Dienstag, 23. April 2024

Archiv

US-Wahlen
Wiederkehrende Paranoia als historisches Phänomen

Der zurückliegende US-Wahlkampf war gekennzeichnet von Unterstellungen und Enthüllungen, geriet manchmal zur veritablen Schlammschlacht. Dies historisch aber auch psychologisch zu analysieren, bietet sich geradezu an. Der US-Autor Richard Hofstadter hat genau dies in einem Essay getan - und zwar bereits vor mehr als 50 Jahren. Seine Arbeit hat an Aktualität nichts eingebüßt.

Von Marcus Pindur | 07.11.2016
    Anhänger des "Kommunistenjägers" McCarthy mit Transparenten am 11.11.1954 in Washington D.C.
    Richard Hofstadter bezieht sich unter anderem auf die hysterisch-antikommunistische McCarthy-Bewegung. (picture-alliance / dpa / INP)
    Wer Zweifel am Nutzen der Geschichtswissenschaft hat, der sollte diese Essaysammlung lesen. Richard Hofstadters "The Paranoid Style in American Politics", "Der paranoide Stil in der amerikanischen Politik", aus dem Jahr 1964 ist der Beweis, dass das Studium der Vergangenheit uns dabei hilft, die Gegenwart zu verstehen und Maßstäbe für die Zukunft zu entwickeln. Der Autor war ein bekannter amerikanischer sozial- und geistesgeschichtlicher Historiker.
    In den 50er-Jahren hatte Hofstadter aufmerksam den Aufstieg und Fall des Senators Joseph McCarthy und das Wachstum einer - zumindest größtenteils - hysterischen Anti-Kommunismus-Bewegung beobachtet. Bereits 1955 hatte Hofstadter mit zwei bekannten Politikwissenschaftlern und Soziologen eine Anthologie herausgegeben, die sich mit dem rechten politischen Rand in den USA befasste. In ihr unterschied Hofstadter zwischen einer hysterischen, paranoiden Rechten und dem traditionellen, pragmatischen amerikanischen Konservativismus. Diese Thesen flossen auch in seinen Essay über den paranoiden Stil ein.
    Paranoiker ist nicht gleich Paranoiker
    In diesem Essay grenzt Hofstadter zunächst den Begriff des "paranoiden Stils" ab. Er habe einen Begriff aus der klinischen Psychologie gewählt, so erläutert Hofstadter, weil er gut die erhitzte Übertreibung, das tiefe Misstrauen und die konspirative Phantasie der paranoiden Politiksphäre beschreibe. Aber es gebe einen klaren Unterschied zwischen einem Politiker des paranoiden Stils und einem klinisch paranoiden Menschen:
    "Obwohl beide in ihrer Ausdrucksweise überhitzt, über-misstrauisch, über-aggressiv, grandios und apokalyptisch sind, sieht der klinisch kranke Paranoiker die feindliche Welt lediglich als gegen sich persönlich gerichtet an. Der Vertreter des paranoiden Politikstils hingegen behauptet, die feindlichen und verschwörerischen Kräfte seien gegen eine Nation, eine Kultur oder einen Lebensstil gerichtet, also nicht nur gegen ihn, sondern gegen Millionen andere."
    Diese Überhöhung der eigenen Wahrnehmung verstärke im paranoiden Politiker noch die Neigung, sich selbst als rational und unabhängig zu sehen. Die rechten bis rechtsextremen Hysteriker beschreibt Hofstadter als Radikale, die ihren Radikalismus verbergen wollen, als vermeintliche Gegner der Subversion, die selber zu Subversiven der offenen und freien Gesellschaft werden.
    Jedes Glaubens- und Wertesystem könne im paranoiden Politikstil verkündet werden, aber es gebe einige, die fast ausschließlich im paranoiden Stil vorgetragen würden. Für Hofstadter sind besonders Bewegungen am äußersten rechten und äußersten linken Rand der Gesellschaft davon betroffen.
    Paranoider Politikstil - eine zeitlose Erscheinung
