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Mütterliche Fürsorge verändert das Erbgut bei Mäusejungen

Wenn sich Mäuse liebevoll um ihren Nachwuchs kümmern, verändert sich das Gehirn ihrer Jungen. Das haben US-Forscher des Salk-Institute im US-Bundesstaat Kalifornien nachgewiesen. Gut umsorgte Mäusejunge sind beispielsweise stressresistenter.

Von Michael Lange | 23.03.2018
    Zwei Labormäuse in einem Glaskasten.
    Auf die Enkelgeneration überträgt sich die Änderung im Genom aber nicht (imago / Bernd Friedel)
    Mäusemütter können sehr liebevoll sein. Sie kümmern sich um ihren Nachwuchs, lecken das Fell ihrer Jungen und schmusen mit ihnen. Aber nicht alle Mäusemütter sind so fürsorglich. Es gibt auch Mäuse, die nur das Nötigste erledigen.
    Die Genforscherin Tracy Bedrosian vom Salk-Institute in La Jolla, Kalifornien, hat das genau protokolliert:
    "Im Labor beobachten wir ganz passiv das Verhalten der Mäusemütter. Wir stoppen die Zeit, in der sie sich um ihren Nachwuchs kümmern. So können wir das mütterliche Verhalten messen und wissen, wieviel Fürsorge die kleinen Mäuse in den ersten Wochen erhalten."
    Gut umsorgte Mäuse sind weniger empfindlich gegenüber Stress. Das haben Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Medizinische Forschung in Heidelberg bereits 2012 zeigen können.
    Die Forscher am Salk-Institute in Kalifornien haben nun untersucht, ob mütterliche Pflege direkt das Erbgut in den Nervenzellen der Mäuse beeinflusst. Ihr Fokus lag dabei auf mobilen Elementen im Genom, auch genannt Transposons oder "springende Gene", erläutert der Leiter der Genetik-Arbeitsgruppe am Salk-Institute Fred Gage:
    "Diese Elemente bewegen sich im Erbgut. Sie springen, indem sie sich von einer Position in eine andere kopieren. Und das geschieht scheinbar zufällig überall im Genom."
    Geprägte Zellen im Hippocampus
    Die Genforscher töteten etwa 50 Mäuse und untersuchten die Erbmoleküle in ihren Nervenzellen. Dann bestimmte Tracy Bedrosian die Zahl der Kopien springender Gene in verschiedenen Regionen des Gehirns.
    "In den Mäusejungen, die weniger Pflege erhielten, fanden wir fünfzig Prozent mehr Kopien dieser mobilen genetischen Elemente – und zwar in der Gehirnregion des Hippocampus. Wir müssen das noch genauer untersuchen, aber wir sahen einen ziemlich großen Unterschied."
    Der Hippocampus ist eine Gehirnregion, die als Tor zum Gedächtnis bezeichnet wird. Die Zellen dort entscheiden, welche Erinnerungen dauerhaft abgespeichert werden.
    Die neuen Ergebnisse dokumentieren, dass Erfahrungen in der frühen Jugend die Zellen im Hippocampus prägen. Die genetischen Besonderheiten im Gehirn der Mäuse sind demnach keine zufälligen Mutationen. Vielmehr scheint die Umwelt direkt Einfluss auf das Erbmaterial im Gehirn zu nehmen.
    Die Epigenetik spielt dabei eine Schlüsselrolle. Gemeint sind kleine chemische Veränderungen am Erbmolekül DNA, so genannte Methylierungen. Sie entstehen als direkte Reaktion auf Umweltfaktoren und steuern die Aktivität der Gene.
    Schaltstelle zwischen Umwelt und Genom
    Methylierungen bestimmen auch, ob sich mobile Elemente im Erbmaterial kopieren oder nicht.
    Damit sind sie eine Art Schaltstelle zwischen Umwelt und Genom. Ähnliche genetische Unterschiede in verschiedenen Nervenzellen fand Fred Gage bei mehreren Tierarten und auch beim Menschen.
    "Die genetischen Veränderungen in meinem Gehirn sind typisch für mich, und Ihre sind typisch für Sie. Zusätzlich zum Erbmaterial, das wir von unseren Eltern erhalten haben, gibt es eine zweite Ebene der Information in den Nervenzellen. Sie entsteht im Laufe des Lebens und wird dem Genom der Zellen hinzugefügt."
    Die neuen Ergebnisse zeigen: Die Umwelt beeinflusst die Persönlichkeit direkt über das Erbgut einzelner Nervenzellen. Allerdings werden diese Änderungen nicht an die nächste Generation weiter vererbt. Mütterliche Fürsorge verändert also lediglich das das Gehirn der direkten Nachkommen. Die Enkelgeneration startet wieder ohne diese Veränderungen.