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Vater des modernen Hebräisch

Am 7. Januar 1858 in Litauen geboren, kämpfte der Sprachwissenschaftler Eliezer Ben Jehuda nach seiner Auswanderung dafür, in Palästina seinen Traum einer säkularen jüdischen Nation zu verwirklichen. Im Mittelpunkt stand dabei für ihn die hebräische Sprache.

Von Matthias Bertsch | 07.01.2013
    "Was hat unserem Volk die Kraft gegeben zu überleben? Sicher seine Religion, die sich von der aller anderen Völker unterscheidet, und der Hass anderer Völker. Ohne diese beiden Faktoren hätten die Juden wohl schon lange aufgehört, ein Volk zu sein – so wie viele andere Völker untergegangen sind, deren Namen wir nur noch aus Geschichtsbüchern kennen."

    Der Verfasser dieser Zeilen hieß Eliezer Perlman, doch unterschrieben hatte er seinen Artikel in der Sprache, in der er auch sein flammendes Plädoyer verfasst hatte: auf Hebräisch: "Ben Yehuda – Sohn Judäas". Geboren am 7. Januar 1858 in Litauen wuchs Ben Yehuda in einer Religionsschule auf, in der sich alles um das Wort Gottes drehte. Doch einer seiner Lehrer war ein maskil, ein Anhänger der jüdischen Aufklärung: Er besorgte dem jungen Schüler weltliche Literatur – auf Hebräisch. Das Ganze flog auf, Eliezer wurde der Schule verwiesen, doch die Liebe zur Literatur blieb. Im Zionismus fand er schließlich eine Antwort auf die Frage, die ihn umtrieb, erklärt der Ben-Yehuda-Experte George Mandel:

    "Sein persönliches Problem war: wie kann ich ein Jude bleiben und trotzdem Teil der modernen Welt sein? Die traditionelle Welt der jüdischen Religion schien ihm keine Antwort zu bieten, der jüdische Nationalismus dagegen schon. Als Teil einer jüdischen Nation oder eines jüdischen Staates konnte man gleichzeitig Jude und so wie jeder andere moderne Mensch sein. Und der Grund, warum er die totale Assimilation an die russische Umgebung, aus der er kam, ablehnte, lautet: aus Liebe zur hebräischen Literatur und zur hebräischen Sprache."

    Eliezer Ben Jehuda: "Die Zeiten, in denen unsere Religion oder die Ablehnung der anderen stark genug sind, unser Überleben als Nation zu sichern, sind vorbei. Wenn wir nicht wollen, dass der Name Israel für immer ausgelöscht wird, müssen wir etwas schaffen, dass der neue Mittelpunkt unserer Nation ist. Und dieses Etwas ist die Besiedlung von Eretz Israel."

    Zwei Jahre nach Verfassen seines Artikels ließ Ben Yehuda seinen Worten Taten folgen und wanderte aus. Mit einer kleinen Schar Gleichgesinnter kämpfte er darum, in Palästina seinen Traum einer säkularen jüdischen Nation zu verwirklichen, in deren Mittelpunkt die hebräische Sprache stand. Er gab Zeitungen auf Hebräisch heraus, gründete die Akademie für hebräische Sprache und arbeitete wie ein Besessener an jenem Werk, das seinen Namen als Vater des modernen Hebräisch begründet hat: dem Gesamtwörterbuch der Hebräischen Sprache, das bei Langenscheidt in Berlin erschien. Übungsfeld seines Nation building war seine eigene Familie. "Rak ivrit!" – nur Hebräisch! - lautete das Versprechen, das er seiner Frau im Umgang mit den Kindern abnahm – zu einer Zeit, in der niemand im Alltag Hebräisch sprach. Was das hieß, beschrieb seine Tochter Dola viele Jahre später.

    "Das Wichtige bei den Kindern, die Versuchkaninchen waren und auch die kleine Armee von Eliezer Ben Yehuda, war die Tatsache, dass sie diese Worte verwendet haben, und wenn sie in die Straße gingen, also man hat natürlich uns immer ausgelacht und man hat immer erzählt, da gehen vorbei, die Kinder von diesem ganz meschugge Eliezer Ben Yehuda."

    Doch so verrückt sein Sprachfanatismus vielen Zeitgenossen auch erschien, die Geschichte gab ihm Recht. Im Dezember 1922 starb Ben Yehuda in Jerusalem. Auf seinem Grabstein auf dem Ölberg steht in hebräischen Lettern: "gestorben im Jahr 6 der Balfour-Deklaration". Mit Beginn der englischen Mandatszeit wurde Hebräisch zu einer der drei offiziellen Sprachen in Palästina – für Ben Yehuda der Beginn einer neuen Zeitrechnung. Dass das Versprechen des britischen Außenministers, die Zionisten zu unterstützen, die Spannungen zwischen Juden und Arabern in Palästina verstärkte, war Ben Yehuda bewusst, betont der israelische Ben Yehuda Biograf Yossi Lang:

    "Ben Yehuda war ein Intellektueller, ein Atheist, und sehr nationalistisch. In seinen ersten Jahren in Palästina hat er darüber nachgedacht, das Land von den Arabern zu erobern. Aber im Ersten Weltkrieg hat er seine Meinung geändert. Er hat an die Möglichkeit eines Zusammenlebens beider Völker geglaubt, da bin ich mir ganz sicher."

    In einem Punkt allerdings hat sich Ben Yehuda getäuscht. Als Anhänger der Aufklärung war er der festen Überzeugung, dass die Religion langfristig keine große Rolle im Leben des jüdischen Volkes mehr spielen würde. Würde er heute nach Israel zurückkehren, würde er feststellen, dass die Religion in Israel nicht abgestorben ist. Im Gegenteil: Ihr Einfluss auf das öffentliche Leben hat in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich zugenommen.