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US-Vorwahlen
Politologe: Mit Sanders muss man rechnen

Auch wenn Hillary Clinton mehr Stimmen erhalten hat: Nicht sie sei die Siegerin der Vorwahl der Demokraten in Iowa, sondern Bernie Sanders, sagte der Politikwissenschaftler Christian Hacke im DLF. Wenn der Senator auch in New Hampshire so erfolgreich sei, dann werde er gefährlich für die Favoritin Clinton.

Christian Hacke im Gespräch mit Jasper Barenberg | 02.02.2016
    Bernie Sanders bei einer Vorwahlparty in Iowa.
    Bernie Sanders bei einer Vorwahlparty in Iowa. (picture alliance / EPA / Larry W. Smith)
    Hacke betonte, mit Sanders müsse man rechnen. Er habe Clinton praktisch geschlagen. "Es sind seine Frische und seine Aufrichtigkeit, und das wirkt für den Moment." Clinton dagegen wirke so, als quäle sie sich mit der Bewerbung um eine Präsidentschaftskandidatur. "Es wirkt für viele aufgezwungen." Zudem stehe Sanders mit seinem Reformwillen für eine neue Politik. "Es ist bei den Amerikanern ein tiefes Anti-Establishment-Gefühl entstanden." Viele glaubten, dass Politik korrupt geworden sei und nichts bringe.
    Der Politikwissenschaftler sagte aber auch, die Vorwahl in Iowa dürfe nicht überbewertet werden. Dass der Milliardär Donald Trump bei den Republikanern nur Zweiter hinter Ted Cruz geworden sei, sieht er als wenig dramatisch.

    Das Interview in voller Länge:
    Jasper Barenberg: Einige Bewerber haben bereits das Handtuch geworfen im harten Rennen um die Präsidentschaftskandidatur in den Vereinigten Staaten. Einige weitere streichen jetzt die Segel, nach dem Auftakt der Vorwahlen in Iowa. Die zweite Phase im US-Wahlkampf ist eingeläutet. Bei den Republikanern kann Senator Ted Cruz aus Texas Donald Trump schlagen, bei den Demokraten hätte es fast eine Überraschung gegeben.
    Am Telefon ist der Politikwissenschaftler Christian Hacke. Schönen guten Tag.
    Christian Hacke: Seien Sie gegrüßt!
    Barenberg: Herr Hacke, Donald Trump verliert, Hillary Clinton gewinnt nur ganz knapp. Was ist aus Ihrer Sicht für das weitere Rennen von größerer Bedeutung?
    Hacke: Beides kann man auch umgekehrt sehen. Ich denke, dass Trump natürlich immer gewinnen wollte, aber dass der zweite Platz so schlecht nicht ist, dass er sich damit etabliert hat als ein Faktor, mit dem man weiter rechnen muss. Viele haben ihn schon abgeschrieben gehabt, sagten, das ist nur eine Eintagsfliege, der ist nur unterhaltsam, warten wir die Vorwahlen ab. Er ist weiterhin dabei, so würde ich das sehen.
    Und bei den Demokraten ist das eine wirkliche Sensation. Nicht Clinton ist die Siegerin, sondern Bernie Sanders. Das ist ein unglaublicher Erfolg mit einem verhältnismäßig geringen Einsatz zu dem, was die Clinton auf die Beine gestellt hat. Also ist das eine Sensation! Und wenn Sanders in New Hampshire das hält, dann ist das gefährlich für die Clinton.
    "Mit Sanders muss man rechnen"
    Barenberg: Und danach sieht es ja ein wenig aus. In den Umfragen führt er in New Hampshire, wo in einer Woche dann die Vorwahlen stattfinden. Lassen Sie uns bei dieser, wie Sie sagen, Sensation einen Augenblick bleiben. Wie erklären Sie sich diesen Erfolg von Bernie Sanders?
    Hacke: Das sehen wir auch bei den Republikanern. Es ist bei den Amerikanern ein tiefes Anti-Establishment-Gefühl entstanden, dass Politik korrupt geworden ist, oder dass sie nichts bringt, oder dass es immer dieselben Gesichter sind. Das sehen wir auch bei dem dramatischen Einbruch von Jeb Bush auf der republikanischen Seite. Das ist ein Faktor, der wirklich zählt und natürlich hier auch Sanders in einer gewissen Obama-Tradition vielleicht bei den jungen, bei den intellektuellen, vielleicht auch darüber hinaus bei den Amerikanern vielleicht doch stärker ankommt, als man dachte mit seinen sozialreformerischen Ideen. Ich hätte vor ein paar Tagen oder ein paar Wochen noch gesagt, er könnte allenfalls Präsident der Universität von Berkeley werden, die ja sehr linksgerichtet ist. Aber das ist nicht richtig. Mit Sanders muss man rechnen. Er will ein reformiertes Amerika, das bisher sich nicht durchsetzen konnte, weil eben auch Obama an vielen Republikanern gescheitert ist. Das wissen wir. Aber der Wille ist noch da, und das ist enorm, und ich glaube, aus europäischer Sicht ermuntert uns das natürlich schon, dass wir hier dann ein neues Amerika vielleicht entdecken, oder das auch, was wir kannten, liberal, offen, weltweit.
