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Venezuela: Der kranke Präsident und sein Volk

Hugo Chavez Krebserkrankung bewegt die Venezolaner – Anhänger wie Gegner. Der selbsternannte Führer der lateinamerikanischen Linken hofft auf Gott und Genesung, um sein Projekt weiter voranzutreiben. Die Opposition setzt auf ein Ende der Ära Chavez.

Von Martin Polansky | 13.08.2011
    Plaza Bolivar im Zentrum von Caracas. Eine Hochburg der Chavisten. Der Platz geschmückt mit venezolanischen Flaggen, auf manchen Häuserwänden Bilder von Che Guevara oder Marx, viele hier tragen die roten T-Shirts der Sozialisten.

    Auf Plastikstühlen sitzen etwa dreißig Anhänger des an Krebs erkrankten Präsidenten und starren auf einen Fernseher. Der Comandante ist zu hören. Per Telefonschalte aus Kuba, wo sich Chavez einer Chemotherapie unterzieht:

    "Ich glaube seine Nachricht macht allen klar, dass es ihm gut geht, dass er sich erholt und dass die Behandlung anschlägt."
    "Er ist der beste Präsident, den wir in 200 Jahren hatten. Alles wird gut ausgehen, denn wir glauben an Gott."

    Ortswechsel. Altamira ist ein besseres Viertel von Caracas. Gepflegte Apartmenthäuser, große Firmen haben hier große Türme aus Glas. Statt roter T-Shirts eher Anzüge, kein Mensch hier würde sich freiwillig die Reden des Präsidenten im Fernsehen anschauen. Chavez Krebserkrankung trotzdem Thema Nummer eins:

    "Er will doch nur bedauert werden. Nach dem Motto ich armer kranker Mann. Aber das kann nicht von den Problemen des Landes ablenken. Die lassen sich nicht mit dem Arzt therapieren. Die müssen gelöst werden."
    "Ich glaube nicht, dass er wirklich krank ist. So wie er tritt kein kranker Mensch auf. Er simuliert nur."

    Venezuela tief gespalten. Nach zwölf Jahren Sozialismus hat Chavez Millionen glühender Anhänger und Millionen entschiedener Gegner. Aber wie stark der Feind in seinem Körper ist – da können alle nur rätseln. Bis heute hält sich die Regierung bedeckt, gegen welche Art von Krebs Chavez ankämpft. Vielleicht Prostata- vielleicht Darmkrebs. Und die Prognosen der Ärzte werden auch zurückgehalten.

    Im 16. Stock eines Bürohochhauses sitzt Datanálisis, ein Institut zur Meinungs- und Marktforschung. Jose Antonio Gil sieht noch keinen Stimmungsumschwung im Land. Weder einen Mitleidseffekt noch Zulauf für die Opposition:

    "Bei unserer letzten Befragung hat sich nichts verschoben. Rund 50 Prozent unterstützen immer noch den Präsidenten. Und auch die Opposition ist etwa gleich stark wie vorher."

    Trotzdem: Die Gegner des Präsidenten sehen nun ihre Chance. 2012 wird gewählt. Chavez hat seine Kandidatur schon angekündigt. Und die Opposition will sich im Februar per Vorwahl auf einen gemeinsamen Kandidaten verständigen. Antonio Ledezma ist einer der Bewerber. Der weitgehend machtlose Bürgermeister von Caracas hält die Zeit nun reif für einen Wechsel:

    "Er ist ein Präsident mit Einschränkungen, denn er muss sich dieser Krankheit erwehren. Aber wir kämpfen nicht nur gegen Chavez, sondern gegen das Regime, nicht gegen eine Person, sondern gegen ein autoritäres Modell. Wir kämpfen für eine starke Marktwirtschaft, das Recht auf Privatbesitz, Erziehung und Meinungsfreiheit ganz unabhängig davon ob Chavez Kandidat ist oder nicht."

    Sollte Chavez aber gar nicht mehr antreten können, hätte dessen sozialistische Bewegung ein Problem. Das glaubt der in Venezuela lehrende deutsche Politikwissenschaftler Friedrich Welsch. Denn im Chavismus sei beinah alles auf den Comandante ausgerichtet:

    "Natürlich ist das Charisma von Chavez das Bindemittel dieser Regierung und auch das Bindemittel zwischen Chavez und dem Volk. Wenn Chavez nicht mehr am Ruder sein sollte, weil er nicht kann, dann gibt es niemanden, der ihn ersetzen kann in seinem Bereich. Und das wissen die auch alle ganz genau."

    Auf der Plaza Bolivar werden die Anhänger von Hugo Chavez weiter jede Nachricht aus Kuba vor dem Fernseher verfolgen. In der Hoffnung, dass mithilfe Gottes und der Ärzte ihr Comandante zu alter Stärke zurückfindet.