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Horváth-Inszenierung in Berlin
Linke Luschis gegen rechte Radikale

Neonazis marschieren grölend durch die Straßen, während sich die politische Linke intern selbst zerlegt. Ödön von Horváths 1931 geschriebenes Stück "Italienische Nacht" liest sich wie ein politischer Tageskommentar. Und Schaubühnen-Chef Thomas Ostermeier inszeniert es als brachiale Abrechnung mit der Sozialdemokratie.

Von Barbara Behrendt | 24.11.2018
    Italienische Nacht von Ödön von Horváth Regie: Thomas Ostermeier Premiere am 23. November 2018, Schaubühne Berlin
    Thomas Ostermeiers Inszenierung von Horváths „Italienischer Nacht“ an der Berliner Schaubühne (Schaubühne Berlin / Arno Declair)
    Schon die erste Szene bringt die politische Aussage auf den Punkt: Ein Trupp Rechtsradikaler marschiert in schwarzen Kapuzenpullis, mit dunklen Sonnenbrillen und Fackeln in der Hand ums Haus und ruft faschistische Parolen, während die Sozialdemokraten gemütlich in der Gaststube sitzen, Bier trinken und Karten spielen.
    Faschisten: "Hier marschiert der nationale Widerstand!"
    Stadtrat: "Von einer akuten Bedrohung der Demokratie kann natürlich keineswegs gesprochen werden. Schon weil es den Rechten an einem ideologischen Unterbau mangelt."
    Engelbert: "Bravo!"
    Stadtrat: "Genossen! Solange es eine sozialdemokratische Partei gibt und solange ich hier die Ehre habe, Vorsitzender der hiesigen Ortsgruppe zu sein, solange kann die Republik ruhig schlafen!"
    Martin: "Gute Nacht!"
    Ein SPD-Ortsverein irgendwo in der Provinz will im Gasthaus an diesem Tag eine "italienische Nacht" mit Musik und Tanz feiern – die geschäftstüchtige Wirtin, bei Traute Hoess eine polternde Bayerin in Kittelschürze, hat die Stube am Nachmittag allerdings den Faschisten für ihren "deutschen Tag" vermietet. Die gesetzten Parteimitglieder zucken die Achseln, die jungen Sozis rufen zum radikalen Widerstand auf.
    Ostermeier wütet gegen eine tatenlose Sozialdemokratie
    Das piefige, abgeranzte "Gasthaus Lehninger" auf der Bühne wirkt wie ein Relikt aus den 1970ern. An der grauen Hauswand ein Zigarettenautomat, innen ein Spielautomat, Holzvertäfelung, Bierbrauembleme – die naturalistische Nachbildung einer beinahe zeitlosen Provinz-Tristesse. Die Textfassung allerdings macht schnell deutlich, dass der Schaubühnen-Chef selbstverständlich die gegenwärtige politische Situation anprangert. Dem bei Laurenz Laufenberg so arglos wirkenden Faschisten quillt der Rechtspopulisten-Sprech aus dem Mund:
    Faschist: "Ganze Stadtteile werden nicht mehr von der Polizei, sondern von Clans kontrolliert. Eine Schande ist das. Das sind die Folgen einer hirnlosen Migrationspolitik. Und wenn wir diese Probleme ansprechen und Lösungen präsentieren, wird direkt die Nazikeule geschwungen. Diese Millionen von Flüchtlingen, die in unser Land kommen, sind doch nur billige Arbeiter, die uns unsere Arbeitsplätze wegnehmen. Das sagen ja mittlerweile sogar die Linken."
    Überhaupt hat Ostermeier die politische Lage stark zugespitzt. Beim "deutschen Tag" spielt eine Rechtsrock-Band auf und die Arme der Neo-Nazis recken sich zum Hitlergruß. Die Bühne dreht sich – nun ist die italienische Schunkel-Feier im Gang, bei der die bräsigen Linken im Foxtrott übers Parkett zuckeln. In dieser scharfen Gegenüberstellung zeigt sich Ostermeiers ganze Wut über eine – wie er meint - bis in den Abgrund tatenlose Sozialdemokratie.
    Den Frauenfiguren bekommt die Aktualisierung nicht
    Der feige Stadtrat will nur in Ruhe feiern, findet dafür aber immer eine politische Ausrede. Hans-Jochen Wagner spielt ihn genussvoll als selbstverliebten Phrasendrescher und herrschsüchtigen Macho. Der junge Marxist Martin, hier Sebastian Schwarz, markiert arrogant den großen Anführer – und schickt seine Freundin eiskalt auf den "politischen Strich", wie es heißt, um den Faschisten auszuspionieren, der sie dann vergewaltigt.
    Bei den Frauenfiguren offenbart die Aktualisierung ihre Tücken: Sind sie bei Horváth deutlich mutiger, aufrechter als die Männer, wirken die Frauen hier seltsam rückschrittlich. Martins Freundin Anna überzeugt ihn zwar, die Partei auch im Streit nicht im Stich zu lassen, sobald die Rechten anrücken. Doch wie sie sich von ihm instrumentalisieren lässt, mit dem Faschisten anzubandeln, wirkt nur noch devot. Und warum Adele, die Frau des Stadtrats, sich vor aller Augen von ihm demütigen lässt, ist nicht mehr einzusehen in einer Zeit, in der Neo-Nazis Kapuzenpullis tragen.
    Eindeutige Botschaft
    Ostermeiers politische Aussage ist so eindeutig wie eine Faust im Gesicht: Die Linken sind nichts als ein müder Karnevalsverein. So agitatorisch und laut hat dieser Regisseur selten inszeniert – legitim ist das Polit-Bashing nur, weil er auch uns, die Demokraten im Publikum, adressiert, uns zu gemütlich in der Gesellschaft einzurichten. Mit welch bitterer Ironie Ostermeier den sich zerfleischenden Politbetrieb vorführt, wie er die linken Luschis gegen die rechten Radikalen schneidet – das wirkt bedrohlich, ist pointiert gespielt und soll die real existierende Linke aufrütteln. Doch mit dieser Sandkastentruppe auf der Bühne ist wirklich kein Staat zu machen.