Freitag, 19. April 2024

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Venezuela nach der Wahl
"Es wird eine Eskalation vor uns liegen"

Gewalt und Schwierigkeiten in der Versorgung werden Venezuela nach Ansicht von Günther Maihold von der Stiftung Wissenschaft und Politik weiter bestimmen. Es bestehe keine Chance darauf, dass Regierung und Opposition nach der Wahl einer verfassungsgebenden Versammlung zum einem Konsens finden würden, sagte Maihold im Dlf.

Günther Maihold im Gespräch mit Christine Heuer | 31.07.2017
    Demonstranten liefern sich in der venezolanischen Stadt Valencia gewalttätige Auseinandersetzungen mit der Polizei.
    Günther Maihold vermutet, dass es in Venezuela nach der Wahl zu "immer stärkeren Gewaltphänomenen" kommt. (imago / ZUMA press)
    Christine Heuer: Die Wahl in Venezuela ist vorbei, der sozialistische Präsident Maduro hat seine verfassungsgebende Versammlung durchgesetzt unter vielen Todesopfern, und nach der Wahl haben die USA und eine ganze Reihe mittel- und südamerikanischer Staaten bereits erklärt, sie würden das Ergebnis nicht anerkennen. Informationen dazu von Anne Herrberg.
    Am Telefon ist Günther Maihold, Lateinamerikaexperte und stellvertretender Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik. Guten Morgen, Herr Maihold!
    Günther Maihold: Guten Morgen!
    Gleichschaltung zwischen den Gewalten
    Heuer: Die Abstimmung ist vorbei, Maduro wertet sie als Erfolg. Ist Venezuela jetzt auf dem Weg in die Diktatur?
    Maihold: Zumindest in die Gleichschaltung zwischen den drei verschiedenen Gewalten. Die Exekutive und die Judikative waren bisher schon in seiner Hand, nun versucht er auch die Legislative zu kontrollieren, indem wohl als erster Schritt die bisher von der Opposition dominierte Nationalversammlung aufgelöst wird.
    Heuer: Wir haben das gerade gehört: Die USA, viele Staaten in Süd- und Mittelamerika sind nicht bereit, diese Wahl anzuerkennen, und die Opposition in Venezuela geht ja seit Wochen auf die Straßen. Kann Maduro isoliert werden?
    Maihold: Sicherlich ist das eine Strategie, die man jetzt anwenden wird, allerdings hat sie in der Vergangenheit nicht besonders gewirkt, weil er natürlich immer auf dieses Bild setzt, um eine innere Mobilisierung voranzukriegen. Er argumentiert ja immer, dass ein Putsch in der Mache sei, dass seitens der USA ein Umsturz vorbereitet wird. Das ist Teil seiner Legitimation und nur Wasser auf seine Mühlen.
    Gegengewicht der Opposition nicht hinreichend
    Heuer: Und am Ende ist es egal, ob er international isoliert ist und vielleicht sogar die Mehrheit der Venezolaner gegen ihn sind.
    Maihold: Bislang haben wir eine Situation, wo er noch Unterstützung im eigenen Lager hat, insbesondere auch bei den Staatsbediensteten, beim Militär, in den gesamten Massenorganisationen, die aufgebaut worden sind, und dass das Gegengewicht der Opposition nicht hinreichend ist, um dort eine Änderung in dem relativen Machtgefüge herzustellen, und dies eskaliert wahrscheinlich jetzt in immer stärkere Gewaltphänomene.
    Heuer: Was heißt das für Venezuela, wenn das Volk gespalten ist, wenn es Gewalt gibt? Droht da ein Bürgerkrieg?
    Maihold: Zumindest eine heftige gewaltmäßige Auseinandersetzung. Es gibt einfach gegenwärtig in dieser polarisierten Lage keine Chance darauf, dass Konsens gefunden wird, weder aus dem nationalen Kreis heraus noch durch internationale Vermittlung, und damit sind die Grenzen eines friedlichen Machtübergangs quasi nicht erkennbar, und es wird weiter eine Eskalation vor uns liegen.
    Schlechte Versorgungslage
    Heuer: Maduro ist ja knapp, aber immerhin er ist gewählt worden 2013 nach dem Tod seines Vorgängers Hugo Chávez, als dessen Ziehsohn er galt. Inzwischen ist Maduro sehr unbeliebt bei den Venezolanern. Wie hat er das geschafft, was hat er falsch gemacht?