    Barenberg: Jetzt haben Sie beides genannt bei dem Versuch zu erklären, wie der Erfolg von Bernie Sanders zu erklären ist. Sie haben gesagt, seine Thesen sind ansprechend für einen Teil der Wählerschaft, vor allem für die jungen, und Sie haben gesagt, es steckt etwas von der Kritik am Establishment in Washington darin. Das verkörpert Hillary Clinton ja in gewisser Weise auch. Was fällt denn aus Ihrer Sicht mehr in die Waagschale bei diesen beiden Punkten, der inhaltliche Auftritt von Bernie Sanders oder dieses Element der Kritik am Establishment?
    Hacke: Ich glaube, es ist beides drin. Das kann man jetzt schwer abwägen, was wichtiger ist. Aber es ist seine Frische und es ist seine Aufrichtigkeit, die hier zählt, und das wirkt, dieses idealistische Moment. Während bei der Hillary Clinton für die Amerikaner alles viel schon so ist: Die war da, das ist die Clinton-Aristokratie der Politik, das hat man jetzt jahrzehntelang beinahe schon gesehen, und man hat sie gesehen als Außenministerin und sie quält sich jetzt. Im Grunde genommen denken auch viele, sie hat sich eigentlich ausgequält, warum macht sie noch weiter, warum tut sie sich das an. Das wirkt für viele doch sehr aufgezwungen. Und sie hat im Kern auch nicht mehr diese Ideen und viele vielleicht glauben auch nicht mehr daran in der demokratischen Partei, dass sie noch Amerika erneuern kann und nach vorne bringen kann. Und da kommt der neue frische Wind von einem zugegebenermaßen nicht gerade jungen Bernie Sanders. Mit dem muss man rechnen.
    Barenberg: Mit dem muss man rechnen, sagen Sie. Hat er denn wirklich reelle Chancen am Ende, wenn es darum geht, als Präsidentschaftskandidat diese Wahlen auch zu gewinnen?
    Hacke: Das muss man abwarten. Man darf jetzt hier Iowa nicht überbewerten. Denken Sie daran, dass McCain 2008 bei den Republikanern nur der Vierte wurde in Iowa, und er hat nachher die Nominierung bekommen für die Präsidentschaftskandidatur. Man muss das auch alles ruhig sehen. Aber das ist schon eine enorme Sache für einen Mann wie Sanders, in Iowa, weiß, christlich, konservativ, ländlich, antiintellektuell, dort so viel zu holen und praktisch, sage ich mal, die Clinton zu schlagen. Das ist schon ganz außergewöhnlich.
    Donald Trump ist noch nicht entzaubert
    Barenberg: Für Sie alles andere als ausgemacht, was viele ja lange gesagt haben, dass es auf Hillary Clinton zwangsläufig herausläuft?
    Hacke: Das muss es nicht und die Lage bei den Republikanern ist ja auch noch sehr unübersichtlich.
    Barenberg: Genau. Lassen wir auf die auch noch zu sprechen kommen. Sie haben ja gesagt, das ist eigentlich gar keine wirkliche Niederlage für Donald Trump. Er habe sich vielmehr etabliert jetzt im Bewerberfeld. Nun sagen viele Beobachter, wenn wir die Entzauberung von Donald Trump bisher nicht gesehen haben, jetzt hat sie begonnen. Sie sehen das anders?
