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USA
Studierende dürfen bewaffnet in die Vorlesung kommen

Streitgespräche in Seminaren an der Uni können schon mal hitzig sein - vor allem wenn es um Reizthemen geht aus Politik, Religion, Evolution. In Texas geht die Angst um, dass solche Dispute am Ende mit der Schusswaffe entschieden werden. Denn ein neues Gesetz in Texas erlaubt es Studierenden und Lehrkräften, Waffen auf dem Campus zu tragen. Kirsten Belgum, Germanistik-Dozentin an der Universität Texas, schildert die Situation im DLF.

Kirsten Belgum im Gespräch mit Michael Böddeker | 07.03.2016
    Ein Verläufer präsentiert eine Sig Sauer 9mm Pistole.
    Studenten und Dozenten haben Angst, dass Hitzköpfe eine strittige Debatte oder eine Meinungsverschiedenheit über die Notenvergabe am Ende mit Waffengewalt entscheiden könnten. (picture alliance / dpa / Erik S. Lesser)
    Michael Böddeker: Aus den USA erreichen uns ja immer wieder Berichte über Schießereien an Schulen und Hochschulen. Pro Jahr sterben dort insgesamt rund 30.000 Menschen durch Schusswaffen. Präsident Barack Obama hat immer versucht, die Waffengesetze zu verschärfen, in Texas passiert aber gerade genau das Gegenteil. Vor einem halben Jahr hatte das Parlament eine Gesetzesänderung beschlossen, dadurch wurde ein Verbot von Waffen auf dem Campus wieder aufgehoben.
    Die Universität von Texas in Austin hat diese Neuregelung jetzt inkraft gesetzt, obwohl zum Beispiel der Präsident der Hochschule dagegen war. Das bedeutet, bald dürfen Studierende auch dort wieder bewaffnet in die Hörsäle kommen.
    Kirsten Belgum lehrt an der Universität von Texas in Austin Germanistik, außerdem engagiert sie sich in einer Bewegung, die sich gegen Waffen an der Hochschule einsetzt. "Gun Free UT" heißt sie, also waffenfreie Universität von Texas. Ich habe mit Kirsten Belgum gesprochen und sie zunächst mal nach dem aktuellen Stand der Dinge auf dem Campus gefragt.
    Kirsten Belgum: Vom Präsidenten ist eine Bestimmung gemacht worden vor einigen Tagen, aber wirklich in Kraft tritt das nächsten August, und zwar ist das Datum gewählt worden vom Senat, also vom Congress vom Parlament unseres Bundesstaates. Und zwar ist das Datum selber ein bisschen zynisch gewählt worden, möchte ich sagen, weil das der Jahrestag ist von einer sehr großen Schießerei im Jahre 1966 von Whitman, einem ehemaligen Soldaten, bei dem ein Dutzend Menschen gestorben sind.
    Insofern ist noch nichts anders auf unserem Campus, es hat sich bis jetzt noch nichts geändert, aber nur die Stimmung, muss ich sagen.
    "Die Hände unseres Präsidenten Greg Fenves waren quasi gebunden"
    Böddeker: Woran machen Sie das fest?
    Belgum: Tja, also in der Studentenzeitung gab es viele Berichte und viele Meinungsartikel dazu, dagegen vor allem. Diese Organisation, die Sie ja anfangs erwähnt haben, "Gun Free UT", das ist eine Versammlung von Professoren, von Studenten, von graduated Studenten und undergraduated Studenten, von anderen Angestellten an der Universität, die sich getroffen hat seit dem Herbst, seit August, eigentlich seit Menschen an der Universität wieder tagtäglich auftreten.
    Der ursprüngliche Versuch war natürlich, die Durchsetzung von diesem Gesetz auf unserem Campus zu verhindern, das Gesetz ist aber so verfasst worden, dass man das eben nicht verhindern darf – die Hände unseres Präsidenten Greg Fenves waren quasi gebunden.
    Böddeker: Sie selbst und auch andere Angehörige der Universität von Texas versuchen, sich gegen Waffen auf dem Campus einzusetzen – welche Möglichkeiten haben Sie da, Einfluss zu nehmen auf diese Entscheidung?
    Belgum: Ja, gar keine. Also in der Gesetzgebung stand drin, es gibt keine Möglichkeit, ein allgemeines Verbot durchzusetzen auf Unigeländen. Es gibt auch – das ist vielleicht weniger bekannt – ein anderes Gesetz, das fast zur gleichen Zeit verabschiedet worden war, das durchsetzt, dass das Verhindern der Durchführung dieses Gesetzes mit einer Strafe von bis zu 10.000 Dollar belegt werden kann, das heißt, es gibt viel Gesetzeskraft, die einen möglichen Widerstand verleidet.