    Was aber kennzeichnet den paranoiden Politikstil? Hofstadter belegt dies an mehreren amerikanischen politischen und sozialen Bewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts. Unter anderem bezieht er sich auf die hysterisch-antikommunistische McCarthy-Bewegung.
    Deren Denkgebäuden liegt die Annahme einer großen, meist Jahrzehnte andauernden Verschwörung zugrunde. Diese habe ihren - vorläufigen - Höhepunkt in der Reformpolitik des New Deal gefunden. Also der Serie von Wirtschafts- und Sozialreformen, die in den 1930er-Jahren unter US-Präsident Roosevelt als Antwort auf die damalige Weltwirtschaftskrise durchgesetzt wurden. Für die radikalen Kritiker Roosevelts stellten diese Reformen eine Unterwanderung der freien Wirtschaft dar. Damit wurde in ihren Augen der Weg in den Sozialismus vorbereitet.
    Ein weiterer Baustein des paranoiden Politikstils ist die Behauptung, die herrschende Elite sei unterwandert: von einer fremden Ideologie, einer fremden Ethnie, einer fremden Nation. Für Senator McCarthy waren es angebliche Kommunisten in der Regierung in Washington. McCarthy sprach von "einer immensen Verschwörung, die alles zuvor da gewesene in der Menschheitsgeschichte in den Schatten stellt. Wir sollen einer sowjetischen Verschwörung im Inneren und der russischen militärischen Macht von außen zum Opfer fallen."
    Verschwörungstheorien mit austauschbaren Inhalten
    Dass es eine Bedrohung durch die Sowjetunion gab, ist unstrittig. Doch das Entscheidende am paranoiden Politikstil, egal ob eines McCarthy oder - da sind Parallelen zu erkennen - eines Donald Trump, ist die grenzenlose Übertreibung, der apokalyptische Furor, die Perzeption einer alles überragenden Gefahr. Mit diesem Gefühl können dann die Bürgerrechte innenpolitischer Gegner beschnitten, abweichende Meinungen stigmatisiert werden.
    Die Inhalte sind dabei austauschbar: Für McCarthy war kommunistische Unterwanderung das Problem, für Donald Trump eine korrupte Elite, die das weiße Amerika einer Flut vergewaltigender und Drogen handelnder Mexikaner aussetzt. Der Politiker des paranoiden Politikstils ist notwendig militant. Gesellschaftliche Konflikte müssen in seiner Welt nicht durch Verhandlung und Kompromiss gelöst werden, sondern durch Konfrontation und finalen Sieg über den Gegner.
    Der Essay Richard Hofstadters ist auf frappierende Weise aktuell. Der Historiker sezierte 1964 den paranoiden Politikstil anhand amerikanischer historischer Beispiele, verwies jedoch schon damals darauf, dass es sich um ein internationales und zeitloses Phänomen handele - im Extrem durchexerziert zum Beispiel im deutschen Nationalsozialismus. Für Hofstadter war klar, dass die paranoide Mentalität stets in einer Minderheit der Bevölkerung präsent sei. Doch der paranoide Politikstil als Massenphänomen komme und gehe in Wellen:
    "Diese Haltung wird mobilisiert in Zeiten gesellschaftlicher Konflikte, die fundamentale Wertfragen betreffen und ebenso fundamentale Ängste und Hassgefühle hervorbringen und politisch wirksam werden lassen. Katastrophen oder die Angst vor Katastrophen bringen am ehesten das Syndrom paranoider politischer Rhetorik hervor."
    Ein hellsichtiger Essay und ein schlagender Beweis für den Nutzen der Historie für das heutige Leben. Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie gibt uns Maßstäbe. Wer dieses Buch liest, hat die wichtigsten Maßstäbe, um populistische Bewegungen unserer Zeit zu analysieren und zu bewerten.
    Richard Hofstadter: "The Paranoid Style in American Politics: An Essay: from The Paranoid Style in American Politics"
    Verlag Vintage/Kindle Edition, London 2016. 45 Seiten.