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Venedig und der Tourismus
Ringen um die Zukunft der Lagunenstadt

Immer wieder hat die UNESCO damit gedroht, Venedig von der Liste der Weltkulturgüter zu streichen. Grund ist der wachsende Tourismus, der die Schönheiten der Stadt zu zerstören droht. Der Bürgermeister und das italienische Kulturministerium haben nun einen "Pakt für Venedig" vereinbart, der das verhindern soll. Italiens Kulturschützer sind skeptisch.

Von Thomas Migge | 30.01.2017
    Venedig gilt als einer der schönsten Kreuzfahrthäfen der Welt. Einige der Ozeanriesen sind höher als die Häuser von Venedig.
    Venedig gilt als einer der schönsten Kreuzfahrthäfen der Welt. Das schafft Probleme. (imago/Reinhard Balzerek)
    "Wir wollen, dass hier endlich praktikable Entscheidungen getroffen werden, denn wir haben keine Zeit mehr zu warten. Die Situation hier ist unhaltbar geworden."
    Giovanni Andrea Martini ist Präsident der Bürgervereinigungen Venedigs. Er hatte gehofft, dass der mit Spannung erwartete "Pakt für Venedig" endlich konkret die Probleme der Lagunenstadt angeht. Aber in diesem zwischen Venedigs Bürgermeister Luigi Brugnaro und dem Kulturminister Dario Franceschini erarbeiteten Pakt wird keines der Probleme Venedigs – zu viel Tourismus, der Wegzug der Einheimischen, immer mehr Kreuzfahrtschiffe, die immer näher an den Dogenpalast heranfahren und die Öffnung von immer mehr Hotels, Restaurants, Imbiss- und Nippesbuden – direkt angesprochen.
    Giovanni Andrea Martini: "Aus dem Rathaus bekommen wir auf diese Kritik am Pakt für Venedig keine Antwort. Unsere Appelle, offiziellen Anfragen und Demonstrationen werden ignoriert. Egal, um welches Problemfeld es sich handelt, Kreuzfahrtschiffe oder Umweltverschmutzung, es gibt keine Reaktionen."
    Zukunftsaufgaben nur schwammig formuliert
    Kulturministerium und Stadtverwaltung verweisen stolz auf 453 Millionen Euro, die der Pakt über vier Jahre verteilt Venedig zur Verfügung stellt. Aber der Umstand, so befürchten Martini und andere aufgebrachte venezianische Bürger, dass im Text dieses Paktes nur schwammig von "Zukunftsaufgaben", von "ökologischem Umgang mit der Lagune" und von "urbanistischen Projekten" die Rede ist, könnte vom Bürgermeister für seine rein tourismuswirtschaftlichen Ziele ausgenutzt werden.
    Der hemdsärmelige Unternehmer Brugnaro gewann Mitte 2015 die Kommunalwahlen mit dem Versprechen, Venedig reicher zu machen. Damit meint er: noch mehr touristische Infrastrukturen für noch mehr Besucher. Schon jetzt kommen pro Jahr mehr als 30 Millionen Touristen in die kleine Stadt. Ganze Straßenzüge dienen nur noch touristischen Bedürfnissen. Bürgermeister Brugnaro:
    "Wir wollen doch nur neue Arbeitsplätze schaffen! Wir können aber auch Arbeitsplätze zerstören. Genau das will die Partei des ‚Nein’. Nein den Kreuzfahrtschiffen und allem anderen gegenüber."
    Nur noch eine Art Kirmes
    Brugnaro ist, das erklärte er in verschiedenen Interviews, ganz aufseiten der venezianischen Geschäftsleute. Denn sie seien es doch, meint er, Zitat, "die hier den Laden am Laufen halten". Und um den Laden am Laufen zu halten, so der Bürgermeister, müssen noch mehr Kreuzfahrtschiffe noch näher an die Stadt heranfahren können. Eine Horrorvision, schimpft Martina Zennaro von der Bürgerinitiative Veneziamiofuturo:
    "Wir müssen verhindern, dass diese Stadt immer mehr eine Art Kirmes wird."
    Was Bürger und Bürgerinitiativen, Kulturschützer und Kunsthistoriker besonders sauer aufstößt: Auch der römische Kulturminister scheint in Sachen Venedig nicht einzusehen, dass man weniger auf Tourismus setzen sollte. Denn der viele Tourismus lasse die Stadt, so der Kunsthistoriker und ehemalige Direktor der Vatikanischen Museen Antonio Paolucci, Zitat, "zu einer Art Disneyland verkommen".
    Jede Woche Demonstrationen
    Allein das ständige Restaurieren historischer Gebäude kostet Unsummen. In diese Restaurierungsprojekte, so Paolucci und andere Kunsthistoriker und ehemalige Kulturminister, müsse das meiste Geld des "Paktes für Venedig" fließen. Die historischen Monumente und Kunstwerke seinen ja die eigentliche Infrastruktur der Stadt, und nicht noch mehr Hotels und Restaurants etc. Der "Pakt für Venedig" stellt für den Erhalt des Kulturerbes nur 50 Millionen Euro zur Verfügung. Eine lächerlich geringe Summe. Für die Suche nach einer Lösung für das Problem Kreuzfahrtschiffe, damit diese außerhalb der Stadt anlegen können, stellt der Pakt nur zwei Millionen Euro zur Verfügung. Allein dieser Punkt, klagt Marco Carberlotto von Generazione 90, einer Vereinigung junger Venezianer, zeige deutlich, wie wenig Interesse die politisch Verantwortlichen an der Lösung solcher konkreten Probleme haben:
    "Wir wollen die Stadt für uns Bürger zurückerobern. Alle Bürgereinigungen müssen sich jetzt zusammentun, um wieder ein alltägliches Leben hier führen zu können."
    Und so vergeht keine Woche, ohne dass die Mitglieder von Generazione 90 aber auch andere Bürgerorganisationen für ihre Ideen in Venedig demonstrieren. Demos, die den Bürgermeister sehr stören - würden sie doch, erklärte er, Touristen und Touristikunternehmen abschrecken.