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V-Leute "schaden und heilen"

Die Berichte über Pannen bei den Ermittlungen im Fall der Zwickauer-Terrorzellen häufen sich. Die Vorstellung, ohne V-Leute in diesem Milieu zu operieren, hält Hans Leyendecker aber für abwegig. Die schlimmsten Ermittlungspannen hätten eigentlich bei der Polizei gelegen, sagt der SZ-Journalist.

Hans Leyendecker im Gespräch mit Christoph Heinemann | 18.11.2011
    Christoph Heinemann: Seit dem vergangenen Wochenende setzt sich langsam die Erkenntnis durch, dass in Deutschland ein Sicherheitsproblem besteht, mit dem die meisten nicht gerechnet haben. Dem Neonazi-Trio Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe wird die Ermordung von neun türkisch- oder griechischstämmigen Bürgern sowie einer Polizistin vorgeworfen. "Die Braune Armee-Fraktion" titelte der Spiegel am Montag, "Die braune Staatsaffäre" überschrieb die Zeit gestern die erste Seite, und die FAZ schreibt heute:

    "Wenn es das Ziel rechtsextremistischen Terrors sein sollte, die Blindheit der deutschen Gesellschaft und Politik zu entlarven, dann hat er sein Ziel fast schon erreicht, und das nur nach den wenigen Tagen, in denen erst klar wurde, dass es einen solchen Terrorismus in organisierter Form überhaupt gibt. Viele von denen, die sich jetzt so schlau zu Wort melden, hatten das schon immer gewusst: Unterm Pflaster liegt der braune Strand."

    Heinemann: Ein Auszug aus unserer Presseschau. – Gestern eine Wortmeldung in Karlsruhe. Der Verfassungsschutz hat nach Erkenntnissen des neuen Generalbundesanwalts Harald Range nicht mit der rechtsextremen Neonazi-Zelle aus Zwickau zusammengearbeitet. Das Bundesamt für Verfassungsschutz räumte unterdessen ein, dass Informationswege und Arbeitsweisen verbessert werden müssten. Darüber wird dann heute in Berlin gesprochen werden, dort kommen die Innen- und Justizminister von Bund und Ländern mit Spitzen der Sicherheitsbehörden zusammen. - Für die Süddeutsche Zeitung berichtet unter anderem der Kollege und Journalist Hans Leyendecker über den Fall. Guten Morgen.

    Hans Leyendecker: Guten Morgen.

    Heinemann: Herr Leyendecker, welche waren, wenn wir jetzt mal zusammenfassen, die schlimmsten Ermittlungspannen bisher?

    Leyendecker: Die schlimmsten lagen eigentlich bei der Polizei. Die Polizei in Erfurt wusste, dass da Bombenbauer waren. Das war 1998. Ausgerechnet das Landesamt für Verfassungsschutz hatte den Tipp gegeben und man hat die damals entkommen lassen. Das war eigentlich ein verheerender Fehler, wenn man die Vorgeschichte kennt. Die hatten mit Bombenatrappen erst mal Jena unruhig gemacht. Und dann gibt es weitere Pannen, unter anderem auch beim niedersächsischen Verfassungsschutz, der wichtige Spuren nicht verfolgt hat. Manches ist auch schwer erklärbar bei der sogenannten Döner-Kommission, die dann die Morde hatte. Es gab doch Übereinstimmung beispielsweise zwischen dem Anschlag in Köln und dem, was bei einem Nürnberger Mord aufgefallen war. Also die Täter hatten unter anderem die Angewohnheit, dass sie mit einem Wohnwagen irgendwo hinfuhren, dann mit dem Fahrrad zum Tatort radelten, dann zurück, und das war schon in einigen Fällen erkennbar und das hätte man möglicherweise dann auch viel stärker untersuchen müssen. Es gibt also ganz normale Pannen bei der Aufarbeitung der Geschichte.

    Heinemann: Zu welchem Zeitpunkt spätestens hätten die Ermittler hellhörig werden müssen und eine Struktur vermuten müssen?

    Leyendecker: Eine Struktur, dass es eine Terrorbande ist? – Das ist schwierig zu sagen. Die Tatsache, dass die immer eine Waffe benutzten, konnte auch ein ganz normaler krimineller Vorgang sein. Ich glaube, das war schwierig zu sortieren, dass es sich um eine Terrorbande handelt. Es gibt in einem Fall – das ist wirklich der Kölner Anschlag und der Nürnberger Anschlag – die Frage, ob Fremdenhass, ob Rassismus einfach dahinter stehen kann. Man hat die Überlegung nicht gehabt, dass Menschen durch diese Welt ziehen, kleine Geschäftsleute ermorden, nur weil sie Ausländer sind. Dieser Gedanke hat zwar, wenn man jetzt mit den Profilern, mit den Ermittlern redet, am Rande eine Rolle gespielt. Nur man hat am Ende gesagt, das kann nicht sein.

    Heinemann: Herr Leyendecker, die Zwickauer Gruppe hat sich zu ihren Morden nicht bekannt. Kann man damit erklären, dass die Berufsfahnder nicht auf sie aufmerksam geworden sind und eine Struktur nicht erkannt haben?

