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Verabschiedung der von den USA und Großbritannien eingebrachten Irak-Resolution im UN-Sicherheitsrat

23.05.2003
    Wiese: Am Telefon begrüße ich jetzt den stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Wolfgang Schäuble. Guten Morgen!

    Schäuble: Guten Morgen Herr Wiese.

    Wiese: Herr Schäuble, wie bewerten Sie diese Resolution? Sind damit nicht die Kriegsgegner noch nachträglich eingeknickt?

    Schäuble: Ich würde jetzt nicht von Einknicken sprechen, sondern es ist gut, dass man eine gemeinsame Haltung gefunden hat, und es ist auch eine Resolution, die eine gute Grundlage dafür schafft, dass im Zusammenwirken derjenigen, die die tatsächliche Verantwortung jetzt im Irak haben, und der Vereinten Nationen die Voraussetzungen für einen politischen Wiederaufbau, für einen wirtschaftlichen Wiederaufbau und für eine friedlichere Entwicklung in der ganzen Region – das ist ja das entscheidende Ziel – verbessert werden. Insofern glaube ich ist das ein guter Tag. Er zeigt im Übrigen natürlich, was in früheren Zeiten falsch gemacht worden ist. Hätte man sich in früheren Zeiten mehr um eine gemeinsame Haltung der Vereinten Nationen bemüht, wäre es zu dieser schweren Spaltung und Schädigung nicht gekommen. Aber damals haben eben Regierungen wie die deutsche gesagt, wir beteiligen uns auf keinen Fall, und so konnte man nicht zu einer Einigung kommen. Jetzt ist man vernünftiger gewesen; das ist zu begrüßen.

    Wiese: Aber kann man wirklich behaupten, die Vereinten Nationen hätten nun die führende Rolle beim Wiederaufbau des Irak inne? Ist es nicht eher tatsächlich so, dass die Besatzungsmächte nach wie vor diese Rolle beanspruchen, wenn es in der Resolution heißt, "die UNO dürfe einen Gesandten entsenden und der dürfe bei der Bildung der irakischen Übergangsregierung mitarbeiten"? Das ist ja nicht eine führende Rolle.

    Schäuble: Nein. Ich sagte ja, es ist sicherlich so, dass im Irak jetzt diejenigen, die das Regime von Saddam Hussein beseitigt haben, tatsächlich die Verantwortung haben. Das kann ja auch gar nicht anders sein. Die UNO selbst hat ja auch gar nicht die Machtmittel, um dafür zu sorgen, dass im Irak Frieden und Sicherheit herrscht. Die Lage ist ja prekär genug und es sind ja viele Soldaten notwendig, die dafür sorgen müssen, dass die Plünderungen aufgehört haben, dass überhaupt die Menschen wieder leben können, die Infrastruktur aufgebaut wird. Das kann ja nicht einfach nur der Sicherheitsrat in New York beschließen, sondern das muss ja tatsächlich gemacht werden. Die Verantwortung haben diejenigen, die im Irak sind. Das ist völlig klar. Das wird aber, wie das die Vereinigten Staaten von Amerika immer gesagt haben, so rasch wie möglich in die Hände des irakischen Volks, einer demokratisch gewählten Regierung selbst gelegt werden. Das ist ja das entscheidende Ziel. Auf diesem Weg des Übergangs spielen die Vereinten Nationen eine wichtige Rolle. Das ist doch genau der Punkt: Je mehr zwischen den entscheidenden Ländern und den Vereinten Nationen Übereinstimmung herrscht, wenn man zu gemeinsamen Positionen kommt, dann kann das, was alle wünschen, auch erreicht werden, nämlich dass die entscheidende Rolle die Vereinten Nationen spielen. Dazu ist aber die Einigung zwischen den westlichen Partnern die Voraussetzung. Wenn man sich so streitet, wie das in den letzten Monaten der Fall gewesen ist, macht man letzten Endes auch die Vereinten Nationen entscheidungsunfähig.

    Wiese: Die Zeitfrage, Herr Schäuble, ist ja ein entscheidender Faktor in dieser ganzen Angelegenheit. Es heißt in der Resolution, die Übergangsregierung – und das kann man ja sagen, ist eine Übergangsregierung von amerikanischen Gnaden - solle so lange im Amt bleiben, bis eine neue, international anerkannte irakische Regierung die Verantwortung übernommen habe. Aber da wird kein Zeitpunkt genannt. Das kann doch nur heißen, dass die Übergangsregierung und damit auch die Amerikaner die Macht bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag innehaben?

