Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


USA wollen von Deutschland "eigene Initiativen"

Rolf Mützenich sieht den Kern der deutsch-amerikanischen Beziehungsfrage in der weltpolitischen Eigeninitiative Deutschlands. Die USA wünschten sich Hilfe bei der Entschärfung von politischen Problemfeldern wie der EU-Haltung beim Nahost-Konflikt.

Rolf Mützenich im Gespräch mit Dirk Müller | 07.06.2011
    Dirk Müller: Mit George Bush im Weißen Haus lief das aus Berliner Sicht alles andere als gut. Nicht nur aus dem Blickwinkel von Gerhard Schröder, auch für Angela Merkel war der Texaner nicht einfach zu händeln, trotz diverser Begegnungen beim abendlichen Barbecue. Dann kam Barack Obama und es wurde wieder nicht viel einfacher, weil die Kanzlerin angeblich kein allzu persönliches Verhältnis zum neuen Präsidenten aufbauen konnte. Das deutsch-amerikanische Verhältnis, bis zur Wiedervereinigung ein stabiler Garant schlechthin, ist deutlich abgekühlt seit dem deutschen Nein zum Irak-Krieg. Jetzt kommt auch noch das deutsche Nein zum Libyen-Einsatz hinzu. Viele in Washington wundern sich über den einstigen Paradepartner. Jetzt soll das alles wieder ins Lot kommen, ausgerechnet Angela Merkel erhält in Washington aus den Händen des Präsidenten die Freiheitsmedaille. Das ist die höchste zivile Auszeichnung, die die Amerikaner zu bieten haben.
    Gerade von politischen Gesprächen in den USA zurückgekehrt ist der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, und jetzt bei uns am Telefon. Guten Morgen!

    Rolf Mützenich: Guten Morgen, Herr Müller.

    Müller: Herr Mützenich, sind viele in Washington wirklich sauer auf die Deutschen?

    Mützenich: Nein, man kann das jetzt nicht als sauer beschreiben, aber es gibt schon eine Menge Fragezeichen und das ist ja in Ihrem Beitrag auch angeklungen. Es gibt Fragen insbesondere, ob Deutschland bereit ist, das Angebot, was Obama offeriert hat in Richtung Europa, aber auch in Richtung Deutschland, Partnerschaft wieder zu leben im transatlantischen Dialog, ob man das auch aufgreift, und das sind, glaube ich, genau die Themen, die an Deutschland gestellt werden, und offensichtlich ist diese Auszeichnung an Angela Merkel eine Auszeichnung an einen Partner, den man sich wünscht, aber den man wohl zurzeit noch nicht hat.

    Müller: Dann kommt alles wieder ins Lot, wenn Angela Merkel die Medaille umhängt?

    Mützenich: Nein, das glaube ich nicht. Ich gönne Frau Merkel natürlich diese Medaille, aber das ist sozusagen auch ein Symbol für etwas, was man braucht auch in den nächsten Jahren, weil ich glaube, die transatlantische Partnerschaft ist nicht eine Partnerschaft der Vergangenheit, sondern insbesondere eine Partnerschaft, wo beide versuchen sollten, eben eine gemeinsame Problemsituation nicht nur zu beschreiben, sondern auch zu lösen, und wo man insbesondere erwartet – und das ist die große Chance von Präsident Obama -, dass auch andere Länder vorangehen können, eben auch zusammen mit den USA, aber nicht auf die Führung der USA warten, sondern eben auch eigene Initiativen zu ergreifen, und ich glaube, genau das ist der Kern des Problems.

    Müller: Warum gibt es denn die Zweifel, die Sie gerade beschrieben haben, an einer möglichen Partnerschaft beziehungsweise am ständigen Bekenntnis zu dieser Partnerschaft aus deutscher Sicht?

    Mützenich: Also Bekenntnisse helfen da nicht weiter, sondern es geht letztlich eben darum, diese Initiativen zu unternehmen, und ich erinnere vielleicht an zwei Dinge. In den USA ist es begrüßt worden, dass während der Großen Koalition auch von Frank-Walter Steinmeier, aber dann auch von Frau Merkel zum Beispiel eine Zentralasien-Strategie entwickelt worden ist innerhalb der Europäischen Union, um insbesondere einer Region – Sie haben eben Afghanistan benannt – eine Situation zu verschaffen, wo wir mehr Stabilität haben. Das sollte insbesondere eine Initiative vonseiten der Europäischen Union sein. Dann blickt man in den nächsten Wochen mit großer Spannung auf eine Frage, die uns wahrscheinlich im Sicherheitsrat, aber auch in der Vollversammlung der Vereinten Nationen treffen wird, eine möglicherweise Anerkennung eines palästinensischen Staates, und da wünscht man sich schon, dass die Europäische Union, alle 27 Staaten versuchen, eine gemeinsame Haltung zu entwickeln, und dafür braucht man eben auch den Partner Deutschland, der diese Situation versucht, im Vorhinein zu entschärfen.

