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Vegetarisch in Israel
Grüne Rabbis im Kampf für die Umwelt

Schöpfung, Glaube, Umweltschutz: Immer mehr Israelis verzichten religiös begründet auf Fleisch. Und immer häufiger treten auch Rabbiner für Umweltschutzprojekte ein. Zwei von ihnen in Jerusalem nennen sich selbst "grüne Rabbis". Sie sehen viele gesellschaftliche Probleme im Fleischkonsum begründet.

Von Andreas Main | 27.06.2014
    Veganes Essen aus Linsen, Kürbis, Zwiebeln und Tomaten auf einem Teller
    Israel ist nach Indien proportional gesehen das Land mit den meisten Vegetariern. (picture alliance / ZB / Jens Kalaene)
    Schöpfung, Glaube, Umweltschutz, interreligiöser Dialog – worüber Yonatan Neril redet, mag westlichen Ohren vertraut erscheinen. Aber wir sind in Jerusalem, dort wo drei monotheistische Religionen um jeden Quadratzentimeter streiten. Wenn also Yonatan Neril hervorhebt, dass Juden, Christen und Muslime eine gemeinsame, zentrale Glaubenslehre haben, dann ist das ein Politikum. Der Glaube an einen Schöpfer sei der gemeinsame Kern der monotheistischen Religionen, sagt der Rabbiner und Umweltschützer:
    "Und daraus folgt, dass der Mensch sich kümmern muss um diesen Planeten, der er ihm anvertraut wurde."
    Der Rabbiner hat vor vier Jahren ein Institut gegründet, das konfessionelle Grenzen überschreiten und einen Beitrag zum Umweltschutz leisten will. Das Interfaith Center for Sustainable Development, also "Interreligiöses Zentrum für nachhaltige Entwicklung", organisiert Konferenzen von Religionsführern, aber auch Aufforstungsprojekte oder Exkursionen in die Natur. Hauptsache, Muslime, Juden und Christen arbeiten zusammen. Yonatan Neril will andere nicht belehren, appelliert deshalb vor allem an seine eigene Religionsgemeinschaft.
    "Für Juden, die ihre Religion praktizieren, ist es wichtig, nach jenen Lehren in ihrer Tradition zu suchen, die die drängendsten Fragen der Menschheit ansprechen. Vor allem die Umweltkrise. Die ist aus meiner Sicht eine spirituelle Krise – und wir müssen die Glaubenslehren wiederentdecken, die uns da raus helfen. Und im Kern geht es um die Frage, ob wir Gebende sein wollen, also altruistische Menschen, oder Nehmende, die immer nur konsumieren und an die eigenen Bedürfnisse denken."
    Yonatan Neril ist gut 30 Jahre alt. Er lebt mit Frau und Kind in einem einfachen Haus in Jerusalem, in Nachlaot, direkt neben dem Markt. Er ist modern-orthodox, eine Richtung im Judentum, die sich eng an jüdischen Traditionen orientiert, aber offen ist für gesellschaftliche Herausforderungen. Religiös konservativ, politisch linksliberal – so könnte man verkürzend zusammenfassen.
    Eine Million Israelis essen kein Fleisch
    Auch David Rosen, der rund 30 Jahre älter ist als Yonatan Neril, steht dieser Strömung nahe. David Rosen war Oberrabbiner von Irland. Er berät das Großrabbinat von Israel in interreligiösen Fragen. Sein Büro hat er in Jerusalem beim American Jewish Committee, dort zuständig für interreligiöse Fragen weltweit. Auch dieser ausgesprochen etablierte Rabbiner ist ein engagierter Kämpfer für den Umweltschutz:
    "Die Fleischindustrie zerstört die Umwelt. Mehr als alle Verkehrsmittel zusammen. Also, wenn wir uns um unseren Planeten sorgen, dann sollten wir aufhören, Fleisch zu essen."
    David Rosen ist stolz auf sein Land. Es habe nach Indien die meisten Vegetarier, relativ gesehen. Etwa eine Million Israelis essen kein Fleisch mehr, so jüngste Umfragen. Eine von acht Millionen - oder genauer gesagt: Acht Prozent der Israelis leben vegetarisch, fünf Prozent vegan. Letztere verzichten also auf alle tierischen Produkte.
    David Rosen denkt darüber nach, wie sich vegan und vegetarisch und koscher ergänzen, wie eine fleischlose Lebensweise die Kaschrut, also die jüdischen Speisegesetze, zwar nicht ersetzen, aber doch im Kern erfüllen würde. Wer vegetarisch oder vegan lebt, sagt der Rabbi schmunzelnd, muss sich auf jeden Fall nicht mehr darum kümmern, Milch und Fleisch zu trennen:
    "Dann muss man sich auch keine Sorgen mehr machen über all die verschiedenen Töpfe und Pfannen. Vieles wird einfacher."
    Vegan heißt nicht automatisch koscher
    Und doch: Eine vegetarische oder vegane Ernährungsweise ist nicht 100 Prozent koscher – etwa mit Blick auf Insekten im Salat oder im Gemüse.
    Auch wenn weltweit jene Rabbiner-Stimmen lauter werden, die für den Verzicht auf Fleisch plädieren, es gibt in der Orthodoxie auch massive Opposition, sagt Rabbiner David Rosen, vor allem bei jenen, die Kosher-Zertifikate erteilen und davon profitieren.
    "Es gibt Widerstand gegen den Verzicht auf Fleisch; denn das unterwandert die Kashrut-Industrie. Das stört jene, die ein Interesse daran haben, dass dieses gigantische System rund ums Essen so komplex bleibt, wie es ist."
    Rosen sieht viele Probleme heutiger Gesellschaften im Fleischkonsum begründet: etwa Gesundheitsprobleme oder die Ungleichheit zwischen Nord und Süd. Er bezeichnet sich als "ideologischen Vegetarier". Den Einwand, dass der Mensch in der Tora, der Bibel von Gott den Auftrag bekommt, sich die Welt untertan zu machen, lässt der Rabbiner nicht gelten:
    "Man kann herrschen als wohlwollender, liebevoller und fürsorglicher Herrscher – oder man kann herrschen wie ein Despot, der tötet, alles platt trampelt und ausbeutet und zerstört. Ja, wir haben eine Verantwortung. Wir sind nach Gottes Ebenbild geschaffen, wir haben Verantwortung für alles, was lebt. Aber diese Verantwortung kann man so und so wahrnehmen."
    Rabbiner David Rosen wie auch Rabbiner Yonatan Neril bezeichnen sich als "grüne Rabbis", verstehen dies aber keinesfalls parteipolitisch. Neril vom Interfaith Center plädiert dafür, einen Schritt weiter zu denken.
    "Es braucht tief greifende Veränderungen. Die beginnen in uns. Wir müssen eine innere Zufriedenheit finden. Und wenn wir in der Lage sind, uns mit etwas zu verknüpfen, das größer ist als wir, mit dem Unendlichen, dann wird der Wunsch abnehmen, unsere Bedürfnisse mithilfe des Konsums und materieller Werte zu befriedigen."