Aus den Feuilletons

Mein Freund, der Diktator

Jean-Claude Juncker und Victor Orbán
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker (l) und Ungarns Ministerpräsidenten Victor Orbán 2015 in Brüssel © imago/ZUMA Press
Von Arno Orzessek · 18.04.2017
Ungarns Ministerpräsident Orbán regiert antidemokratisch, da begrüßte ihn EU-Kommissionspräsident Juncker schon mal mit: "Hallo, Diktator". Das sei inakzeptabel, so der Historiker Timothy Garton Ash in der Süddeutschen Zeitung. Für ihn ist solch ein Verhalten "das Gesicht des schnellen Appeasements".
Die Nachlese auf das Verfassungs-Referendum in der Türkei dauert an...
Und der Berliner TAGESSPIEGEL liefert eine besonders zuversichtliche Interpretation der Ereignisse.
"Der Einsatz aller Staatsmacht hat nicht ausgereicht, um den Damm der demokratischen Kultur bei der Hälfte der (…) Bevölkerung zu durchbrechen (frohlockt der Schriftsteller Deniz Utlu). Jeder zweite Wähler, jede zweite Wählerin hat dieser Propaganda, diesem Terror standgehalten. Kein anderes Beispiel ist mir bekannt, für einen solchen Beweis des Austritts aus der (nicht nur) selbst verschuldeten Unmündigkeit: Diese Menschen waren alleine, sie haben für sich gedacht, für sich entschieden und sie haben fast gewonnen. Wir sollten nicht vom Tod der Demokratie sprechen, solange es diese Menschen gibt."
Wow! Das prekäre Referendum als Austritt aus der Unmündigkeit, als ein Aufklärungs-Ereignis aus dem Geiste Immanuel Kants…
Beeindruckende Worte von Denzi Utlu im TAGESSPIEGEL.
In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG beobachtet Michael Hanfeld die Reaktionen der hiesigen Parteien auf den Umstand, dass 60 Prozent der in Deutschland lebenden türkischstämmigen Wähler das Präsidial-System wollten.
"Die Grünen – von Claudia Roth über Cem Özdemir bis Özcan Mutlu – hatten sogleich einen passenden Dreh: Es liege zu einem guten Teil an vermeintlich mangelhafter Integrationspolitik (…). Diese Art von ´Schuld-Verschiebung` ist geschickt: Verantwortlich für Erdogans Erfolg sind so nämlich viele, ja irgendwie alle – die anderen politischen Parteien und die Regierung zumal – nur nicht die Grünen und auch nicht diejenigen selbst, die ihr Kreuzchen für Erdogan gemacht haben. Dass Erdogans Fans ihr Idol voller Überzeugung ermächtigten, sein autokratisches Vorgehen gegen Andersdenkende und seine überschäumende Rhetorik der Hetze goutieren, scheinen sich die Grünen nicht vorstellen zu können."
Nahezu rot vor Wut über die Grünen: Michael Hanfeld in der FAZ.

Timothy Garton Ash kritisiert EU-Kommissionspräsident Juncker

In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG knöpft sich derweil der Oxford-Professor Timothy Garton Ash einen anderen Wackelkandidaten der Demokratie vor, Ungarns Ministerpräsidenten Victor Orbán.
Genauso empört wie über Orbáns Aushöhlung von Rechtstaat und Meinungsfreiheit ist Garton Ash über die lasche Reaktion der Europäischen Union, deren Mitglied Ungarn ist.
"Auf einem Video im Internet kann man Jean-Claude Juncker sehen, wie er die Regierungschefs beim EU-Gipfel in Lettland 2015 empfängt. ´Der Diktator kommt`, witzelt er, um gleich darauf Orbán jovial als ´Diktator` zu begrüßen und ihm einen freundschaftlichen Klaps auf die Wange zu geben. Im Europa von heute ist so eine ´Hallo, Diktator`-Situation kein Spaß mehr. Sie ist vielmehr das Gesicht des schnellen Appeasements. So hört es sich an, wenn parteipolitische Interessen und Freundschaften (…) über Werte gestellt werden",
schüttelt der SZ-Autor Timothy Garton Ash den Kopf. -

Das neue Weltkriegsmuseum in Danzig

Bis jetzt, Sie haben es mitbekommen, liebe Hörer, war diese Kulturpresseschau eine Mogelpackung. Es ging ja um Politik.
Und das ändert sich auch auf den letzten Metern nicht – aber immerhin: Wir gehen ins Museum, und zwar ins neue Weltkriegsmuseum in Danzig.
In der Tageszeitung DIE WELT erzählt Gerhard Gnauck, wie das offenbar sehenswerte, der Verbindung von östlichen und westlichen Erinnerungen verpflichtete Haus entstanden ist, er führt die Leser durch die Ausstellung – muss dann aber doch auf die Politik kommen.
"(Polens) Kulturminister Gliński hat die ´Vereinigung` des Museums mit einer gerade erst gegründeten Danziger Gedenkstätte angeordnet. Von Gliński in Auftrag gegebene Gutachten enthielten Vorwürfe wie diesen: Nicht ein Kriegsmuseum mit der Würdigung des polnischen Widerstands und Heldentums, sondern ein Antikriegsmuseum sei hier entstanden. Dazu sagt (der Museumsgründer) Professor Machcewicz: ´Ja, Krieg ist etwas Schreckliches, das zeigen wir hier.`" -
Wie immer, wenn wir keine schneidige Rausschmeißer-Überschrift finden, müssen wir uns selbst das letzte Wort überlassen.
Sie kennen es, liebe Hörer: Tschüss!
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