    Müller: Will, Herr Mützenich, Deutschland eine Großmacht sein, tut dafür aber zu wenig?

    Mützenich: Ich glaube, es geht nicht darum Großmacht zu sein, sondern insbesondere die Hand zur Partnerschaft auch letztlich anzunehmen und das, was nach dem Zweiten Weltkrieg innerhalb Europas entwickelt worden ist, dass bei gemeinsamen Problemlagen sich Länder zusammentun können und insbesondere nach gemeinsamen Regeln und Normen auch Politik zu betreiben, dass das ausgefüllt wird, und hier ist eben das Fragezeichen an die jetzige Bundesregierung, aber insbesondere auch an die Bundeskanzlerin, glaube ich, schon zurechtgemacht. Man sieht eher eine gewisse Beliebigkeit, zumindest eine Nichtberechenbarkeit, also das, was wir in der Innenpolitik erleben, befürchtet man und sieht man teilweise eben auch in der Außenpolitik.

    Müller: Viele Beobachter, Herr Mützenich, gehen aber davon aus, dass diese Partnerschaftsmisere unter Gerhard Schröder begann.

    Mützenich: Das ist richtig. Wir haben durchaus nach dem Ende des Ost-West-Konflikts natürlich auch mit anderen Strukturen zu tun und natürlich hat die Entscheidung von Gerhard Schröder, der gesamten Bundesregierung, aber insbesondere auch einer Kenntnis in der deutschen Gesellschaft, an der Irak-Intervention nicht teilzunehmen, durchaus zu Schwierigkeiten geführt, aber ich glaube, man kann das eine mit dem anderen nicht vergleichen. Wir hatten es damals ja durchaus mit einer ideologischen Intervention zu tun und ich glaube, wir haben durchaus zurecht damals Nein gesagt. Wir hatten auch keine Entscheidung innerhalb des Sicherheitsrates darüber letztlich gesehen und deswegen, glaube ich, kann man nicht einfache Vergleiche ziehen. Wir haben Strukturprobleme, aber aus diesen Strukturproblemen muss man etwas machen, und da gibt es offensichtlich nicht genügend Initiative.

    Müller: Vergleichen wir diese Partnerschaftsinitiativen beziehungsweise diese missratene Politik – in Teilen wird das ja jedenfalls so interpretiert, Herr Mützenich – mit der aktuellen Situation, mit dem Libyen-Konflikt, der deutschen Enthaltung. Da wusste auch die SPD nicht so recht, was sie machen sollte.

    Mützenich: Nein! Ich meine, es ist ja insbesondere auch eine Situation gewesen, wo innerhalb von Tagen entschieden werden musste, und natürlich gab es in der amerikanischen Administration genauso eine Diskussion. Aber zum Schluss wollte Präsident Obama insbesondere im Angesicht einer Situation, wo Gaddafi offensichtlich bereit gewesen ist, gegen sein Volk vorzugehen, wo jetzt auch der Staatsanwalt beim Internationalen Gerichtshof Anklage erhoben hat gegen jemand, der massiv gegen Menschenrechte verstößt, dagegen vorgehen, und da hatte man sich schon gewundert, dass Deutschland nicht nur sich nicht militärisch beteiligen wollte, sondern insbesondere im Sicherheitsrat nicht mit seinen Partnern gemeinsam abgestimmt hat, eben im Gegensatz zu anderen Ländern, zum Beispiel drei afrikanischen Staaten, oder damals auch dem Libanon, der im Sicherheitsrat zugestimmt hat. Das hat eine Menge Fragezeichen natürlich aufgebracht.

    Müller: Sie kritisieren jetzt Guido Westerwelle. Frank-Walter Steinmeier hatte auch zugestimmt.

