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US-Wahlkampf
"Trump nimmt die Unzufriedenheit auf"

Es könne auch taktisches Kalkül von Donald Trump sein, dass dieser sich im US-Wahlkampf inhaltlich nicht festlege, sagte Josef Braml von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik im DLF. Trump nehme die prekäre Lage vor allem von weißen US-Bürgern auf und "solidarisiert sich mit den Ungebildeten." Zudem spreche er das aus, was viele sich nicht mal mehr trauen würden zu denken, und das könne gefährlich werden.

Josef Braml im Gespräch mit Doris Simon | 11.03.2016
    Donald Trump in South Carolina. Er winkt seinen Anhängern zu.
    Donald Trump in South Carolina (Richard Ellis, dpa picture-alliance)
    Doris Simon: Es ist ein ziemlich düsteres Bild, das der USA-Kenner Josef Braml in seinem neuesten Buch über die Vereinigten Staaten zeichnet: das demokratische Fundament ausgehöhlt. Braml, der unter anderem die Redaktion des Jahrbuchs internationale Politik bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik leitet, hat immer wieder in den Vereinigten Staaten gearbeitet und geforscht. Heute konstatiert er nichts weniger als den Ausverkauf der US-Demokratie. Einige wenige, so seine These, bestimmten die Geschicke des Landes. Die Bürger würden politisch und wirtschaftlich entmündigt und zugleich verstärkten die sozialen und wirtschaftlichen Probleme die Konkurrenz der politischen Gewalten in den USA so sehr, dass die politische Handlungsfähigkeit völlig gelähmt sei. Ich habe vor dieser Sendung mit Josef Braml über seinen Blick auf die Vereinigten Staaten gesprochen und ihn gefragt - in den USA haben immer schon einflussreiche Menschen viel Einfluss in der Politik gehabt; das sind in der Regel immer die mit Geld -, was für ihn denn die neue Qualität sei?
    Josef Braml: Frau Simon, Sie erwähnen es: Die Räuberbarone gab es auch früher schon. Nur jetzt kommen die Silikonsultane noch dazu, wie der "Economist" es bezeichnend beschrieben hat. Das heißt, zu den alten Mächten, Ölmagnaten, Industriellen, kommen jetzt die neuen Technologien und Medien hinzu. Und wenn Sie im Medienbereich eine Vermachtung haben, dann haben Sie eine doppelte Gefahr für die Demokratie: Nicht nur Gruppen, die massiv Druck auf das politische System nehmen, indem sie direkt Politik finanzieren, teilweise auch Politiker hineinsenden, um Regeln in ihrem Sinne zu erlassen, also möglichst keine Regeln und möglichst keine Steuern, sondern Sie haben dann auch noch die Kontrolle der Kanäle, wie das die Jungen Wilden nennen - die alten Kanäle, Medien, die Sie und ich noch wertschätzen, aber dann gibt es auch schon diese neuen Kanäle, und hier müssen wir uns auf einiges gefasst machen.
    Simon: Was heißt das denn ganz konkret, wenn die neuen Kanäle auch da sind? Es könnte ja auch für mehr Demokratie sorgen.
    Braml: Ja das ist die Idee, diese basisdemokratische Idee, dass auch das Internet dann zu dem Bereich wird, wo sich sehr viele austauschen können, viele Meinungen aufeinanderprallen. Aber im Endeffekt leben dann die Menschen doch in ihren kleinen digitalen Dörfern und Theorien, Verschwörungstheorien und vielem anderen. In den USA haben Sie mittlerweile schon Wahrnehmungen der Realität, die mit der Realität überhaupt nicht mehr kompatibel sind und die auch politisch verhärtet, polarisiert sind. Das heißt, die einen verstehen nicht mehr die Welt der anderen.
    "Sanders bewegt sich auf den Grundlagen unserer sozialen Marktwirtschaft"
    Simon: Herr Braml, lassen Sie uns mal auf den aktuellen Wahlkampf schauen, zum Beispiel auf den Demokraten Bernie Sanders. Der argumentiert ja gar nicht so viel anders als Sie in dem Buch: Die Amerikaner haben nicht, aber wollen eine Regierung, die alle repräsentiere, nicht nur Wall Street und eine Handvoll steinreicher Leute.
    Seine Analyse, Sanders Analyse unterscheidet sich gar nicht so sehr von Ihrer Analyse. Aber mit dieser angeblichen Minderheitsposition, wie Sie das sehen, hat ja Sanders doch eine Menge Wahlkampfspenden gesammelt und auch noch Erfolg.