    Böddeker: Das heißt, wenn jetzt auch Mitglieder der Universität, Professoren zum Beispiel, ankündigen, sie würden die Universität verlassen, wenn es erlaubt wird, Waffen zu tragen, dann bringt das letzten Endes gar nichts?
    Belgum: Das ist schon passiert. Der Dekan von Architektur – und das ist ein ziemlich bekannter Fachbereich hier an der Universität Texas und ziemlich renommiert – ist zurückgetreten. Er hat sich für eine andere Anstellung an der Universität Pennsylvania entschlossen, und das ist das Resultat – er hat das auch gesagt in seinem Verabschiedungsstatement –, das ist ziemlich direkt ein Resultat von diesem neuen Gesetz und von der Durchführung an der Uni.
    "Der Spielraum der Universität ist sehr gering"
    Böddeker: Aber an der Entscheidung selbst wird das wohl nichts mehr ändern, wenn ich Sie richtig verstanden habe?
    Belgum: Genau. Genau. Also bis das Gesetz auf Landesebene verändert wird, ist der Spielraum der Universität sehr gering.
    Böddeker: Was können Sie denn dann eigentlich noch bewegen, auch mit Ihrer Bewegung "Gun Free University of Texas"?
    Belgum: Ja, wir versuchen, die öffentliche Aufmerksamkeit zu gewinnen und auch den Willen der Wähler umzustimmen. Das wird eine Weile dauern.
    Man sagt, es ist nicht die Mehrheit der Bevölkerung für das öffentliche Tragen von Waffen an Schulen und Universitäten, dennoch hat das Parlament so entschieden, wie es letzten Mai entschieden hat. Man muss mit der Zeit diese bestimmten Repräsentanten abwählen. Das wäre natürlich ein sehr langwieriger Prozess, aber das wäre vielleicht der Einzige, der im Moment uns offensteht.
    Widerstand auf dem Campus, man kann das natürlich sichtbar machen, man kann weiterhin Gespräche organisieren, weiterhin Proteste organisieren, aber rechtlich hat man leider sehr wenig Spielraum.
    "ES geht um Redefreiheit"
    Böddeker: Die Studierenden könnten natürlich auch von sich aus darauf verzichten, Waffen bei sich zu tragen. Glauben Sie, dass viele Waffen mit sich führen werden, wenn es dann bald erlaubt sein wird?
    Belgum: Ja, viele werden es sowieso nicht dürfen – das ist auch ein Argument der Befürworter des Gesetzes. Man darf einen Waffenschein erlangen in Texas nur mit 21 Jahren.
    Nur ein Viertel von den Undergraduates sind in dem Alter, wo sie überhaupt einen Waffenschein erlangen können, die meisten haben auch keinen Waffenschein. Man rechnet von vielleicht einer Zahl von 500, die einen Waffenschein erwerben werden in den nächsten Jahren und dann tatsächlich legal eine Waffe bei sich tragen können.
    Dennoch geht es immer noch darum, dass man sich beeinträchtigt fühlt – als Lehrender, als Mitstudierender. Die Diskussionsthemen in den Seminaren sind manchmal kontrovers – das können Sie sich vorstellen in verschiedenen Bereichen, nicht nur in der politischen Wissenschaft oder in der Geschichtswissenschaft, in vielen Bereichen, in Psychologie, in der Biologie, wenn es um Evolution geht. Und die Mehrheit ist bestimmt nicht dadurch so aufgeregt, dass sie unbedingt zur Gewalt greifen würden bei einer solchen Diskussion, aber die Möglichkeit, dass irgendjemand im Raum geheim, also bei sich eine Waffe trägt, könnte überhaupt die Diskussionsbereitschaft von vielen dämpfen. Also darum geht es. Es geht eigentlich um Redefreiheit und das offene Reden über bestimmte Themen.
    Es gibt auch viele Studenten, graduate Studenten, die hier an der Uni unterrichten, und bei denen darf man eben auch im Büro keine Waffe verbieten, und manchmal geht es also ein bisschen heiß zu, wie Sie sich vorstellen können, wenn es um Noten geht, um die Bewertung von studentischer Arbeit, und das ist auch ein Problem, das ist auch eine Sorge von vielen.
    Böddeker: Sagt Kirsten Belgum. Sie lehrt an der Universität von Texas in Austin Germanistik und sie setzt sich außerdem gegen Waffen an der Hochschule ein. Das Tragen von Waffen ist an texanischen Hochschulen bald wieder erlaubt.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.