    Schäuble: Ich glaube gar nicht, dass dies das amerikanische Interesse ist. Ich glaube es ist ganz umgekehrt. Ich glaube alle müssen ein Interesse daran haben, dass diejenigen, die jetzt tatsächlich nur für Sicherheit, für Demokratie und für Aufbau im Irak sorgen können, jedenfalls so lange bleiben, bis das sichergestellt ist. Die Amerikaner wie alle anderen haben das größte Interesse, dass das so schnell wie möglich geht, aber es muss eben funktionieren, nicht dass wir dann wieder eine Situation haben, wo die einzelnen Gruppen der Bevölkerung übereinander herfallen, wo wieder Terror herrscht, wo wieder hundert Tausende von Menschen umgebracht werden, wie es in den vergangenen Jahren der Fall gewesen ist. Das ist doch der entscheidende Punkt. Deswegen ist es ja notwendig, dass diejenigen, die das Regime von Saddam Hussein beseitigt haben, dieses verbrecherische Regime, dafür sorgen, dass sich die schlimmen Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen, sondern dass jetzt die Voraussetzungen für Frieden, Stabilität und wirtschaftlichen Aufbau geschaffen werden. Das geht nicht über Nacht. Das geht auch nicht nur durch Beratungen von Diplomaten in New York, sondern das geht letzten Endes durch den Einsatz derjenigen, die vor Ort sind und die eine gefährliche Aufgabe, eine schwierige Aufgabe zu erfüllen haben und die dies so rasch wie möglich in die Hände einer vom irakischen Volk selbst gewählten Regierung legen müssen. Aber man weiß ja, wie schwierig die Voraussetzungen für stabile Demokratie nach einer Diktatur sind und in diesem Land ganz besonders, wo ja bisher drei unterschiedliche Bevölkerungsgruppen nicht sehr friedlich miteinander zusammengelebt haben.

    Wiese: Holen die USA nicht trotzdem mit dieser Resolution nachträglich nach, was sie vor dem Krieg nicht bekommen konnten, nämlich die Legitimation eines Angriffskrieges durch die UNO?

    Schäuble: Es ging nicht um einen Angriffskrieg, sondern es ging in der Tat darum, dass es viel besser gewesen wäre, wenn man rechtzeitig und von Anfang an in den Vereinten Nationen einig gewesen wäre, wenn man gemeinsam gehandelt hätte. Ich will daran erinnern, dass es ja nicht nur die USA gewesen sind. Es war zuerst die deutsche Regierung die gesagt hat, was immer die Vereinten Nationen beschließen, wir werden uns daran nicht beteiligen. Dann ist auch gesagt worden, was immer für eine Resolution vorgelegt wird, wir werden dagegen sein. Genauso hat man den Fehler gemacht, dass die Vereinten Nationen nicht handlungsfähig gewesen sind. Die sind ja nur handlungsfähig, wenn die wesentlichen Mitglieder, vor allen die ständigen Mitglieder im Weltsicherheitsrat zu einer gemeinsamen Position kommen. Da muss man sich zusammenraufen. Das war in den zurückliegenden Monaten nicht der Fall.

    Wiese: Ja und deshalb haben die Amerikaner auf eigene Rechnung gehandelt?

    Schäuble: Irgendetwas in der Welt muss ja geschehen. Das ist ja das Furchtbare. Es ist besser, man macht es in den Vereinten Nationen. Deswegen ist es richtig, dass man aus den Fehlern, die nicht nur von einer Seite in der Vergangenheit gemacht worden sind, jetzt gelernt hat, dass man sich jetzt zusammengerauft hat. Das ist schon der richtige Ansatz. In diese Richtung muss man weiterarbeiten.

    Wiese: Herr Schäuble, wenn die Amerikaner aber letzten Endes doch auf eigene Rechnung gehandelt haben, welche Rolle soll dann Ihrer Meinung nach künftig dem Völkerrecht noch zukommen? Wer soll über Krieg und Frieden entscheiden? Wer soll das Gewaltmonopol innehaben, allein die Supermacht USA mit ihren Gewehren, die Macht aus den Gewehrläufen, oder die Völkergemeinschaft?

