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Variante der Christusfamilie

Der erste ins Deutsche übersetzte Roman des jungen polnischen Erzählers Daniel Odija beginnt mit einem grandiosen, alttestamentarisch anmutenden Auftakt, er beginnt mit dem Sterben: ein Gewitter wird als ein Weltuntergangszenario beschrieben, das Wasser tritt über die Ufer. Wenn die Blitze zucken, heißt es, würde alles in Leichenlicht getaucht.

Von Antje Ravic-Strubel | 01.12.2006
    Es ist das Ende der kommunistischen Ära, das hier metaphorisch überhöht gezeichnet wird, und der Anfang einer tiefen Krise Polens. Die Art, in der Odijas davon erzählt, scheint aus einer anderen Zeit zu kommen. In "Das Sägewerk" wird ein Dorfleben gezeigt, wie man es vielleicht bei Gogol finden würde, in einer Schwere und Düsterkeit, die mit dem heutigen, einem eher schlichten Erzählen, nicht viel gemein zu haben scheint. Odija beschreibt Menschen, für die das Gewitter der Wende alles weggeschwemmt hat. Dumpf hocken sie in ihren verkappten Existenzen. Sie leiden daran, dass ihnen niemand mehr vorschreibt, was sie mit ihrem Leben anfangen sollen.

    Gesellschaftliche Muster, nach denen sie sich richten könnten, scheint es für sie nur in einer fernen Vergangenheit zu geben. Und doch sind die einzigen Traditionen, auf die sie sich dann tatsächlich besinnen, Saufen und körperliche Gewalt. Das scheint hartnäckig alles zu überleben und gehört mit dem Gegenpol, der Melancholie, ja auch als fester Bestandteil zur osteuropäischen Literatur. In Odijas Polen herrscht die blanke Armut, sie macht die Menschen missgünstig und niederträchtig. Wobei hier von Männern die Rede ist. Frauen sind nur williges Fickwerkzeug, und wenn sie dazu nicht mehr taugen, sind sie vielleicht noch zum Arbeiten oder zum Schlagen gut.

    Odijas postkommunistisches Polen ist dem vorrevolutionären Russland zumindest literarisch verwandt. Brachial, mit gewaltig orchestriertem Pathos wird das Leben einer übriggebliebenen Gruppe in einer Kolchosensiedlung irgendwo auf dem Land beschrieben. Die Kolchose gibt es nicht mehr. Jetzt hausen Arbeitslose hier oder solche, die wie der machthungrige, rücksichtslose Möchtegern-Oligarch Jozef Mysliwski, versucht haben, mit der neuen Zeit mitzuhalten und dann gescheitert sind. Mysliwski ist der einzige Arbeitgeber im Ort.

    Er hat ein Sägewerk errichten lassen, den Waldbestand seiner Nachbarn gekauft und gerodet und sich die Nachbarn wiederum als billige, mit Pornos und Wodka ruhig gestellte Arbeitskräfte untertan gemacht. Aber die Schulden werden am Ende so wachsen, dass ihm nichts von seinem Besitz bleiben wird. Dann wird auch er seine Verzweiflung, seine hilflose Wut schließlich im Alkohol ertränken. Seine willigen Arbeitskräfte werden zu einem popularistischer Politiker übergelaufen sein. Diesem trostlosen Leben der Siedlungsbewohner wendet sich Odija in einzelnen, thematisch gegliederten Kapiteln zu. Im ersten Teil des Romans wird das Sterben auf verschiedenste Weise variiert.

    In "Fliegen und nicht nur" sind es die Fliegen, die verrecken oder umgebracht werden, in Kapitel "Haut und nicht nur" wird minutiös das Töten und Häuten von Füchsen beschrieben. Im Kapitel "Kneipe und nicht nur" geht es um das Absterben menschlicher Gefühle. Was bleibt, ist Rohheit, aufgeschwemmt von Schnaps.


    Der Roman spart nicht mit religiöser Metaphorik, schon in den Kapitelüberschriften steckt eine Bibel-ähnliche Archaik; das Kapitel "Fliegen" erinnert an die alttestamentarischen "Heuschrecken", das Kapitel "Nebel" könnte eine Replik an das Bibelkapitel "Finsternis" sein. Andere Kapitel heißen dagegen "Müllplatz" oder "Straße" und immer ist ein lakonisches "und nicht nur" angehängt, wodurch die Archaik wiederum leicht ins Absurde gezogen wird.

    Jozef Mysliwski, der Sägewerkbesitzer, seine Frau Maria und ihr Sohn Krzysztof stellen die polnische Variante der Christusfamilie dar. Sie bilden das Zentrum des Romans, um sie kreisen die anderen Gestalten: Alek, der Schwager, Tosiek, der getreue Handlanger, Marian, die ehrliche Haut, Sekowiak, der schmierige Kaufmann oder Mariola, die nymphomane Wirtin. Sie alle sind Typen, fast Allegorien. Sie stehen jeweils für verschiedene Ausprägungen des Leids. Das Leid läutert sie nicht, sie sind sich ihres Leidens schon nicht mal mehr bewusst, sie gären vielmehr darin, bis es zu einem neuen Gewitter kommt, bis das Wasser oder das Feuer, also wahrscheinlich Gottes mächtiger Zorn sie vom Erdball spült. Der Autor verrät seine Figuren nicht, aber er hegt auch keine großen Sympathien, er rückt sie in eine Ferne, in der sie wie auf einem Holzschnitt von Hieronymus Bosch aussehen, gefangen im Irrwitz der Armut. Sie sind Verdammte, Kandidaten der Hölle. Ein verrückter Alter, der am Ortsrand haust, wird zu einer Art Gottesfigur; man holt sich bei ihm Rat. Aber denjenigen, die ihm übelwollen, bringt er Misserfolge oder - in Odijas grimmiger Ironie - einfach nur Durchfall.

    Krzysztof, der Sohn des Sägewerkbesitzers, wird am Ende zum Mörder an diesem verrückten Alten, Mutter Maria sitzt nach einem Sturz auf der Kellertreppe querschnittsgelähmt im Rollstuhl und Vater Jozef wird über der Erinnerung an ein vergeudetes Leben wahnsinnig.

    Odija ist allerdings ein viel zu sanftmütiger Erzähler und vielleicht auch ein zu sanftmütiger Mensch, um sein Buch für Abrechnungen zu benutzen, sei es mit den postkommunistischen Zuständen, sei es mit dem polnischen Katholizismus. Darum scheint es ihm nicht zu gehen. Es setzt vielmehr das postkommunistische Leben auf dem polnischen Land dem alttestamentarischen Leben gleich, er benutzt das eine als Folie, um das andere zu erhellen, um der Rohheit, der Unmittelbarkeit der sozialen Probleme eine Sprache zu geben. Eine Sprache, die Martin Pollak in ein in seiner Kantigkeit poetisches Deutsch übersetzt hat. Aus dieser Gleichsetzung mag sich auch diese seltsame Gottesfurcht speisen, die in der doch gottverlassenen Siedlung zwischen den Zeilen immer wieder aufleuchtet. Im Unterschied zur Bibel gibt es bei Odija allerdings kein Kapitel, das von Weisheit, Liebe oder Mut handeln würden, in seiner Kolchosensiedlung sind nur Häme, Mord und Zwietracht gesät.

    Daniel Odija: Das Sägewerk, Zsolnay Verlag