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Das Juwel des Mississippi-Deltas

"Mound Bayou" gilt als Perle des Mississippi-Deltas. Ein Ort, dessen Geschichte vor allem von seinen afroamerikanischen Einwohnern geprägt wurde. Man denkt gleich an "Delta Blues", Baumwollplantagen und die großen Autoren der Südstaaten, doch Mound Bayou hat auch den Schritt in die Moderne geschafft.

Von Rudi und Rita Schneider | 16.03.2014
    Ein Haus im klassischen Südstaaten-Stil in Mound Bayou
    Südstaatenflair: ein Haus in Mound Bayou (Schneider / Deutschlandradio)
    Mound Bayou hört sich fast an wie Mount McKinley. Bei dem Ortsnamen "Mound Bayou" schreibt man allerdings das Wort "Mound" am Ende mit "d", und das, obwohl es sich in gewisser Hinsicht auch um einen Berg handelt. Indianische Mounds sind ein Relikt der Ureinwohner Nord-Amerikas. Das sind rituelle beziehungsweise Grabhügel, die durchaus gewaltige Ausmaße haben können. 30 Meilen westlich von Mound Bayou liegt Winterville am Mississippi mit einer ganzen Anlage von solchen Mounds. Mark Howell ist einer der führenden Archäologen in diesem Gebiet und Direktor der Winterville Mounds.
    "Winterville wurde zunächst vom Stamm der "Coles Creek"-Indianer gebaut. Die "Coles Creek"-Kultur, die im Südosten nördlich von Natchez lebte, bauten Anlagen mit einem oder mehreren Mounds um eine Plaza herum. Typischerweise waren diese Mounds auf dem Gipfel abgeflacht und meistens befand sich auf dieser Plattform ein Gebäude."
    Einer dieser prähistorischen Mounds liegt nordwestlich von Winterville am Zusammenfluss von zwei Bayous. So nennt man in den Südstaaten langsam fließende oder stehende Gewässer. Und beide Begriffe gaben Mound Bayou den Ortnamen. Im Jahr 1887 kauften dort die beiden befreiten Sklaven Isaiah T. Montgomery und sein Cousin 340 Hektar Land, rodeten Bäume und Sträucher und legten bebaubare Ackerflächen an. Isaiah T. Montgomery war ein sehr gebildeter Geschäftsmann und wählte den Standort wegen der sehr befahrenen Bahnlinie der Louisville - New Orleans & Texas Railroad, die zu dieser Zeit eine Schlagader des Güter- und Personenverkehrs zwischen Memphis und New Orleans an der Golfküste war.
    Vom alten Gleisbett und der Bahnstation gibt es heute nur noch Reste; und dort haben wir uns mit Dr. Eulah Peterson verabredet, mit der wir nun Mound Bayou erkunden wollen. Ihre Vorfahren gehörten zu den ersten Einwohnern der Stadt.
    "Der Vater meiner Mutter war Sklave. Als er sieben Jahre alt war, wurden die Sklaven befreit. Mein Großvater war also noch Sklave. Er und seine Frau Elisabeth sind als zwei der ersten Einwohner in Mount Bayou registriert. Sie kamen 1903 aus Louisiana. Sie kauften sich 32 Hektar Land zweieinhalb Meilen östlich der Stadt und bewirtschafteten es. Das Land ist heute immer noch im Besitz der Familie. Viele haben aber auch ihr Land über die Zeit aus verschiedenen Gründen verkauft. Landwirtschaft ist immer noch ein wichtiger Einkommensfaktor in Mound Bayou, aber nicht so sehr, wie in früheren Tagen."
    Die erste Bank der Afroamerikaner
    Um 1940, so berichtet Eulah Peterson während wir der alten Bahnlinie entlang wandern, hatte die Stadt bereits eine prosperierende Infrastruktur. Es gab während dieser Zeit drei Schulen, 40 Geschäfte, sechs Kirchen, einen Bahnhof, eine eigene Zeitung, drei Baumwollmühlen, eine Ölmühle, einen Zoo … Eulah lächelt und setzt die Liste fort: eine Carnegie Bücherei, ein Schwimmbad, ein Sägewerk, und ein Krankenhaus. "Wir hatten auch eine landwirtschaftliche Genossenschaft und eine eigene Bank", erzählt sie.
    "Die Mound Bayou Bank war die erste Bank in Mississippi, die von Afroamerikanern gegründet wurde. Sie wurde 1904 von Charles Banks gegründet. Die 1911 extrem fallenden Baumwollpreise waren für die Bank ein finanzielles Desaster. Deshalb wurde sie 1914 von der staatlichen Aufsichtsbehörde wieder geschlossen."
    Das alte Bankgebäude steht noch immer. Die Fenster sind mit Holz vernagelt. Eulah zeigt uns ein historisches Foto, auf dem die Bankkunden vor dem Eingang Schlange stehen. Baumwolle war lange eine wichtige Einkommensquelle. Eulah hat an der Ole Miss, das ist die Universität von Mississippi in Oxford studiert. Dort, so erzählt sie, singt man noch heute die Lieder, die die Vorfahren auf den Baumwollfeldern gesungen haben.
    127 Jahre ein "Juwel"
    Nur wenige Schritte vom alten Bankgebäude entfernt befindet sich die relative neue City Hall, das Rathaus. Im Eingangsbereich finden wir eine große Tafel mit den Porträts aller Bürgermeister seit der Gründerzeit.
