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Venezuela
Verschwörung oder Massenaufstand?

Seit mehr als einem Monat gehen Venezolaner gegen die sozialistische Regierung auf die Straße. Bei den Protesten sind mindestens 30 Menschen umgekommen. Dem angeschlagenen Präsidenten Nicolas Maduro gelingt es bisher nicht, die Lage im Land zu beruhigen.

Von Martin Polansky | 22.03.2014
    Ein Mitglied der venezolanischen Nationalpolizei schießt einen Tränengaskanister mit einem Gewehr ab, um regierungskritische Demonstranten zu vertreiben.
    Die Gewalt zwischen Regierungsgegner und Sicherheitskräften in Venezuela reißt nicht ab: Erneut wurden zwei Menschen getötet. (dpa picture alliance / Miguel Gutierrez)
    "En contacto con Maduro" - im Kontakt mit Maduro. Der angeschlagene venezolanische Präsident hat jetzt eine eigene Fernsehsendung. Auf den Straßen des Landes protestieren seit mehr als einem Monat Regierungsgegner, die Polizei knüppelt und räumt Barrikaden - und Nicolas Maduro erklärt, worum es seiner Ansicht nach geht:
    "In Venezuela gibt es zwei Pole. Den der Revolution und den der Contra-Revolution. Es geht um unser anti-imperialistisches Projekt, das sozialistische oder um die Restauration des neoliberalen Kapitalismus, der vollständig den US-amerikanischen Eliten untergeordnet ist und der Venezuela wieder der US-Kontrolle unterwerfen will."
    Maduro betont gerne, dass die Proteste in seinem Land eine US-Verschwörung seien. Und da passt es für die Sozialisten ins Bild, dass die führende venezolanische Oppositionspolitikerin Maria Corina Machado in diesen Tagen nach Washington gefahren ist. Gesprächstermine, Pressekonferenzen, Werben für den Protest:
    "Die Regierung übt eine brutale Repression aus. Sie wirkt dabei zunehmend verzweifelt und geschwächt. Wir müssen diese tiefe Krise in Venezuela nach den Regeln der Verfassung lösen. Die Verletzung der Menschenrechte hat ein Niveau erreicht, dass wir nicht ignorieren dürfen."
    USA: Terror gegen eigene Bevölkerung einstellen
    Klar ist: Die venezolanische Protestbewegung hat viel Unterstützung in den USA - von dort lebenden Venezolanern, von Menschenrechtsgruppen und auch der Politik. Aber die US-Regierung hält sich bisher eher zurück. Sanktionen gegen Venezuelas Führung will sie zwar nicht ausschließen, hat sie aber auch noch nicht verhängt - trotz entsprechenden Drucks aus dem US-Senat.
    Außenminister John Kerry hat in den letzten Tagen Maduros Regierung aber mehrfach aufgefordert, die Menschenrechte zu achten und den Terror gegen die Bevölkerung einzustellen, wie er sagte. Notwendig sei ein Dialog zwischen Regierung und Opposition:
    "Ich glaube, zur Zeit müssen wir am ehesten auf das Engagement der Nachbarländer setzen. Sie sind besorgt über die Entwicklung und können vielleicht einen Dialog in Gang bringen, der nach vorne führt."
    Aber die Länder der Region sind gespalten. Das wurde gestern auch bei einer Sitzung der Organisation Amerikanischer Staaten in Washington deutlich. Während Panama der Oppositionspolitikerin Machado vorübergehenden seinen Platz überließ, um sie zu Wort kommen zu lassen, sorgten Venezuelas Verbündete wie Nicaragua dafür, dass die Sitzung am Ende nicht-öffentlich abgehalten wurde. Machado sprach so hinter verschlossenen Türen.
    Ziel: Dialog zwischen Regierung und Opposition aufbauen
    Immerhin: Das südamerikanische Bündnis UNASUR wird in der kommenden Woche eine Kommission nach Venezuela schicken, die einen Dialog zwischen Regierung und Opposition aufbauen soll.
    Jeden Tag Proteste. Und der Staat hat die Zügel zuletzt noch einmal angezogen – ein Oppositionsbürgermeister wurde festgenommen, ein anderer zu gut zehn Monaten Haft verurteilt. Vorwurf: Sie hätten gewalttätige Proteste zugelassen und damit ihre Amtspflichten verletzt. Die Folge: Wieder gehen Menschen auf die Straße:
    "Die Festnahme ist vollkommen illegal. Sie müssen unseren Bürgermeister wieder freilassen."
    "Wir sind absolut nicht einverstanden. Wir lassen uns keinen neuen Bürgermeister vorsetzen. Wir erklären den zivilen Widerstand."
    Seit einem Monat bereits sitzt der führende Oppositionspolitiker Leopoldo Lopez im Gefängnis – wegen angeblicher Anstachelung zur Gewalt. Und auch Maria Corina Machado könnte dieses Schicksal drohen. Die Sozialisten wollen die Abgeordnete wegen Landesverrats und Terrorismus vor Gericht bringen – die Immunität muss allerdings noch aufgehoben werden. Machado gibt sich gelassen:
    "Diese Bürgerbewegung hat Millionen Anführer. Wenn die Regierung glaubt, einzelne attackieren zu können, irrt sie sich. Andere werden nachrücken."
    Ausweg aus der Krise ist nicht in Sicht
    Maduros Sozialisten stemmen sich nach 15 Jahren an der Macht gegen den Niedergang, die Wirtschaft des ölreichen Landes liegt am Boden, es herrscht akuter Devisenmangel. Unübersehbar ist aber auch: Die Opposition hat Unterstützung vor allem in der Mittelschicht. Das reicht aber nicht, um einen Machtwechsel herbeizuführen. Die Regale werden zwar immer leerer, aber die Basis der Chavisten hat Angst, alles zu verlieren, falls die Opposition übernehmen sollte. Die Sozialisten haben viel Geld aus den Erdöleinnahmen des Landes in die Armenviertel geleitet, öffentliche Jobs geschaffen und so nebenbei auch eine Art Klientelsystem aufgebaut. Geld gegen Gefolgschaft. Die Opposition habe es versäumt, dem etwas entgegenzusetzen, sagt die regierungskritische Soziologin Colette Capriles:
    "Es gibt eine breite Unzufriedenheit in Venezuela - unabhängig von den politischen Präferenzen. Aber es fehlt das Vertrauen in eine Alternative. Die Regierung ist fürchterlich. Aber die Opposition hat bis heute kein gesellschaftliches Angebot gemacht, dass die Leute attraktiv genug finden, um den Chavismus zu ersetzen."
    Mehr als einen Monat Proteste in Venezuela. Mindestens 30 Menschen sind bisher umgekommen, das Land ist tief zerrissen. Aber ein Ausweg aus der Krise ist bisher nicht in Sicht.