    Leyendecker: Das ist zumindest völlig untypisch für Terroristen. Terroristen leben davon, dass sie Propaganda machen, dass sie sich zur Tat bekennen – denken wir an die RAF. Andererseits, wenn man diesen Fall durchdenkt, was hätte man groß erklären können? Hätte man sagen können, die Bewegung hat im Kampf gegen die Überfremdung den türkischen Gemüsehändler Ali S. hingerichtet? – Ich meine, es ist so irrsinnig, was die gemacht haben, dass es eigentlich auch für eine Bekenntnisstruktur ausfällt. Wenn man die Geschichte des Terrorismus beobachtet, kann man sagen, es richtet sich gegen Mächtige, gegen Reiche, gegen Leute, die in der Regierung sind, oder, wenn wir jetzt Al-Kaida-Terrorismus sehen, eher zufällig gegen Gruppen. Aber dass jemand gezielt kleine Geschäftsleute, ausländische Geschäftsleute aussucht, um sie zu ermorden, das ist schwer nachvollziehbar und es war, glaube ich, noch viel schwieriger vorstellbar. Und sich dazu zu bekennen, wie hätte man das machen sollen?

    Heinemann: Gleich um 7:15 Uhr senden wir ein Interview mit dem Bundesinnenminister, den ich gefragt habe, ob es Kumpanei oder gar Komplizenschaft zwischen Mitarbeitern von Verfassungsschutzbehörden und dem Rechtsextremismus in Deutschland gab. Wir hören kurz Hans-Peter Friedrich (CSU).

    Hans-Peter Friedrich: "Das ist ein fürchterlicher Verdacht, der da einfach geäußert wird und gestreut wird. Der Generalbundesanwalt hat gestern noch mal klipp und klar gesagt, dass es dafür überhaupt keine Anhaltspunkte gibt, und ich muss wirklich sagen, es ist auch nicht angemessen."

    Heinemann: Das volle Interview also gleich gegen 7:15 Uhr. – Herr Leyendecker, stimmen Sie Herrn Friedrich zu?

    Leyendecker: Also wenn jemand sagt, Verfassungsschutzbehörden haben Komplizenschaft geübt oder schützende Hand, dann ist das falsch - nach allem, was bisher ermittelt ist. Man wird nicht ausschließen können im Moment, ob es irgendwo einen verrückten Beamten gab, der meinte, helfen zu können, aber dafür gibt es auch jetzt kein Indiz. Ich finde, das wird man nicht ausschließen können bei dieser Geschichte ganz am Anfang. Nur am Ende wird es vermutlich nicht so sein, dass es irgendeinen Einzeltäter bei den Beamten noch gab.

    Heinemann: In der Kritik stehen die V-Leute des Verfassungsschutzes. Können Sie aus Ihrer Erfahrung – Sie haben in vielen Fällen recherchiert – Beispiele anführen für gelungene Einsätze von V-Leuten?

    Leyendecker: Wenn wir jetzt bösartig sind, muss man sagen, selbst in Thüringen war es eigentlich ein gelungener Einsatz, denn die V-Leute in Thüringen haben den Verfassungsschutz darauf aufmerksam gemacht, dass da Bombenbauer am Werk waren. Es ist halt dann schiefgegangen, weil der Zugriff der Polizei nicht erfolgt ist. V-Leute sind eigentlich Doppelwesen. Sie schaden und sie heilen, sie machen auf Dinge aufmerksam und gleichzeitig begehen sie Straftaten. Das ist ganz schwierig. Nur sozusagen die Vorstellung, ohne V-Leute in diesem Milieu zu operieren, halte ich für abwegig.

    Heinemann: Damit wäre auch ein NPD-Verbot ausgesprochen schwierig?

    Leyendecker: Ja.

    Heinemann: Herr Leyendecker, besteht für Sie Zweifel daran, dass sich die beiden männlichen Mitglieder der Zwickauer Gruppe selbst getötet haben?

    Leyendecker: Nein.

    Heinemann: Da sehen Sie überhaupt gar kein Problem?

    Leyendecker: Nein.

    Heinemann: Wir haben über die Braune Armee-Fraktion gesprochen, die Wortmeldungen, die Presseüberschriften. Sehen Sie Übereinstimmung zwischen den Rechtsterroristen und der RAF?

    Leyendecker: Nein. Also es gibt Riesenunterschiede eigentlich, die nicht nur in der Ideologie liegen, sondern in der Vorgehensweise liegen. Da spielt das, was Sie eben angesprochen haben, auch die Frage der Propaganda, ja eine ganz große Rolle. Die RAF hat etwa 30 Erklärungen abgegeben, sie hat das alles in Kleinschreibung gemacht, sie hat große Anlehnungen gemacht an Befreiungsbewegungen, sie hat in einem historischen Diskurs gestanden, sie hat versucht, auch das Volk zu erreichen, jedenfalls die erste und zweite Generation der RAF hat das sehr stark gemacht, dass man versuchte zu mobilisieren. Hier hat man gar nichts! Hier hat man eine tumbe schreckliche Truppe, die irgendwo im Untergrund haust und sich entschlossen hat, Leute umzubringen. Da ist schon ein gewaltiger Unterschied. Und man muss auch sehen: bei allem Schrecklichen, was die RAF gemacht hat, die RAF hat sich auch über die Frage fast zerlegt, ob man jemanden töten durfte. Es gab beispielsweise den Fall des amerikanischen Soldaten, den man getötet hat, um an seinen Ausweis zu kommen, ein ganz schrecklicher Fall. Aber darüber ist die RAF fast kaputt gegangen, weil so ein Rest war noch da bei einigen, dass man sagte, das geht doch nicht, das ist doch nicht der Repräsentant für irgendwas. Und das ist hier bei diesen Leuten doch überhaupt nicht zu erkennen.

    Heinemann: Hans Leyendecker von der Süddeutschen Zeitung. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Leyendecker: Auf Wiederhören.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.