    "Das Rathaus wurde von Bürgermeister Earl Lucas gebaut. Wir schauen hier auf die Wand der Bürgermeister. Der erste war I.T. Montgomery, der Gründer von Mount Bayou. Hier drüben, das ist Mrs. Marissa Norman, unsere einzige Bürgermeisterin. Benjamin Green war der am längsten amtierende Bürgermeister in der Zeit von 1939 bis 1961. Er war hat in Harvard Jura studiert. Unser derzeitiger Bürgermeister ist Kennedy V. Johnson seit 2001."
    Mound Bayou feierte 2012 sein 125-jähriges Gründungsfest. Präsident Theodore Roosevelt bezeichnete die Stadt seinerzeit als das Juwel des Staates Mississippi. Noch heute liegt der Anteil der afroamerikanischen Bevölkerung bei 98,6 Prozent. In Mound Bayou ist man stolz darauf, viele, insbesondere gemeinnützige Einrichtungen selbst gegründet und aufgebaut zu haben. Eine davon ist das Delta Health Center.
    "Das Delta Health Center ist das erste von einer Gemeinde betriebene Health Center in Mississippi. Es wurde 1967 eröffnet und bietet ambulante Hilfe für Normal- und Zahnmedizin. Die Hilfe wurde hauptsächlich für Personen eingerichtet, die nicht versichert sind. Sie zahlen nur soviel, wie es ihnen möglich ist."
    Unter der Leitung von Chief Perry Smith fanden und finden hier tausende Afroamerikaner aus der ganzen Region des Mississippi Deltas medizinische Hilfe, die den finanziellen Möglichkeiten der Patienten angeglichen ist. Auf der anderen Straßenseite des Delta Health Centers führt uns Eulah zu einer weiteren wichtigen Einrichtung.
    "Wir sind hier am St. Gabriel Mercy Center. Das war ursprünglich eine katholische Mission. Sie umfasste eine komplette Schule, eine Kirche mit einem Konvent, der von einem Priester und Nonnen betrieben wurde."
    Im Heritage Park
    Mound Bayou ist auch heute sehr lebendige Stadt, erzählt Eulah, während wir uns wieder im Schatten alter Eichen in Richtung Stadtmitte begeben. „Ganz in der Nähe der City Hall haben wir uns einen kleinen, aber feinen Park gebaut“, sagt sie.
    "Wir sind hier in unserem 'Heritage Park', der zur Erinnerung an die Geschichte von Mound Bayou errichtet wurde und unsere Bürger mit einer entspannenden Atmosphäre einlädt. Es ist ein städtischer Park, der aber von einigen unserer Bürger gepflegt wird. In der Mitte sehen sie ein Modell des Bayous und des indianischen Mounds, von denen unsere Stadt ihren Namen hat."
    Im Heritage Park erzählt Eulah davon, dass die Bürger von Mound Bayou seit der Gründung sehr bewusste "freie" Bürger waren. Wir haben bei allen Wahlen unsere Stimmzettel abgegeben, was in Mississippi für Afroamerikaner nicht ungefährlich und nicht selbstverständlich war, sagt sie. Wir haben den Heritage Park wieder verlassen und Eulah wandert mit uns zu einem Gebäude, das für die Einwohner von Mound Bayou eine besondere Bedeutung hat.
    "Das ist der 'American Legion'-Posten Nummer 220. Das war der erste Posten der 'American Legion', der von Afroamerikanern im Staat Mississippi betrieben wurde. Er wurde 1948 gegründet, und ich bin stolz darauf, dass mein Vater Isaak Peterson der erste Kommandeur war. Der Posten ist immer noch aktiv. Hier vorne steht der Gedenkstein für die Gefallenen der beiden Weltkriege."
    Das Gemeindeleben in Mound Bayou ist auch heute sehr lebendig. Interessanterweise benutzt man hier das deutsche Wort "Fest", beispielsweise das "Septemberfest" bei dem sich alle Familien bei viel Musik und Barbecue auf einer großen Festwiese treffen, oder auch das traditionelle "Silvester-Fest", bei dem man auch heute mit großer Begeisterung Gospel singt.
    Einwöchige Gründungsfeier
    Am Stadtrand, wo die weiten Felder in den Auen der Bayous beginnen, liegt auch der Friedhof, zu dem uns Eulah geführt hat. Große alte Eichen überdecken mit ihren weitausladenden Ästen, an denen spanisches Moos hängt, die Gräber der Familien. Auf einem der alten, schon etwas verwitterten Steine lesen wir den Namen Isaiah T. Montgomery.
    "Unsere Stadt wurde am 12. Juli 1887 gegründet. Wir feiern das jedes Jahr eine ganze Woche lang. Eine der Aktivitäten findet hier auf dem Friedhof statt. Eine Prozession führt vom Rathaus zum Friedhof, wo wir einen Gottesdienst feiern und Kränze auf den Gräbern von Isaiah Montgomery und Benjamin Green niederlegen. In diesem Jahr sind wir besonders stolz, das die Gastansprache von einer Nachfahrin von Isaiah Montgomery gehalten wird. Ihr Name ist La June Montgomery Tabron. Sie ist Präsidentin und CEO der Kellogg Foundation."
    Hier, am Grab der Gründer von Mound Bayou endet unsere Wanderung durch einen Ort, der in der amerikanischen Geschichte eine ganz besondere Rolle einnimmt, wie auch der bekannte Autor, Künstler und Aktivist Michael Premo schrieb: „Mound Bayou war eine Oase in turbulenten Zeiten. Während im Rest von Mississippi vielerorts gewalttätiger Rassismus herrschte, war die Stadt ein Ruhepol. Mound Bayou, so schreibt Michael Premo, ist eine Krone im Kampf für Selbstbestimmung und selbst erarbeitetem wirtschaftlichen Erfolg.