    Hacke: Ja ich würde noch weitergehen. Ich würde sagen, er ist nicht entzaubert. Das ist ja eine sehr freundliche Formel. Da denke ich fast wissenschaftlich in der Kategorie. Ich würde sagen, Demaskierung von Trump. Das ist die andere Seite, die muss man auch klar sehen. Aber die Sache ist im Moment ambivalent. Wenn er in New Hampshire noch mal es reißen kann auf vorderen Plätzen, muss man mit ihm rechnen. Es kann sein, dass er absackt, aber das muss man abwarten. Es sind ja Leute jetzt hier im Spiel bei der republikanischen Partei, die noch nicht aufgetreten sind. Nehmen Sie mal John Kasich, den Gouverneur von Ohio. Der ist absichtlich nicht in Iowa angetreten. Und das ist ein Mann, denke ich, mit dem man stark rechnen muss. Der hat den Rückhalt der republikanischen Partei. Der ist sehr kompromissfähig, kein Show-Man, kein Weichei, hat einen soliden tollen konservativen Leistungsausweis aus seiner Zeit als Abgeordneter im Repräsentantenhaus und ist jetzt ein ganz engagierter und beliebter Gouverneur in Ohio selbst. Das ist ein Mann, da bin ich gespannt, wie er in New Hampshire abschneiden wird.
    "Die Tea Party Richtung ist Ted Cruz, das ist klar"
    Barenberg: Sind Sie auch gespannt, wie es weiter mit Marco Rubio geht, der einen sehr starken dritten Platz in Iowa errungen hat, der Senator aus Florida, den viele ja als einen Kompromisskandidaten der eher gemäßigten Art am Ende für die Republikaner sehen oder sehen möchten jedenfalls?
    Hacke: Ja ich würde Ihnen da zustimmen aus meiner Sicht. Die ist natürlich völlig unerheblich. Aber ich denke, das ist ja die Auseinandersetzung jetzt überhaupt zwischen den pragmatischen Republikanern und den eher Tea Party geladenen. Die Tea Party Richtung ist Ted Cruz, das ist klar. Wenn der gewählt würde, das wird dann schon munter, hätte ich beinahe gesagt, um ein bisschen zu untertreiben. Da ist die Bibel das entscheidende Buch. Aber Marco Rubio ist ein sehr ernst zu nehmender Kandidat, der jetzt auf dem dritten Platz gelandet ist mit seinen 23 Prozent. Das wollte er auch und wenn es in den nächsten Runden so weitergeht, könnte er sich gut platzieren. Er ist beliebt bei den Latinos, ist ein pragmatischer Mann. Manche sagen, er ist ein bisschen opportunistisch bei der Immigrationsfrage, aber ist ernst zu nehmen. Er ist eigentlich der Ziehsohn von Jeb Bush, aber Bush wird wohl richtig abgesoffen sein. Das zeigt, genau wie das Beispiel der Clinton, und das finde ich toll: Politik ist letztlich doch nicht in dem Umfang in den USA käuflich, wie wir es befürchtet haben, und die ganze Geldmaschinerie alleine reicht wohl nicht aus, sondern es kommen Leute, die entweder Idealismus transportieren, oder auch eine vernünftige konservative Politik wie Marco Rubio oder auch der John Kasich. Da ist noch Hoffnung.
    Barenberg: Nun war das mit einer gewissen Signalwirkung die erste Vorwahl. Viele weitere werden noch folgen.
    Hacke: Ja.
    Barenberg: Wann werden wir etwas mehr Klarheit haben? Wird das nach dem 1. März sein, nach dem sogenannten Super Tuesday, wenn in 14 Staaten gewählt wird?
    Hacke: Kann sein, ja. Kann sein. In beiden Lagern, sehen wir, ist es dicht zwischen Bernie Sanders und der Hillary Clinton. Da würde ich sagen, sie ist zäh, sie wird durchhalten wollen, sie wird das ganze Geld reinwerfen, und Bernie Sanders ist ebenso zäh und hat die unglaubliche Welle von Sympathie, die ihn tragen wird. Da muss man sehen, ob Geld gegen Idealismus sich durchsetzt. Bei den Republikanern ist es noch viel offener. Da haben wir die schwere Auseinandersetzung innerhalb der republikanischen Partei zwischen dem pragmatischen Flügel mit den beiden, personifiziert, wie ich sagte, durch Marco Rubio und John Kasich, und auf der anderen Seite Ted Cruz. Aber die offene Frage ist Donald Trump, der kein klassischer Republikaner ist. Ich sage mal, ich würde mich nicht wundern, wenn bei ihm die Felle davonschwimmen, dann geht er ins Rennen als Unabhängiger. Das würde ich nicht ausschließen, und das ist dann wieder eine ganz neue Konstellation, die die Dinge noch schwieriger macht bei den Demokraten und vor allem bei den Republikanern.
    Barenberg: ... sagt der Politikwissenschaftler Christian Hacke hier live im Deutschlandfunk. Vielen Dank, Herr Hacke, für das Gespräch.
    Hacke: Ich danke Ihnen auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.