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Väter und Führer

Salzburg beschäftigt sich mit der Beziehung zwischen Vätern und Söhnen. Souveräne Sänger zeichnen beide Inszenierungen aus. Überragende Wiener Philharmoniker kaschieren die hilflos bis klägliche szenische Dimension bei "Don Carlo". Das Orchester bei Wagners "Rienzi" wirkt dagegen schwächer.

Von Frieder Reininghaus | 14.08.2013
    Das dramatische Gedicht "Don Karlos" von Friedrich Schiller kolportiert den schauderhaften Sieg eines herrschenden, dabei herrschsüchtigen und unbeherrschten Vaters über seinen Sohn und dessen besten Freund. (Was den ödipalen Konflikt besonders würzt, ist der Umstand, dass der Vater aus Gründen der Staatsraison dem noch infantilen Infanten Carlos die Verlobte weg- und sich zur Frau nimmt.) Die Kombination der auf Schillers Tragödie basierenden Oper von Giuseppe Verdi mit der ersten erfolgreich aufgeführten Oper Richard Wagners macht durchaus Sinn: Auch in "Rienzi" siegt die Vätergeneration der alteingesessenen römischen Aristokraten, obwohl sie im Bürgerkrieg zu Tode kommt, posthum über den Freiheitswillen der Jüngeren. ("Rienzi" besteht über weite Strecken aus agitierender Musik, die in hohem Maß mit Versatzstücken aus Werken von Zeitgenossen wie Spohr, Rossini, Bellini und Donizetti, Marschner und Lortzing zusammenkompiliert wurde.) Eine exzessive Preghera des 1354 politisch-militärisch in die Enge getriebenen Anführers der aufständischen römischen Plebejer sorgt im 5. Akt für eine stimmungsvolle Oase im Ozean musikalischer Gewaltherrschaft.

    Christopher Ventris führte sie weithin makellos aus. Besonderen Applaus eroberte sich auch Sophie Koch mit der Partie des Patriziersohns Adriano. Philippe Jordan vermochte das Gustav Mahler Jugendorchester für Wagners Heldengebärden zwar kräftig zu animieren, nicht aber die (eher unterrepräsentierten) feineren Tinten der Partitur zu realisieren. Angesichts des von der Oper "Rienzi" gepflegten Führerkults wäre – gerade in Salzburg – eine kritisch getönte Inszenierung sehr zu empfehlen gewesen.

    "Don Carlo" erschien bei den Salzburger Festspielen in einer neu kompilierten 5-aktigen italienischen Version – eng orientiert an dem, was Verdi ursprünglich komponierte. Also kam auch der Fontainebleau-Akt zum Zuge und mit ihm der ausführliche Blick auf die Landbevölkerung, die vom harten Winter und härter noch von einem nicht enden wollen-den Krieg heimgesucht wurde. Diese Introduktion ist konstitutiv auch für das Verständnis der Figur jener französischen Prinzessin Elisabeth von Valois, die als Faustpfand des Frie-dens zwischen Frankreich und Spanien mit dessen König Philipp II. verheiratet wird und, obwohl bereits mit dem Infanten Carlos verlobt, diesem Opfergang schweren Herzens zustimmt. Von daher motiviert sich der Konflikt der jungen Frau zwischen zwei Männern und dem Umstand, dass sie auch als Königsgattin das Bild des Kronprinzen in ihrer Schmuckschatulle aufbewahrt (den "Beweis" ihrer angeblichen Untreue).

    Zur intensiven Wirkung und zum integralen musikalischen Gelingen trug vornan die Sän-ger-Crew bei, die mit Jonas Kaufmann über einen geschmeidig lässigen Titelhelden verfügt. Souverän raumfüllend erscheint die Stimme seiner ewig unerfüllten Liebe: Anja Harteros als Elisabetta (hat seit ihren Anfängen am Niederrhein vor gut zehn Jahren enorm zugelegt und singt die große schwere Königinnenpartie großartig, bleibt dabei auch in stolzer Monarchinnenwürde eine begehrenswerte jugendliche Liebhaberin – und) avanciert zur Königin der Herzen. (Thomas Hampson, der bis in den Tod getreue Freund, gibt den Marquis von Posa als einen höchst feinsinnigen Freigeist, dem der Liederabend im kleinen Kreis mehr liegt als die staatspolitische Ansprache.) Matti Salminen, der große alte finnische Bass, ist als beratungsresistenter Philipp II. ebenso imposant wie als Ehemann bemitleidenswürdig, wenn er die Crux des Alterns klagt und die Unfähigkeit, mit der schönen jungen Französin übereinzukommen: "Sie hat mich nie geliebt".

    Gemessen an den musikalischen Vorzügen, die auch dank der Wiener Philharmoniker unter Leitung von Antonio Pappano beschert wurden, blieb die szenische Dimension hilflos bis kläglich: Peter Steins Arbeit wirkte wie versteinert. In den günstigen Momenten am Anfang und Ende handelte es sich um unauffällige optische Begleitung – im III. Akt um nebulös ausufernden Kitsch, der geeignet erschien, die Opfer der Inquisition posthum zu verhöhnen. So nah können Glück und Unglück beieinan-derliegen.