie jetzt seit Jahrzehnten im Licht der Öffentlichkeit ist, so etwas wie die Verkörperung des Mainstream der amerikanischen Politik. Es ist allerdings auch ein Grund dabei gewesen, dass New Hampshire wie auch vorher Iowa sehr atypisch sind für die USA inzwischen. Wir haben sowohl in Iowa wie auch in New Hampshire über 90 Prozent weiße Bevölkerung. In den USA sind das nur noch 60 Prozent. Das heißt, die Gruppen, die besonders stark Hillary Clinton und auch vorher schon ihren Mann unterstützt haben, Schwarze, Latinos, die haben in New Hampshire fast gar keine Rolle gespielt, und das wird in den nächsten Primaries anders sein.
    "Sanders wäre ein guter Kandidat - für Schweden"
    Spengler: Angenommen, Bernie Sanders hätte Chancen, in seiner eigenen Partei weiter auf der Anti-Establishment-Welle getragen zu werden und am Ende nominiert zu werden, mal nur angenommen, hätte er denn überhaupt Chancen, von allen Amerikanern am Ende gewählt zu werden? Ist er für die Mitte der Gesellschaft wählbar?
    Eine Wahlkampfkampagne des Senators Bernie Sanders vor der Vorwahl im US-Bundesstaat New Hampshire.
    Eine Wahlkampfkampagne des Senators Bernie Sanders vor der Vorwahl im US-Bundesstaat New Hampshire. (picture alliance / dpa / Katherine Taylor)
    Dreyer: Das wird sehr schwierig werden. In der vorletzten Debatte der Republikaner, da hat Marco Rubio schon gescherzt, dass Bernie Sanders einen hervorragenden Präsidenten machen würde - kurze Pause - für Schweden. Und Schweden ist in den USA das Synonym für den sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaat, den man nicht haben will. Sanders hätte es sehr schwer, mit dieser Botschaft wirklich durchzubrechen. Nur das ist nicht unbedingt eine gute Nachricht für seinen republikanischen Gegner, wer auch immer das sein wird. Wenn tatsächlich Sanders nominiert wird und auf republikanischer Seite ein sehr konservativer Kandidat, dann könnten das letzten Endes gute Nachrichten für Michael Bloomberg sein, dem ehemaligen Bürgermeister von New York, der seit einigen Wochen sehr öffentlich damit kokettiert, dass er möglicherweise als unabhängiger Kandidat antreten könnte.
    Spengler: Der käme dann wie Kai aus der Kiste, aber noch hat er seine Kandidatur nicht angekündigt.
    Dreyer: Nein.
    Spengler: Um aber noch mal bei Hillary Clinton zu bleiben: Am Ende wird für Bernie Sanders vermutlich nur ein Achtungserfolg herausspringen und Hillary Clinton wird für die Demokraten nominiert? Ist das Ihre Prognose?
    Dreyer: Das ist unverändert die Prognose. Der nächste Termin, den man beachten muss, ist der 1. März, Super Tuesday, wenn in zwölf Staaten, darunter eine Menge Staaten, deren demographische Zusammensetzung ganz anders aussieht als New Hampshire, gewählt wird. Da müsste Hillary Clinton dann allerdings zeigen, dass sie diese Staaten gewinnen kann.
    "Trump ist ein ähnliches Phänomen wie Sanders"
    Spengler: Kommen wir mal zu den Republikanern. Man hätte das vor Monaten nicht für möglich gehalten, aber inzwischen muss man wohl damit rechnen, dass Donald Trump ernsthafte Chancen hat, zum Kandidaten der Republikaner gekürt zu werden. Woran liegt das Ihrer Ansicht nach?
    Dreyer: Ja, das ist so ein ähnliches Phänomen wie Bernie Sanders, obwohl diese Gleichsetzung der beiden natürlich auch falsch ist. Sanders ist ein seriöser Politiker, der seit Ewigkeiten im Kongress sitzt und seriöse Pläne hat. Trump ist jemand, der sehr, sehr laut ist. Aber er kommt natürlich auch als authentisch herüber. Er ist jemand, der von niemandem Geld nimmt, und er erinnert die Wähler auch immer daran, dass er seinen Wahlkampf selbst finanziert, und damit ist natürlich die Aura der Unabhängigkeit verbunden.
    Außerdem in einer Zeit, die von politischer Korrektheit geprägt ist, ist Trump derjenige, der sich traut, Sachen zu sagen, die Joe Sixpack vielleicht denkt, aber sich nicht traut, öffentlich zu sagen, und schon gar nicht seine Kollegen auf der Kandidatenbühne. Er kommt einfach herüber als jemand, der es so sagt wie es ist für viele republikanische Wähler, die sich abgehängt fühlen, und das ist attraktiv. Auch das eigene Establishment wird nicht mehr gern gesehen bei den republikanischen Wählern, und das der Demokraten natürlich sowieso nicht.
    Allerdings mit Ergebnissen, wie er sie jetzt hat, wird Trump die Nominierung nicht gewinnen, denn er braucht ungefähr 45 Prozent der Stimmen, um mit einer Mehrheit von Delegierten in den Parteitag hineinzugehen, und wenn er diese 45 Prozent nicht erreicht - und ich sehe nicht, wie er die erreichen will, ehrlich gesagt -, dann werden wir möglicherweise das bekommen, was der Traum jedes Journalisten und jedes Kommentators und der Albtraum jedes Parteistrategen ist, nämlich eine sogenannte Broked Convention, wo dann auf dem Parteitag entschieden wird, wer Kandidat wird.
