Donnerstag, 28. März 2024

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Lauterbach (SPD) zum Coronavirus
"Ein Impfstoff wird am Anfang sehr knapp sein"

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hat den Aufkauf des Corona-Medikaments Remdesivir als "unfreundlichen Akt" der US-Regierung bezeichnet. Wenn man so auch an einen Impfstoff heranginge, wäre das besorgniserregend, sagte er im Dlf. Wer diesen am dringendsten benötige, müsse ihn zuerst bekommen.

Karl Lauterbach im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 02.07.2020
Der SPD-Gesundheitsexperte und Epidemiologe Karl Lauterbach
Der SPD-Gesundheitsexperte und Epidemiologe Karl Lauterbach (Imago/ Reiner Zensen)
Remdesivir gilt als eines der derzeit wirksamsten Mittel bei schweren COVID-19-Symptomen. Die USA kaufen nun große Teile der Remdesivir-Produktion auf. Im Interview erläutert der SPD-Gesundheitsexperte und Epidemiologe Karl Lauterbach, was das für Deutschland bedeutet und warum es mit einem möglichen Impfstoff gegen das Coronavirus seiner Meinung nach so nicht laufen dürfte.
Münchenberg: Bei der Suche nach einem Impfstoff oder Medikament gegen Corona, gilt da das Prinzip Alle gegen alle?
Lauterbach: Ich hoffe nicht, aber ganz auszuschließen ist das nicht. Das was wir bisher gesehen haben, stimmt nicht zuversichtlich. Die jetzige Aktion bei Remdesivir ist ein sehr unfreundlicher Akt der Amerikaner, und wenn wir so an den Impfstoff später herangingen, dann hätten wir sicherlich alle große Probleme. Das käme dann einer Versteigerung des Impfstoffes gleich. Das können wir uns natürlich auf keinen Fall leisten. Noch ist es unklar, ob und wann ein Impfstoff kommt, aber klar ist, dass er am Anfang sehr knapp sein wird, weil die Produktion hochgefahren werden muss. Wir haben noch nie in einer ähnlichen Größenordnung irgendeinen Impfstoff produzieren müssen, auch nicht in der Nähe der Größenordnung. Daher wird das nicht so rasch bedienbar sein. Da müsste sichergestellt werden, dass die Länder und in den Ländern diejenigen, die den Impfstoff besonders benötigen, auch zuerst bedient werden.
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"Der Marktmacht der Amerikaner entgegenwirken"
Münchenberg: Dieses Remdesivir, ist das so ein Wundermittel jetzt schon gegen Corona? Wie ist der Wirkstoff einzuschätzen?
Lauterbach: Nein. Remdesivir ist kein Wundermittel. Remdesivir ist ein Wirkstoff, der die Dauer der Erkrankung verkürzt, aber die Überlebenswahrscheinlichkeit nicht erhöht – von dem, was wir wissen – und im Übrigen auch nur bei sehr schweren Fällen, bei Menschen, die beatmet werden müssen oder die zumindest Sauerstoff benötigen – so schlimm muss die Lungenentzündung dann sein -, wirkt, überhaupt wirkt. Ein Alternativmedikament, Dexamethason, scheint ähnliche Wirkungen, wenn nicht sogar bessere Wirkungen zu haben. Somit ist das jetzt, sage ich mal, bis zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Tragödie, aber bei einem Impfstoff wäre das eine ganz andere Angelegenheit. Da wäre so ein Vorgehen sehr besorgniserregend.
Münchenberg: Nun bemühen sich ja gerade die Europäer um Geschlossenheit. Das war ja zu Beginn der Pandemie ganz anders. Da war es ja mit der europäischen Solidarität nicht weit her. Wie schätzen Sie das ein? Hat man jetzt wirklich gelernt aus der Anfangskrise, oder könnte das nicht doch schnell wieder über Bord geworfen werden, wenn zum Beispiel eine zweite Corona-Welle über die Welt rollt, die womöglich noch tödlicher ist als die erste?
Lauterbach: Ich glaube schon, dass Europa gelernt hat. Und da sind die Schritte, die wir jetzt beobachtet haben, dass Länder Kontingente aufkaufen von Impfstoffen, die noch gar nicht da sind, sich aber gegenseitig in Europa versprechen, dass sie dann, falls sie den Zuschlag bekommen, auch anderen Ländern in Europa helfen, das sind auf jeden Fall Schritte in die richtige Richtung. Damit kann man der massiven Marktmacht der Amerikaner entgegenwirken. Noch viel besser wäre natürlich, wenn wir mit den Amerikanern kooperieren würden. Was meine Sorge ist: Die Pandemie breitet sich immer stärker in den ärmeren Ländern dieser Welt aus. Man hat dort auch noch sehr hohe Sterblichkeit, obwohl die Menschen dort jünger sind und eigentlich nicht so stark betroffen sein müssten. Das heißt, diese Länder müssen auch Impfstoff bekommen, wenn wir Impfstoff haben, und die wären natürlich niemals in der Lage, die Preise zu zahlen, über die jetzt zum Teil nachgedacht wird.
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"Noch nie auf einen Impfstoff so angwiesen wie jetzt"
Münchenberg: Nun bräuchte man ja, faktisch gerechnet, sechs Milliarden Impfdosen auf mehr oder weniger einen Schlag, wenn man denn tatsächlich ein Medikament gegen Corona hätte. Ist das überhaupt realistisch, technisch auch?