    Schäuble: Nein, darum geht es nicht. Wissen Sie, ich möchte schon gar nicht, dass man um Krieg und Frieden entscheiden muss, sondern ich möchte, dass der Frieden gesichert ist. Wir haben aber die Situation in der Welt: Nicht nur der 11. September in New York, sondern das Regime von Saddam Hussein hat ja immer wieder Kriege angefangen, hat hundert Tausende von Menschen im eigenen Land umgebracht. Jetzt haben wir eine fürchterlich dramatische Lage, eine Katastrophe in Zentralafrika, in Ruanda, Burundi, im Kongo, wo jeden Tag sehr viel mehr Menschen als im Krieg umgebracht werden, wo ein paar hundert Blauhelmtruppen der Vereinten Nationen nicht im Entferntesten in der Lage sind, das Gemetzel zu verhindern. Das heißt wir müssen den Frieden sicherer machen. Das erfordert möglichst handlungsfähige Vereinte Nationen, aber es erfordert auch die entsprechenden politischen, wirtschaftlichen und militärischen Mittel, um sicherzustellen, dass nicht solche Verbrechen ständig und immer mehr stattfinden. Das ist die eigentliche Frage. Dazu brauchen wir handlungsfähige Vereinte Nationen, aber wir brauchen auch eine starke westliche Partnerschaft und wir brauchen die Führungsmacht der Vereinigten Staaten von Amerika. Die Lage im Irak ist ja heute für alle Beteiligten in jedem Fall sehr viel besser, als sie gewesen ist solange Saddam Hussein an der Macht war.

    Wiese: Wie sehen Sie, Herr Schäuble, vor dem Hintergrund dieser Resolution nun das künftige Verhältnis zwischen den USA und speziell Deutschland?

    Schäuble: Ich hoffe, dass es wieder besser wird. Man arbeitet daran. Es sind schwere Fehler gemacht worden. Das Verhältnis ist beschädigt, gar keine Frage. Es ist nicht klug, wenn der deutsche Bundeskanzler dem amerikanischen Präsidenten ein aufs andere Mal unterstellt, er habe eine Neigung zu Abenteuern, und was dergleichen mehr gemacht worden ist. Das waren alles falsche Dinge. Das ist aber Vergangenheit und jetzt muss daran gearbeitet werden. Wir sind an einer engen Zusammenarbeit zwischen den Europäern und den Amerikanern, zwischen Deutschland und Amerika interessiert. Wir haben ein großes, fast existenzielles Interesse daran. Wir kommen auch in Europa nicht voran, wenn wir nicht gemeinsam mit den Amerikanern an einem Strang ziehen, und wir haben keine Chance, die Welt friedlicher zu machen, wenn wir das nicht gemeinsam tun. Da brauchen wir die Amerikaner, aber die Amerikaner brauchen natürlich auch uns Europäer und wir Europäer müssen einiger werden und wir müssen größere politische, auch militärische Fähigkeiten haben. Im Übrigen müssen wir auch wirtschaftlich besser werden, denn eins der großen Probleme im atlantischen Verhältnis ist heute, dass insbesondere wegen der katastrophalen Lage in Deutschland die wirtschaftliche Entwicklung in Europa so schwach ist.

    Wiese: An dieser Einigung, gerade auch an der militärischen Einigung arbeiten ja zum Beispiel Deutschland und Frankreich. Sehen Sie das gegen die Amerikaner gerichtet?

    Schäuble: Wenn es gegen die Amerikaner gerichtet wäre, wäre es der falsche Weg, wird es auch nicht zur Einigung führen. Ich hoffe aber, dass man inzwischen eingesehen hat, dass man es eben nicht gegen die Amerikaner richten darf, sondern dass man die NATO stärken muss. Deswegen sage ich ja, ich bin zuversichtlich, dass man aus den Fehlern, die man begangen hat, lernt und dass man aus Schaden klug wird und dass man jetzt in die richtige Richtung arbeitet. Wir fordern das und wir unterstützen das auch, wo immer wir können. Dazu muss man auch den Amerikanern sagen, sie müssen ihrerseits alles tun, um das Verhältnis auch mit Frankreich wieder in Ordnung zu bringen. Da sind von beiden Seiten Fehler gemacht worden. Wir haben aber ein Interesse daran, dass die Zusammenarbeit zwischen allen Teilen der NATO besser wird und nicht, dass man sich gegenseitig wie feindliche Mächte behandelt.

    Wiese: Das war in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Wolfgang Schäuble. – Vielen Dank Herr Schäuble und auf Wiederhören!

    Link: Interview als RealAudio