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"Vater-Effekt"
Veränderte Proteine schädigen Kinder und Enkel

Seit ein paar Jahren spekulieren Biologen über die Möglichkeit, dass nicht nur das Erbmolekül DNA biologische Informationen von Generation zu Generation überträgt. Auch Umweltfaktoren oder traumatische Erlebnisse können sich auf die Nachkommen auswirken - und zwar über mehrere Generationen hinweg. Kanadische Forscher fanden spezielle Proteine, die als Erbfaktoren in Frage kommen.

Von Michael Lange | 12.10.2015
    DNA-Strang
    Das Erbmaterial aller Lebewesen, die DNA, zeichnet sich dadurch aus, dass es sich kaum ändert. (imago/stock&people/Science Photo Library)
    Das Erbmaterial aller Lebewesen, die DNA, zeichnet sich dadurch aus, dass es sich kaum ändert. Lediglich zufällige Mutationen führen zu kleinen Abweichungen. Sie können Krankheiten verursachen, treiben aber auch die Evolution voran. Dass es neben dem Erbmolekül DNA epigenetische Faktoren gibt, die das Erbgut steuern, wissen Genetiker seit Langem. Dass diese Faktoren möglicherweise vererbbar sind, sorgte in den letzten Jahren für reichlich Diskussionsstoff.
    Als möglichen Informationsüberträger vermutet Sarah Kimmins von der McGill-Universität in Montreal bestimmte Eiweiße: Die Histone. Das sind kugelförmige Proteine, um die sich das Erbmolekül DNA herumwickelt. In Tierversuchen hat Sarah Kimmins die Histone gezielt verändert.
    "Wir haben männliche Mäuse gentechnisch so manipuliert, dass sich die biochemische Zusammensetzung der Histone in ihren Spermien veränderte. Den Histonen in den Spermien fehlten nun bestimmte Methylgruppen. Das verändert die Form der Histone, und das stört das Aktivitätsmuster der Gene auf dem Erbmolekül."
    Die Auswirkung der kleinen Änderungen auf den Nachwuchs der Tiere war dramatisch: Es kam vermehrt zu Totgeburten und viele neugeborene Mäuse wiesen Missbildungen auf oder zeigten andere gesundheitliche Schäden.
    Umwelteinflüsse sind vererbbar
    Diese traten nicht nur bei den Tieren der ersten Generation auf, sondern auch in den folgenden Generationen. Dabei war das Erbmaterial der Tiere nachweislich unverändert. Die Vererbung muss über die Histone erfolgt sein. Für Sarah Kimmins war dies eine Überraschung.
    "Man verändert ein Protein und das wirkt sich auf die Vererbung aus, ohne dass die DNA beteiligt ist. Das ist bisher noch nie gezeigt worden. Wie die Histone das anstellen und wie sie dazu beitragen, dass Umwelteinflüsse vererbbar sind, wissen wir noch nicht."
    Frühere Forschungsergebnisse haben bereits gezeigt, dass bestimmte chemische Anhängsel an den Histonen nicht zufällig verteilt sind. Sogenannte Methyl- oder Acetylgruppen haften an bestimmten Stellen dieser Proteine. Sie beeinflussen, wie das fadenförmige Erbmolekül DNA um die Histone herum gewickelt wird und welche Erbinformation auf dem DNA-Faden aktiv wird. Einige Forscher vermuten dahinter einen Histon-Code, der zusammen mit dem genetischen Code die Biologie steuert.
    Biologische Bedeutung der Väter wird größer
    Die jetzt vorgestellten Ergebnisse zeigen, dass es neben der DNA eine zusätzliche Linie der Vererbung gibt. Sie erfolgt in diesem Fall über die Spermien. Denn die Spermien werden anders als die Eizellen in großer Zahl neu gebildet. Eine Mitteilung der McGill-Universität nennt diese Form der Vererbung deshalb den "Vater-Effekt". Die biologische Bedeutung der Väter wird dadurch größer, bestätigt Sarah Kimmins.
    "Was ein Vater isst, ändert den biochemischen Aufbau seiner Histone, im gesamten Körper, auch – wie das Mausmodell zeigt - in seinen Spermien. Potentielle Väter sollten deshalb Giftstoffe oder Drogen vermeiden, denn sie schädigen so nicht nur ihre Gesundheit, sondern die ihrer zukünftigen Kinder und Enkel."