Lauterbach: Technisch ist das nicht möglich, das in sehr kurzer Zeit so zu produzieren. Das wäre noch nie gelungen und daher würde der Impfstoff nur portionsweise zur Verfügung stehen. Da kommt es sehr darauf an, dass diejenigen, die ihn zuerst benötigen, ihn auch zuerst bekommen. Beispielsweise wird es so sein, dass dann einige Länder besonders betroffen sind, und man muss natürlich sehen, dass man dort zuerst dann auch impft, um die Pandemie dort aufhalten zu können. Das hängt nicht mit der Zahlungsbereitschaft und auch nicht der Zahlungsfähigkeit dieser Länder zusammen. Von daher muss man sehr darauf achten – ich glaube, da ist auch die Pharmaindustrie international in der Pflicht -, sich da nicht gierig zu zeigen und den guten Ruf der pharmazeutischen Unternehmen, die bei Impfstoffen bisher immer ganz vernünftige Preise geboten haben, nicht zu ruinieren auf einen Schlag.
Münchenberg: Wobei da gab es durchaus auch Ausreißer. Manche Pharmafirmen haben, was den Preis anbelangt, ordentlich zugegriffen.
Lauterbach: Ja, aber nicht im Vergleich zu anderen Krankheiten oder Medikamenten. Wir haben ganz andere Verhaltensweisen jetzt beispielsweise bei der Krebsbehandlung, da werden zum Teil für die Behandlungskosten eines einzigen Patienten bis zu 150.000 Euro verlangt. Für seltene Erkrankungen werden bis zu einer Million verlangt. Das sind die wirklichen dramatischen Wucherpreise. Bei Impfstoffen ging das bisher, aber noch nie sind wir auf einen Impfstoff, wenn er denn kommen sollte, was wir nicht sicher wissen, so angewiesen gewesen wie jetzt.
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"Wenn Fallzahlen niedrig bleiben, reichen Remdesivir-Vorräte"
Münchenberg: Nun sagt, Herr Lauterbach, die Bundesregierung, es gebe keinen Engpass bei Remdesivir. Ist das glaubhaft? Oder wenn man mal anders fragt: Was kann die Bundesregierung überhaupt machen?
Lauterbach: Das ist dann glaubhaft, wenn wir keine große zweite Welle bekommen. Wenn die Fälle niedrig bleiben, die Fallzahlen niedrig bleiben, dann werden wir so wenige beatmungspflichtige Fälle haben, dass tatsächlich die Remdesivir-Vorräte, die da sind, reichen. Das wird sich natürlich schlagartig ändern, wenn eine starke zweite Welle käme, was niemand ausschließen kann. Das muss nicht kommen, aber da kann man auch nicht spekulieren. Das hängt sehr davon ab, ob das Virus sich zum Beispiel verändert und wie es im Herbst weitergeht. Aber wenn wir eine starke zweite Welle bekämen, oder wir müssten lange beispielsweise darauf warten, dass ein Impfstoff kommt, und hätten immer wieder Wellen, dann könnte auch Remdesivir für uns knapp werden. Von daher muss man diese Aussagen mit einer gewissen Einschränkung betrachten. Aber gut ist zumindest, dass man überhaupt schon Vorräte hat.
Münchenberg: Nun gibt es ein paar Vorräte bei Remdesivir. Gleichzeitig hat die Bundesregierung auch Verträge mit der Firma Astrazeneca für einen anderen Wirkstoff abgeschlossen. Man hat 300 Millionen Euro beim Tübinger Biotech-Unternehmen Curevac, ist da eingestiegen, die ja ebenfalls an einem Wirkstoff gegen Corona forschen. Ist das am Ende die richtige Strategie, überall Geld einzusetzen?
Lauterbach: Ich glaube, dass es besser wäre, wenn man das konzertiert machen würde im Rahmen der EU. Und noch besser wäre es, wenn man zu Abkommen käme mit den Amerikanern zusammen, so dass hier vermieden würde, dass man sich gegeneinander ausspielt und dass es zu einem Egoismus der Preise kommt. Denn der wäre eine unfassbare Blamage für die Staatengemeinschaft, wenn es der Gemeinschaft der Wissenschaftler gelingt, einen Impfstoff zu entwickeln, was uns ja für ein ähnliches Virus bisher noch nie gelungen ist, muss man auch ganz ehrlicherweise sagen. Somit ist das, wenn man so will, sowieso ein Weitschuss. Innerhalb von kurzer Zeit gegen eine solche Form des Virus, einen RNA-Virus, der auch diese besonderen Eigenschaften hat, einen Impfstoff zu entwickeln, ist noch nie gelungen. Aber wenn uns das gelingen sollte, ist das ein Triumph für die Wissenschaft. Der darf nicht zu einer Blamage der Politik werden.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
"Mondlandungsprojekt der Impfstoff-Forschung"
Münchenberg: Da gibt es auch eine niederländische Studie, die will ich nur kurz zitieren: Sechs Prozent aller Projekte für einen Impfstoff haben nur je Marktreife erlangt. Das klingt wenig optimistisch.
Lauterbach: Genau, das stimmt. Auf der anderen Seite haben auch noch nie so viele Menschen mit dieser unfassbaren Fähigkeit, Intelligenz und mit diesen Ressourcen an einem Impfstoff gearbeitet. Das ist das Mondlandungsprojekt der Impfstoff-Forschung. Von daher kann man das nicht vergleichen mit den gescheiterten Versuchen in der Vergangenheit. Da sind viel weniger Leute dran beteiligt gewesen und auch nicht mit dieser enormen Power, die jetzt dahintersteckt. Aber nichtsdestotrotz: Sicher ist es leider nicht. Das sagen auch die Kollegen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.