    Maihold: Zunächst die Versorgungslage ist natürlich das Hauptproblem im Lande. Das gilt sowohl für Lebensmittel wie auch Medikamente. Die Bevölkerung muss stundenlang anstehen, um heranzukommen an frei verfügbare Waren. Hinzu kommt, dass er ein Verteilungssystem aufgebaut hat über Loyalitäten und lokale Komitees, über die er versucht, sich auch Unterstützung zu sichern. Das heißt, es gibt eine Fülle von Wegen innerhalb der Gesellschaft, die dann letztlich natürlich auch den Schwarzmarkt befördern, und die Bevölkerung hat große Schwierigkeiten, an das Lebensnotwendigste heranzukommen, sodass etwa 50.000 Leute pro Tag über die Grenze nach Kolumbien gehen, um dort sich die wichtigsten Sachen zu besorgen.
    Frustrierte Gesellschaft
    Heuer: Also die Lage der Menschen in ihrem Alltag ist schlecht. Jetzt kommen richtige Gewaltausbrüche hinzu. Wie muss man sich denn die Stimmung bei den Bürgern in Venezuela genau vorstellen?
    Maihold: Das ist zunächst eine Haltung in dem Sinne, das eigene Überleben, sei es nun mit der Versorgung von Gütern, aber auch angesichts der allgegenwärtigen Gewalt aufgrund der hohen Verteilung von Waffen, zu sichern, und auf der anderen Seite eine Resignation, weil man weder von der Regierung noch von der Opposition eigentlich eine Lösung erwarten kann, und damit ist eine Gesellschaft im Sinne einer Frustration geschaffen, die natürlich irgendwann sich Bahn brechen kann, aber gegenwärtig nicht in produktive Bahnen sich hineinbewegt.
    Heuer: Aber es ist noch eine Gesellschaft. Venezuela zerfällt noch nicht, oder?
    Maihold: Nein, es gibt keine Auflösungstendenzen, aber natürlich eine Fülle von Anfeindungen zwischen den gesellschaftlichen Gruppen. Das hat sich in den 18 Jahren der Regierung seit Chavez nicht geändert, und das ist eine der Hypotheken, die für die Zukunft des Landes in Rechnung zu stellen sind.
    "Oppositionsbündnis ist relativ instabil"
    Heuer: Die Opposition hat die Abstimmung verweigert, hat zum Boykott aufgerufen gestern und im Vorfeld natürlich. War das klug oder war das ein Fehler?
    Maihold: Das hat die Opposition schon einmal gemacht bei einer Wahl, und es wurde damals als Fehler interpretiert. Heute muss man sagen, angesichts dieses Wahlsystems, was gestern dort praktiziert wurde, nämlich einerseits über Massenorganisationen zu wählen und zum anderen über territoriale Listen, ist das natürlich für sie schon klar gewesen, dass das Ergebnis pro Maduro vorprogrammiert war, und dann noch teilzunehmen, war sicherlich nicht für sie annehmbar.
    Heuer: Auf wen setzt die Opposition ihre Hoffnungen? Der Protest ist ja das eine, aber es muss ja auch eine Perspektive in die Zukunft geben.
    Maihold:!! Nun, das Oppositionsbündnis ist eben relativ instabil, und die Führung ist auch unklar. Es gibt mehrere Persönlichkeiten, die dabei eine Rolle spielen. Teilweise sind sie aber auch von der Regierung ins Gefängnis gesetzt worden. Also es ist keine stabile und vor allem keine zukunftsfähige Opposition, sondern eine, die sich vor allem über ihren negativen Konsens konstituiert, indem sie eben gegen Maduro und dessen System argumentiert.
    Heuer: Und Ihr Ausblick auf die Zukunft? Venezuela, das erdölreichste Land der Welt – wird das jetzt weiter runtergewirtschaftet kurz vorm Schluss, Herr Maihold?
    Maihold:!! Das ist die Perspektive, die leider zu erwarten ist. Gewalt und Schwierigkeiten in der Versorgung werden weiterhin das Bild bestimmen.
    Heuer: Günther Maihold, der stellvertretende Direktor und Lateinamerikaexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik. Herr Maihold, haben Sie vielen Dank für das Gespräch!
    Maihold:!! Danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.