Donnerstag, 18. April 2024

Archiv

Rom
Die päpstliche Mehrzweckhalle

Am Karfreitag geht der Papst traditionell den Kreuzweg am Kolosseum. Er erinnert an die Passion Jesu und, speziell an diesem Ort, an das Leiden der frühen Christen. Eine neue Ausstellung zur Geschichte des Monuments zeigt nun: Die Arena taugt nicht als Symbol der Christenverfolgung, sie ist eher ein Beweis kirchlichen Geschäftssinns.

Von Thomas Migge | 13.04.2017
    Das Kolosseum in Rom bei Nacht während des Betens des Kreuzweges mit Papst Franziskus
    Papst Franziskus betet am Kolosseum in Rom den Kreuzweg (dpa/picture-alliance/Riccardo De Luca)
    Immer am Karfreitag, nach Einbruch der Dunkelheit, vollzieht sich, mit dem Papst als Protagonisten, die traditionelle Karfreitagsprozession. Dabei wird ein großes Holzkreuz über die Via dei Fori Imperiali getragen. Bis zu der Ruine der zwischen den Jahren 72 und 80 nach Christus von Kaiser Vespasian errichteten gigantischen antiken Arena, dem größten altrömischen Bauwerk Italiens.
    "Diese stimmungsvoll in Szene gesetzte Prozession sowie die sich anschließende und von zahllosen Kerzen und Fackeln beleuchtete religiöse Feier, mit Gebeten und frommen Texten, wird jedes Jahr von Tausenden von Gläubigen aus aller Welt besucht."
    Ihre Wurzel hat die Karfreitagsprozession in der Annahme, dass in der Arena unter heidnischen und blutrünstigen Kaisern zwischen dem 1. und 4. Jahrhundert massenweise Christen abgeschlachtet wurden. Sogar verbrannt wurden sie im Kolosseum, heißt es in historischen Schriften aus vergangenen Jahrhunderten, mit Pech bestrichen, an Kreuze gebunden und anschließend unter dem Jubel der anwesenden sensationslüsternen Menge den Flammen übergeben. Dabei sollen sie fromme Lieder gesungen und dem Tod mit Gottvertrauen ins Angesicht geschaut haben – so jedenfalls beschreiben es verschiedene Hollywoodfilme.
    An Kreuze gebunden und die Menge jubelte: Szenen aus Hollywood
    Doch die Realität sah wahrscheinlich anders aus.
    Wahrscheinlich starben nur wenige Christen - wenn überhaupt - im Kolosseum. Kirchenhistoriker gehen davon aus, dass Christen unter bestimmten christenfeindlichen Kaisern nicht speziell in Arenen, sondern an den verschiedensten Orten getötet wurden. Um aufzuräumen mit den falschen und halbwahren Mythen des Kolosseums wurde eine Ausstellung organisiert, die die wechselhafte Geschichte der Arena erzählt. Einer Arena, die, nachdem sie rund 400 Jahre lang als Ort grauenhafter Vergnügungen diente, zu einer Art Mehrfamilienhaus wurde, erklärt Rosella Rea, Archäologin und Direktorin des Kolosseum:
    "Hier haben viele Leute gewohnt. In gewisser Weise war das eine Art Mehrfamilienhaus. Ein sehr großes allerdings!"
    Das Kolosseum, erklärt Direktorin Rosella Rea wurde nach dem Ende des Römischen Reiches im frühen 5. Jahrhundert zu einem Mehrzweckbau. In der gigantischen Ruine ließen sich zunächst viele Obdachlose nieder.
    Rosella Rea:"Wir verfügen über mittelalterliche Dokumente, die wir in unserer Ausstellung zeigen. Sie weisen nach, dass hier Hunderte von Menschen lebten. Sie bauten sich mehrgeschossige Wohnungen in die Bogengänge. Vor allem seit dem 11. Jahrhundert."
    Und die Päpste kassierten. Das Kolosseum gehörte zu ihrem römischen Immobilienbesitz. Wer in der Arena bauen oder mieten wollte, musste dem Kirchenschatz Bares zahlen.
    Die vielfältige und weitgehend unbekannte Geschichte des Kolosseums nach dem Ende des Römischen Reiches und der letzten Schaukämpfe mit zahllosen Dokumenten, Gemälden, Mosaiken, Skulpturen und Architekturmodellen erzählt.
    Mehrfamilienhaus, Steinbruch, Bordell
    Während ein Teil der grandiosen Ruine bewohnt war, diente ein anderer Teil als Steinbruch zum Bau römischer Renaissancepaläste. Im Barock stellten die Päpste ein großes Kruzifix im zentralen Arenenoval auf. Es sollte an die vielen im Kolosseum ermordeten Frühchristen erinnern. Eine Märtyrerstätte also, die zum Pilgerziel und Endpunkt erster päpstlicher Prozessionen wurde.
    Die Ausstellung berichtet auch über katholische Sittenwächter im Kolosseum. Sie waren nötig geworden, denn die Römer trieben es dort anscheinend recht toll, weiß Archäologin und Ausstellungskuratorin Rosella Rea:
    "Ende des 14. Jahrhunderts siedelte der Papst in der Arena eine fromme Erzbruderschaft an. Sie hatte die Aufgabe für Ruhe, Ordnung und die Einhaltung der Moral zu sorgen. Die Brüder hatten auch darüber zu wachen, dass die Römer keine wertvollen Steine der Dekoration des Kolosseums klauen".
    Seit dem 16. Jahrhundert kümmern sich päpstliche Kunstschützer um den Erhalt des antiken Monuments. Aber erst mit dem Ende der weltlichen Papstherrschaft und der Schaffung des italienischen Nationalstaats 1870, verschwinden die Mieter und Wohnungseigentümer, die Geschäftsleute und Huren sowie die Bruderschaft aus der gewaltigen Ruine der Arena.
    Seit Ende des 19. Jahrhunderts ist das Kolosseum ein nationales italienisches Monument. Fast sieben Millionen Menschen besuchen es heute jährlich. Das Kolosseum finanziert mit den immensen Einnahmen aus dem Verkauf von Eintrittskarten nicht nur seine eigenen Instandhaltungsarbeiten, sondern auch die vieler anderer antiker Monumente Roms.