Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Widerstandskämpfer Philipp Freiherr von Boeselager
"Ich sehe Hitler und denke, hättest du ihn doch erschossen"

Als der Wehrmachtsoffizier Philipp Freiherr von Boeselager 1941 erfuhr, dass hinter der Ostfront systematisch Juden ermordet wurden, schloss er sich dem militärischen Widerstand gegen Hitler an und war an zwei Attentaten beteiligt. Vor 100 Jahren, am 6. September 1917, wurde Philipp Freiherr von Boeselager geboren.

Von Otto Langels | 06.09.2017
    Baron Philipp Freiherr von Boeselager.
    Philipp Freiherr von Boeselager konnte nach 1945 als Beteiligter und Zeitzeuge über den militärischen Widerstand gegen Hitler berichten (imago/Eastnews)
    "Ich war gar nicht auf die Idee gekommen, dass Deutschland ein Unrechtsregime sein könnte, das war außerhalb jeder Betrachtung. Und hier habe ich plötzlich gemerkt, dass ich einem Regime diene, das Verbrechen begeht," erklärte Philipp Freiherr von Boeselager Jahrzehnte nach dem Ende des NS-Regimes. Er gehörte zum inneren Kreis der Hitler-Attentäter vom 20. Juli 1944 und war einer der wenigen Verschwörer, die nach dem misslungenen Anschlag unentdeckt blieben.
    Boeselager wurde am 6. September 1917 auf Burg Heimerzheim in der Nähe von Bonn geboren und entstammte dem rheinischen katholischen Adel. Ursprünglich wollte er Jura studieren und in den diplomatischen Dienst eintreten. Da er aber dem Nationalsozialismus kritisch gegenüber stand, schlug er stattdessen die militärische Laufbahn ein, weil er glaubte, in der Wehrmacht mehr Abstand zum NS-Regime wahren zu können. Im Zweiten Weltkrieg diente er an der Ostfront als Ordonnanzoffizier unter Generalfeldmarschall Günther von Kluge. Dort erfuhr er nach dem Überfall auf die Sowjetunion von einem Vorgesetzten, dass hinter der Front systematisch Juden ermordet wurden.
    "Im Juni ‘42 musste ich die Meldung vortragen: ‚Fünf Zigeuner - Sonderbehandlung‘. Und sagte ich: ‚Ich wüsste nicht, was das heißt: Sonderbehandlung?‘ ‚Ja, die bringen wir um. Alle Juden und Zigeuner, die wir kriegen können, bringen wir um!‘ Da habe ich das erste Mal gehört, dass von oben das Morden an Juden und Zigeunern grundsätzlich befohlen wurde. Wenn man das wusste, konnte man nicht mehr ruhig schlafen."
    Acht Schützen sollten gleichzeitig schießen
    In der Heeresgruppe Mitte lernte Philipp Freiherr von Boeselager Oberst Henning von Tresckow kennen, neben Claus Schenk Graf von Stauffenberg einer der entschiedensten Gegner Hitlers im Militär. Boeselager schloss sich der Widerstandsgruppe um Tresckow an.
    "Immer mehr wurden die Verbrechen Hitlers offenkundig, und immer mehr wurde die Entscheidung, Hitler zu töten, getragen von der Idee, man muss die Verbrechen stoppen."
    Anfang 1943 plante Philipp Freiherr von Boeselager ein Attentat auf Adolf Hitler. Als "der Führer" für den 13. März einen Frontbesuch der Heeresgruppe Mitte in Begleitung des Reichsführers SS Heinrich Himmler ankündigte, meldeten er und sein Bruder Georg sich freiwillig, um den Anschlag auszuführen. Mehrere Schützen sollten beim gemeinsamen Mittagessen im Kasino gleichzeitig ihre Pistolen abfeuern, um Hitler sicher tödlich zu treffen. Denn man vermutete, dass dieser unter seiner Uniformjacke eine Panzerweste tragen würde. Generalfeldmarschall von Kluge, der Oberbefehlshaber der Heeresgruppe, war in den Plan eingeweiht.
    "Wir waren acht Leute und es war genau festgelegt, wo man sitzen sollte im Kasino, damit die Schussrichtungen klar waren. Nachdem Hitler im letzten Moment ohne Himmler anreiste, hat Kluge das Attentat verboten, weil er einen Bürgerkrieg zwischen Heer und SS fürchtete."
    Während des Attentats nicht vor Ort
    Hitler kam noch einmal davon. Auch an dem Anschlag vom 20. Juli 1944 war Boeselager beteiligt. Er besorgte den Sprengstoff für das geplante Attentat auf Hitler im Führerhauptquartier.
    "Wir haben dann den Sprengstoff ausprobiert, und ich bekam dann den Befehl von meinem Bruder, zehn Bomben in meinem Koffer zu bringen."
    Boeselager selber sollte mit seiner Einheit von 1200 Mann von der Front Richtung Berlin aufbrechen, um am 20. Juli in der Hauptstadt das Reichssicherheitshauptamt zu besetzen.
    "Da kam der Melder von meinem Bruder mit dem Zettel: ‚Alles in die alten Löcher!‘ Das war das Stichwort, Attentat war nicht ausgeführt."
    Berichte über den militärischen Widerstand
    Zwar hatte Claus von Stauffenberg die Bombe im Führerhauptquartier zünden können, doch Hitler überlebte den Anschlag nur leicht verletzt:
    "Die Bombe, die von dem Obersten Graf von Stauffenberg gelegt wurde, detonierte zwei Meter an meiner rechten Seite. Das ist ein ganz kleiner Klüngel verbrecherischer Elemente, die jetzt unbarmherzig ausgerottet werden."
    Tatsächlich wurden die meisten Verschwörer enttarnt, festgenommen, zum Tode verurteilt und ermordet. Insgesamt rund 150 Menschen. Philipp Freiherr von Boeselager hatte Glück. Er wurde nicht verraten und überlebte den NS-Terror. So konnte er nach 1945 als Beteiligter und Zeitzeuge über den militärischen Widerstand gegen Hitler berichten. Er habe zahllose Vorträge gehalten, danach aber häufig schlecht geschlafen, erzählte er in seinem letzten Zeitungs-Interview kurz vor seinem Tod:
    "Ich sehe immer noch Hitler - von hier bis zum Kamin - vor mir gehen und denke, hättest du ihn doch erschossen, die Pistole war da."
    Philipp Freiherr von Boeselager starb am 1. Mai 2008 im Alter von 90 Jahren.