    Spengler: Wer hat denn Ihrer Ansicht nach bei den Republikanern die besten Chancen?
    Dreyer: Wenn Sie mich das gestern gefragt hätten, dann hätte ich Marco Rubio gesagt, aber der ist nun kräftig abgefallen im Vergleich zu Iowa.
    "Nach dem Super Tuesday wird sich das Feld konsolidieren"
    Spengler: Elf Prozent hat er nur.
    Dreyer: Und auf einmal ist John Kasich wieder aus der Versenkung verschwunden. Da muss man nun allerdings auch wissen: Das liegt daran, dass Kasich sich, wie das Kandidaten aus der zweiten Reihe gerne tun, voll und ganz mit seiner Person und dem relativ wenigen Geld, das er zur Verfügung hat, auf New Hampshire konzentriert hat und da sehr, sehr viel hineingesteckt hat. Auch da wird man erst sehen, was nach South Carolina und Super Tuesday passiert. Wahrscheinlich wird sich dann das Feld konsolidieren, Trump wird weiter dabei sein, Ted Cruz wahrscheinlich auch, aber der Druck auf die anderen Kandidaten, die bis dahin nicht sehr erfolgreich sind, sich zurückzuziehen und sich hinter einem Kandidaten zu vereinigen, der wird dann stark wachsen. Wenn Rubio hier besser abgeschnitten hätte, wäre jetzt schon der Druck enorm groß geworden. Dadurch, dass Kasich den zweiten Platz belegt hat hinter Trump, ist das verschoben worden.
    "Bush und Clinton als Personifikationen des Establishments"
    Spengler: Sie haben zweimal das Wort Authentizität genannt, sowohl bei dem Sieger der Demokraten gestern wie auch bei dem Sieger der Republikaner. Weswegen legen die amerikanischen Wähler oder viele jedenfalls so viel Wert auf Authentizität und wieso ist zum Beispiel Hillary Clinton oder Jeb Bush, wieso sind die nicht authentisch oder werden nicht als authentisch wahrgenommen?
    Jeb Bush vor einer US-Flagge.
    Jeb Bush: Wird er der 45 Präsident der USA? (Imago/UPI Photo)
    Dreyer: Na ja, Jeb Bush ist der Bruder eines Präsidenten und der Sohn eines Präsidenten, und Hillary Clinton ist auch seit Jahrzehnten im politischen Geschäft. Es sind die Personifikationen des Establishments und wir haben immer schon in den USA eine große Skepsis breiter Bevölkerungsschichten gegenüber Washington, gegenüber dem Establishment, und das drückt sich im Moment, glaube ich, noch stärker aus, als das früher der Fall war. Das war ja auch 2008 der große Vorzug von Obama, dass er als jemand wahrgenommen wurde, der tatsächlich einsteht für bestimmte Werte, und das hat letzten Endes seinen Erfolg mit bestimmt.
    Washington Bubble
    Spengler: Heißt denn Mitglied des Establishments zu sein, nicht authentisch zu sein?
    Dreyer: Diese Gleichung wird von vielen Leuten gezogen, ja. Das ist zum Teil ein bisschen absurd, denn Hillary Clinton zum Beispiel steht seit langem für bestimmte Sachen. Aber sie ist natürlich auch eine pragmatische Politikerin, die ihre Meinung auch ändert, wenn sich die Verhältnisse ändern, und die im Laufe von 30 Jahren dann auch mal andere Positionen übernimmt, als sie vor 20 Jahren hatte. Wenn man sich nicht weiterentwickelt, wäre das auch ein Problem. Nur das kommt eben nicht so herüber. Bernie Sanders, der steht seit Jahrzehnten für immer das gleiche und hat null Erfolg damit, das im Kongress durchzusetzen, aber er steht für etwas, was man als Idealismus sehen kann, und Hillary Clinton steht für Pragmatismus, aber Pragmatismus ist nur sehr selten so attraktiv wie Idealismus.
    Spengler: Und ist es dieser Pragmatismus, dieses notfalls sein Fähnchen nach dem Wind drehen, was man dem Establishment vorwirft, oder was ist es sonst?
    Dreyer: Ja, und natürlich, dass es völlig losgelöst ist von den normalen Bürgern und nicht weiß, wie das richtige Amerika tickt. Dass man in dem Washington Bubble, in der Blase Washington, in einem Universum für sich selbst ist, das ist, grob gesagt, der Vorwurf. Der ist aber natürlich auch nicht neu. Den gibt es schon seit Jahrzehnten und selbst Leute wie George W. Bush, der Gouverneur von Texas, Sohn eines Präsidenten, Enkel eines Senators, der führte 2000 seine Wahlkampagne gegen Washington, was natürlich absurd war, aber einigermaßen funktionierte.
    Spengler: ... sagt Michael Dreyer, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Jena. Schönen Dank, Herr Professor Dreyer, und bis bald.
    Dreyer: War mir ein Vergnügen. Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.