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US-Wahlkampf geht auch "um die Definition des amerikanischen Seins"

Der US-Wahlkampf sei auch ein Kulturkampf, sagt der Journalist und USA-Kenner Friedrich Mielke. Dabei gehe es oftmals weg von der Sozial- oder Wirtschaftspolitik hinein in die Philosophie, Kultur und Moral. Zudem könnten mit einer Abgrenzung von Europa Stimmen gewonnen werden.

Friedrich Mielke im Gespräch mit Doris Schäfer-Noske | 11.01.2012
    Doris Schäfer-Noske: "Live free or die", also "Frei leben oder sterben" – das steht seit 1945 auf den Autokennzeichen von New Hampshire – ein Motto, das manchen Besucher in dem liberalen US-Bundesstaat überraschen mag. Andererseits zeigt der Vorwahlkampf der Republikaner in den USA zurzeit, wie wichtig den Amerikanern ihre Freiheit ist. Gestern haben in New Hampshire die zweiten Vorwahlen der Republikaner stattgefunden, und Mitt Romney konnte dabei wieder einen Sieg verbuchen. Zwar stehen noch 48 Vorwahlen aus, trotzdem gab sich Romney gestern schon siegesgewiss. "Das ist die Nacht, in der wir Geschichte gemacht haben", rief er seinen Anhängern zu. Und: Bei den Präsidentschaftswahlen im November gehe es um die Seele Amerikas. - Frage an Friedrich Mielke: Herr Mielke, wenn man den Vorwahlkampf verfolgt, dann kann man den Eindruck haben, dass da – anders als in Deutschland – nicht politische, sondern kulturelle Wertesysteme aufeinanderprallen. Ist denn dieser Eindruck richtig?

    Friedrich Mielke: Ja, sehr richtig. Die Seele Amerikas – was er meint ist das amerikanisch sein, und das ist primär die Freiheit, das Recht, über sich selbst zu bestimmen. Die Amerikaner diskutieren bis heute darüber, wie groß die Rolle des Staates in der Gemeinschaft sein sollte. Und dieser Spruch, "Give me Liberty, or give me Death", "Gib mir Freiheit, oder den Tod", das ist sehr amerikanisch. Das heißt, der Einzelne bestimmt über sich selbst, er hat seine Freiheit - bis hinein in die Unabhängigkeitserklärung, wo man von Leben und Eigentum und auch von der Suche nach dem Glück, dem Streben nach Glück spricht, und das kann nur das Individuum und nicht der Staat.

    Schäfer-Noske: Dieser Kultur der Freiheit des Individuums steht ja auf der anderen Seite auch immer eine große nationale Solidarität gegenüber. Wie passt das denn zusammen?

    Mielke: Ja diese Solidarität betrifft nicht das Individuum. Es gibt also keine Solidargemeinschaft, es gibt keinen Generationenvertrag, in der Sozialpolitik zum Beispiel, sondern immer nur dann, wenn sich die Vereinigten Staaten von außen bedroht fühlen – nach einem Angriff in Pearl Harbor zum Beispiel, oder beim 11. September. Dann schließt man sich zusammen, um dem Feind nach außen gemeinsam stark entgegenzutreten.

    Schäfer-Noske: Obama habe seine Ideen aus Europa, hat der Republikaner Mitt Romney ihm vorgeworfen, muss man sagen. Wie kann er denn Obama als Europafreund diffamieren und damit auch noch Zustimmung finden?

    Mielke: Ja, da findet er ganz große Zustimmung bei den Republikanern. Europa ist die Heimat des Sozialismus, des Kommunismus, des Totalitarismus – alles, was das Individuum bedroht: Erstens durch eine gesetzliche Krankenversicherung oder ähnliche staatliche Gesetze, die uns als Individuum einschränken. Und zum Zweiten – und das ist ganz spannend – sagen dann die Vertreter dieser Richtung, dass Europa gescheitert sei. Das heißt, der Sozialstaat in Frankreich oder Deutschland, der sei gescheitert. "Armes Europa! Das ist kaputt, das ist krank, das ist bankrott und wir Amerikaner müssen uns hüten, so zu werden wie besonders Frankreich." Der Prügelknabe ist da immer wieder Frankreich. "We don’t want to be like France!" Damit kann man gute Stimmen machen in diesem Wahlkampf.

    Schäfer-Noske: Aber durch die Pilgerväter ist doch eigentlich auch die Heimat der Amerikaner von heute Europa.

    Mielke: Das ist völlig richtig. Nur die Pilgerväter kamen mit dem Begriff der Religionsfreiheit, Liberalismus im Sinne, wenn ich es so sagen darf, von John Stuart Mill, oder auch Montesquieu, das heißt Freiheit im Sinne von individueller Freiheit der Religionsausübung und in jeder Hinsicht antietatistischer Kultur und Philosophie. Das ist ja gerade ureuropäisch. Insofern sind diese Auswanderer im 17. Jahrhundert Europäer, die aber ein Gedankengut mitgebracht haben, das eben heute – so sagen die Verfechter dieser liberalen Theorie – in Europa nicht mehr gilt. Da gibt es sozialistische, kommunistische Staaten, und das wollen wir Amerikaner nicht. Wir nehmen uns das aus Europa, was wir als amerikanisch definieren, und das ist der Liberalismus.

    Schäfer-Noske: Wer hat denn daran ein Interesse, an so einem Kulturkampf?

    Mielke: Dieser Kulturkampf, da hat man ein ganz großes Interesse dran, weil man sich ständig darüber streitet, was sind denn nun wirklich die amerikanischen Werte. Das geht ja weg von der Politik, von der Sozialpolitik und Wirtschaftspolitik, hinein in die Philosophie und die Kultur und die Moral – bei den Fragen von Homoehe oder Abtreibung oder Todesstrafe oder Waffenbesitz und Ähnlichem. Und nehmen wir mal so etwas wie die Abtreibung. Da sagt man eben: Da kommt man aus dem christlichen Gedankengut heraus, du sollst nicht töten, und Abtreibungsgegner sind da äußerst radikal. Da sind die Amerikaner zerstritten. Der Kampf geht um die Definition des amerikanischen Seins, des Amerikanismus und der Kultur in Amerika.

    Schäfer-Noske: Friedrich Mielke war das über den Vorwahlkampf in den USA, bei dem kulturelle Werte eine Hauptrolle spielen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.