    Braml: Ja, es ist überraschend, dass auf der einen Seite Bernie Sanders, aber dann auch auf der anderen Seite Cruz und vor allem Trump hier sehr viel Unzufriedenheit für sich nutzen können. Wenn wir jetzt hier uns auf Sanders konzentrieren: Es ist schon bezeichnend, dass ein selbsterklärter Sozialist im Land der Freien so viel Zuspruch erhält. Aber im Endeffekt ist da nicht viel Sozialistisches dran. Er bewegt sich auf den Grundlagen unserer sozialen Marktwirtschaft. Er wäre in der CDU/CSU verortbar, auch in der SPD.
    Simon: Aber für die USA ist es links.
    Braml: Für die USA ist es links. Da gilt es als revolutionär, wenn man für das Studium sich nicht für sein ganzes Leben lang verschuldet und dann nur noch die oberen Zehntausend ihre Kinder in die Elite-Universitäten schicken können. Das ist aber auch in Amerika jetzt mittlerweile fraglich geworden, ob nicht der Staat doch einige Funktionen hat, zum Beispiel Straßen und Brücken zu bauen und vieles mehr, was wir hierzulande als gegeben nehmen, dass der Staat dann doch eine Rolle hat.
    Simon: In Ihrem Buch schreiben Sie aber, dass der Unmut der Menschen ja sozusagen manipuliert würde. Sie schreiben von "Politunternehmern" und dann immer gegen den Staat mit diesen alten Argumenten, der Staat reguliere zu viel, die Regierung sei das Problem, nicht die Lösung. Aber das, was Sie gerade sagen, und das, was ja auch Bernie Sanders sagt, das ist ja eine andere Geschichte. Der fordert ja, wie von Ihnen jetzt auch eingeräumt, die Rückkehr zum starken Staat. Ändert sich da gerade was in den USA?
    Braml: Ja. Sie haben Bernie Sanders, er macht das Leben Hillary Clinton sehr viel schwerer und zwingt sie auch mittlerweile zum Populismus. Ob sie das wirklich glaubt, was sie jetzt sagt, sei dahingestellt, zumal wenn man bedenkt, dass sie von der Wall Street massiv finanziert wird. Das heißt, Sie haben auf der einen Seite schon eine Änderung, aber auf der anderen Seite, auf der Seite der Republikaner, die mittlerweile ja schon staatsfeindlich eingestellt sind, wird das Versagen, das durch die Deregulierung der Finanzmärkte ausgelöst wurde und in der Wirtschafts- und Finanzkrise 2007 und 2008 endete, dieses Versagen, dieser Unmut der Bevölkerung wird einmal mehr gegen den Staat gerichtet. Da gibt es Think Tanks, da gibt es Medien, da gibt es sehr viele Politunternehmer, die die Geschichte in ihrem Sinne deuten, dass der Staat zu viel reguliert habe. Man will den Staat noch kleiner machen.
    Simon: Aber davon profitieren ja nicht klassische Republikaner oder Tea Party Anhänger wie Ted Cruz, sondern im Augenblick sehen wir Donald Trump auf Siegesfahrt. Der Mann ist ja inhaltlich schwach, er argumentiert unter der Gürtellinie, er ist bösartig zu allen Andersdenkenden. Wie, Herr Braml, ist es eigentlich um viele US-Bürger bestellt, dass sie auf so einen Mann ihre Hoffnung setzen?
    Braml: Ja. Bei Donald Trump weiß man nicht so genau, wo er steht, und das weiß er vielleicht auch nicht immer, wo er dann jeweils rauskommen wird. Aber es kann auch taktisches Kalkül sein, sich hier nicht festzulegen. Er nimmt einfach die Unzufriedenheit auf, die prekäre Lage vieler, vor allem auch mittlerweile weißer Amerikanerinnen und Amerikaner. Er fühlt mit denen, er solidarisiert sich mit den Ungebildeten, wie er sagt. Die sind ihm am liebsten. Er ist jetzt derjenige, der ausspricht, was viele sich mittlerweile nicht mal mehr denken trauen, und das kann gefährlich werden, ja.
    Simon: Sehen Sie da mehr Parallelen oder mehr Unterschiede zum Rechtspopulismus in Europa?
