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USA und Kanada
Der Druck zur Aufnahme syrischer Flüchtlinge wächst

Die USA und auch Kanada haben bislang vergleichsweise wenige Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen. Aber der Druck der Öffentlichkeit auf die Regierungen, dies zu ändern, wächst in beiden Ländern. Besonders viel Anteilnahme kommt von den sogenannten "Boat People", Vietnamesen, die in den 80er-Jahren in die USA kamen.

Von Marcus Pindur | 12.09.2015
    Carly Fiorina will Präsidenschaftskandidatin der US-Republikaner werden. Hier im August 2015 bei einem Auftritt im St. Anselm College in Manchester, New Hampshire,
    Carly Fiorina will Präsidenschaftskandidatin der US-Republikaner werden. Sie warnt vor der Aufnahme von mehr Flüchtlingen aus Syrien. (picture alliance / dpa / Cj Gunther)
    Die Aufnahme von Flüchtlingen, von Auswanderern, von Menschen, die ganz von vorne anfangen müssen und wollen ist Teil der historischen DNA der Vereinigten Staaten von Amerika. Das Land hat, wie kaum ein anderes, immer darauf bestanden, ein Zufluchtsort für diejenigen zu sein, die in anderen Teile der Welt bedrängt und verfolgt werden.

    Gemessen an diesem Anspruch sind 1.500 syrische Flüchtlinge, die bis Ende Oktober in die USA kommen sollen, viel zu wenig, findet David Milliband, ehemaliger britischer Außenminister und Vorsitzender des International Rescue Committees, einer humanitären Organisation, die Flüchtlinge unterstützt, die in die USA kommen wollen. "Die Vereinigten Staaten waren immer führend in der Aufnahme von Flüchtlingen. Aber die Aufnahme von 1.500 syrischen Flüchtlingen ist angesichts des Problems ein verschwindend kleiner Beitrag. Wir unterstützen deshalb eine Gesetzesinitiative im Senat, die die Aufnahme von 65.000 syrischen Flüchtlingen erreichen will. Das würde der traditionell führenden Rolle der USA gerecht werden."
    US-Republikaner gegen Aufnahme von mehr Flüchtlingen
    Die Obama-Regierung kam sehr schnell unter Druck. In den Leserbriefspalten der amerikanischen Zeitungen mehrten sich die Stimmen, die die Aufnahme einer größeren Zahl syrischer Flüchtlinge forderten. Die USA, so ein Leser der "Washington Post", könnten nicht alle Probleme dieser Welt lösen, aber das Land habe eine moralische Verpflichtung, in dieser Frage ein Vorbild für den Rest der Welt zu sein.
    Das Bild des ertrunkenen syrischen Jungen an der türkischen Küste hat auch in den USA Betroffenheit und Entrüstung ausgelöst. Innerhalb weniger Tage erklärte die Obama-Administration, sie strebe an, im kommenden Haushaltsjahr 10.000 Flüchtlinge aus Syrien aufzunehmen.

    Die Umsiedlung von Flüchtlingen aus den Lagern in Jordanien und dem Libanon in die USA ist ein komplizierter Prozess und wird durch Sicherheitsüberprüfungen in die Länge gezogen. Mitarbeiter des Heimatschutzministeriums fliegen in die Lager und führen Gespräche mit in Frage kommenden Familien. Damit will man verhindern, dass sich Extremisten unter die Flüchtlinge mischen. Carly Fiorina, eine der republikanischen Präsidentschaftsaspiranten, wandte sich gegen ein erhöhtes Kontingent für Flüchtlinge aus dem Nahen Osten. "Ich denke, wir können unsere Aufnahmekriterien nicht herunterschrauben. Wir müssen sehr vorsichtig sein damit, Menschen aus dieser kriegszerrissenen Gegend aufzunehmen, um sicher zu gehen, dass keine Terroristen ins Land kommen."
    Ehemalige "Boat People" leiden mit den Syrern
    Bei der derzeitigen nativistischen und teils fremdenfeindlichen Stimmung bei Teilen der republikanischen Basis, ist nicht damit zu rechnen, dass andere Republikaner sich für die Aufnahme von syrischen Flüchtlingen stark machen.

    Doch die USA haben immer wieder Verfolgten aus aller Welt und aus Kriegsgebieten Zuflucht geboten. Eine dieser Aufnahmewellen waren die sogenannten "Boat People". 200.000 Vietnamesen, die vor dem kommunistischen Regime flohen, kamen in den 80er-Jahren in die USA. Einer von ihnen ist Sonny Le. Er flüchtete 1980 als 15jähriger und lebt heute in Berkeley, Kalifornien. Auch ihn hat das Foto des dreijährigen ertrunkenen Kindes, das um die Welt ging, aufgewühlt. "Ich musste all meinen Mut zusammen nehmen, bevor ich mir das Bild angeschaut habe. Und ich glaube, es liegt in unserer Verantwortung, diesen Menschen die Tür zu öffnen. Wenn ich diese Bilder sehe, dann sehe ich mich selbst. Und ich glaube, vielen Laoten, Kambodschanern und Vietnamesen in den USA geht es genauso."
    Auch das nördliche Nachbarland der USA, Kanada ist eine Nation von Einwanderern. Auch Kanada hat immer wieder Flüchtlingen Zuflucht geboten. 50.000 Vietnamesen kamen in den 80er-Jahren ins Land.
    Initiative in der vietnamesischstämmigen Gemeinde
    Der konservative Ministerpräsident Harper kam in die Kritik, als bekannt wurde, dass die Eltern des dreijährigen syrischen Jungen sich ohne Erfolg um eine Aufnahme in Kanada bemüht hatten. Die Regierung Harper, die gerade in einem schwierigen Wahlkampf steckt, hatte die emotionale Durchschlagskraft des Themas unterschätzt. In Kanada kann jeder Bürger einen Flüchtling sponsern. Das heißt, dass man für eine vierköpfige Familie umgerechnet etwa 20.000 Euro bereitstellen muss, um den Lebensunterhalt für ein Jahr zu gewährleisten.

    Tom Tang ist ein vietnamesischer Flüchtling, der in Kanada Aufnahme gefunden hatte, weil ein kanadisches Ehepaar ihn und seine Familie gesponsort hatte. Jetzt wirbt er in der vietnamesischstämmigen Gemeinde in Kanada dafür, syrische Flüchtlinge zu sponsern. Im Moment tue man zu wenig, um den Flüchtlingen zu helfen. "Wenn man das vergleicht mit der Situation vor 30 Jahren, als 50.000 Vietnamesen in Kanada aufgenommen wurden, dann ist das, was wir heute tun, nicht genug. Millionen Syrer sind auf der Flucht, die Krise ist noch weitaus größer als damals die der vietnamesischen Boat People."