    Mützenich: Frank-Walter Steinmeier hat eine Meinung innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion geäußert. Wir sind nicht zurzeit in einer Situation, wo wir zustimmen, oder wo wir ablehnen, aber wo man die Risiken und Chancen beschreibt, und es gibt auch viele innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion, die insbesondere den Kopf darüber geschüttelt haben, wie sich die Bundesregierung verhalten hat, und insbesondere, wie sie danach diese Scherben versucht hat, eben nicht wieder aufzusammeln.

    Müller: Haben auch viele in der SPD über den Fraktionschef den Kopf geschüttelt?

    Mützenich: Es geht nicht darum, alleine den Kopf zu schütteln, sondern es geht darum, Argumente auszutauschen. Das haben wir in der Bundestagsfraktion getan. Und ich glaube, das ist eine notwendige Diskussion, insbesondere weil ich glaube, dass die Umbrüche in der arabischen Welt sowohl Chancen, als auch Risiken beinhalten und dass wir insbesondere darauf achten müssen, die Reformstaaten zu unterstützen, und da gibt es überhaupt gar keine Meinungsverschiedenheit zumindest in unserer Fraktion.

    Müller: Also die Sozialdemokraten, wenn ich Sie richtig verstanden habe, Herr Mützenich, sind jetzt für den Militäreinsatz?

    Mützenich: Es geht nicht darum, insbesondere nur für einen Militäreinsatz zu sein, sondern ich glaube, die entscheidende Diskussion, die auch wir gehabt haben, war das Abstimmungsverhalten im Sicherheitsrat gewesen, und da habe ich meine Meinung dazu gesagt, dass ich es nicht verstanden habe, dass Deutschland sich dort der Stimme enthalten hat, weil ich glaube, dass es richtig gewesen wäre, hier zuzustimmen, um insbesondere einer Sicherheitsratsresolution zum Durchbruch zu verhelfen, die insbesondere die Schutzverantwortung für die Menschen in Libyen in den Vordergrund gestellt hat. Das war eine große Chance und dass Deutschland sich hier der Stimme enthalten hat, war kein gutes Signal, auch kein gutes Signal in Richtung USA.

    Müller: Blicken wir noch mal auf Afghanistan. Da haben amerikanische Militärs jetzt auch wiederum kritisiert, dass die Deutschen sich dort zunehmend zurückhalten, zum Beispiel viel weniger Überwachungsflüge, Hubschraubereinsätze auch fliegen. Ist das richtig?

    Mützenich: Das hat ja jetzt auch insbesondere noch mal der Wehrbeauftragte kritisiert. Aber ich glaube, wir müssen aufpassen: es geht ja nicht insbesondere um ein militärisches Engagement, sondern insbesondere politische Initiativen zu ergreifen, die man eben auch ohne die USA unternehmen kann - ich habe eben auf die Zentralasien-Strategie hingewiesen -, dass es insbesondere darum geht, diplomatisch kluge Initiativen zu ergreifen, dass man insbesondere darauf achtet, in diesen Ländern tragfähige Strukturen zu entwickeln, Probleme wie zum Beispiel das Wassermanagement in Zentralasien eben auch mit Hilfe Europas zu gestalten, und das sind genau die Dinge, glaube ich, die in Washington erwartet werden und wo zurzeit die Bundesregierung, aber insbesondere auch die Bundeskanzlerin zu wenig Initiative zeigt.

    Müller: Sie sagen, es geht nicht nur um das Militär. Aber der Kampf, der militärische Kampf gegen die Taliban muss auch aus Ihrer Sicht weitergehen?

    Mützenich: Auf jeden Fall haben wir eine Afghanistan-Strategie verantwortet, die auf der einen Seite ein militärisches Engagement mit Zustimmung des Sicherheitsrates in den Vereinten Nationen eben erfolgt, auf der anderen Seite insbesondere aber den politischen Prozess in die Hand zu nehmen, und gerade mit einer Präsidentschaft Obamas war es ja möglich gewesen, auf der Londoner Konferenz zu sagen, wir wollen eine Abzugsstrategie einbetten in einen politischen Prozess, und das ist die große Chance, die wir auch mit der neuen Administration in Washington haben. Aber da werden eben auch Initiativen vonseiten Europas, oder auch vonseiten eben der deutschen Bundesregierung erwartet, ein stärkeres Engagement gerade in diesen politischen Aktivitäten.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören nach Berlin.

    Mützenich: Danke schön! Vielen Dank für die Einladung.

    Deutschlandradio aktuell: Merkel und Obama sprechen sich aus - Bundeskanzlerin Merkel auf Staatsbesuch in den USA