    Braml: Ich sehe einige Parallelen. Wenn man das Ganze ein bisschen weit abstrahiert über die politischen Strukturen hinaus, ist es doch so, dass die liberale Demokratie bestimmte Leistungen nicht mehr erfüllen kann: für Sicherheit sorgen in den Augen der Bevölkerung, oder möglichst viel Wachstum für möglichst viele gewährleisten kann. Das ist aufgekündigt. Der liberale Deal ist nicht mehr da. Wir sehen Unzufriedenheit auch in Europa an beiden politischen Rändern und das sehen wir auch in den USA.
    Wenn man aber dann beurteilen will, wie sich das äußert, muss man sich das politische System genauer ansehen. In Deutschland zum Beispiel sehen wir das in Form einer neuen Partei, AfD oder vielleicht sogar noch schlimmer weiter draußen. In den USA gibt es keine Partei nach unserem Verständnis. Dieses politische System der Checks and Balances kennt keine Parteien-, keine Parteidisziplin. Parteien haben nicht mal mehr das Sagen, wer in ihrer Namen antritt für die Wahlen. Das heißt, hier geht es dann über andere Strukturen, vor allem dann über Interessengruppen, Think Tanks, die von Interessengruppen bezahlt werden, und hier wird massiver Einfluss ausgeübt.
    "Kompromisse machen kann politischen Selbstmord bedeuten"
    Simon: Sie sprachen gerade schon die Checks and Balances an. Die sind ja auch inhärent bei der Konkurrenz der politischen Gewalten in den USA, schon immer. Diese Konkurrenz ist ja über die Jahre zu einem lähmenden Gegeneinander geworden. Drastisches Beispiel haben wir miterlebt: die beinahe Zahlungsunfähigkeit der US-Bundesbehörden. Sehen Sie eigentlich in den USA einen politischen Willen irgendwo, an diesem Zustand was zu ändern?
    Braml: Ich sehe den politischen Willen, diesen Zustand aufrecht zu erhalten, von denen, die ihn mit verursacht haben. Es gibt sicher einige strukturelle Gründe, die ich auch breit ausgeführt habe, aber es gibt dann einige Milliardäre. Nehmen Sie die beiden Brüder Charles und David Koch, die Ölmagnaten, die diese vermeintliche Graswurzelbewegung, die Tea Party finanziert haben. Und Abgeordnete, die über diese Tea Party in das Abgeordnetenhaus gekommen sind, gehen auf Systemblockade, auf Fundamentalopposition. Kompromisse machen kann politischen Selbstmord bedeuten. In zwei Jahren bist Du wieder raus, wenn Du so etwas machst.
    Es gibt noch wenige, eine Handvoll Abgeordnete im Haus und noch weniger im Senat, die nicht einen Eid unterschrieben haben bei einem Lobbyisten, Grover Norquist, dass sie nie in ihrem Leben Steuern erhöhen werden. Wenn Sie diese Lage haben, dann sehen Sie, dass da künftig die Kompromissbereitschaft noch kleiner sein wird.
    Simon: Angesichts dieser düsteren Analyse, Herr Braml, wie kommen Sie dazu, dass Sie immer wieder doch auch vom Vorbild USA sprechen?
    Braml: Ich habe vom ehemaligen Vorbild gesprochen.
    Simon: Aktuell nicht mehr?
    Braml: Nein. Ich denke, wir wissen auch schon seit den Reaktionen auf den 11. September, als hier George W. Bush den globalen Krieg gegen den Terror vom Zaun gebrochen hat, der übrigens von Obama weitergeführt wurde, dass Amerika Defizite hat seiner Demokratie. Checks and Balances funktioniert genau in dem Bereich nicht mehr. Hier ist die große Ausnahme: In der Sicherheitspolitik kann der oberste Befehlshaber mehr oder weniger durchregieren. Da gibt es keine Gewaltenkontrolle. Und Sie haben auch massive Einschränkungen persönlicher Freiheitsrechte. Das heißt, das wissen wir schon sehr viel länger. Was jetzt noch hinzukommt, ist jetzt auch der Entzug der Freiheit im sozialen und wirtschaftlichen Bereich, dass viele nicht mehr die sozialen Voraussetzungen haben, um am gesellschaftlichen und auch am politischen Leben teilzunehmen, und das belastet die ehemalige Vorbilddemokratie umso mehr.
    Simon: Der außenpolitische Experte Josef Braml. Sein neues Buch "Auf Kosten der Freiheit. Der Ausverkauf der amerikanischen Demokratie und die Folgen für Europa" erscheint heute.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.