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"Verantwortung ein großes Stück auf die Schüler übertragen"

Hans-Otto Carmesin ist frischgekürter "bester Lehrer für Naturwissenschaften". Sein Geheimnis: Die Schüler dürfen eigenen Ideen mit in die Stunde einbringen - und tragen dadurch selber zu einem besseren Unterricht bei. Heraus kommt: mehr Spaß und Erfolg auf beiden Seiten.

Hans-Otto Carmesin im Gespräch mit Manfred Götzke | 07.12.2010
    Manfred Götzke: Wenn sich heute jemand ganz besonders freuen kann, dann sind es die Mathe-, Physik- und Chemielehrer. Denn in Mathematik und den Naturwissenschaften sind die deutschen Schüler jetzt besser als der OECD-Durchschnitt, bei der ersten PISA-Studie lagen sie noch drunter. Einer, der sich für dieses gute Ergebnis sicher auch ein bisschen selbst auf die Schultern klopfen kann, ist Hans-Otto Carmesin. Er unterrichtet Physik, Mathematik und Informatik, und er wurde letzte Woche von der Uni Oldenburg und der EWE Stiftung zum besten Lehrer für Naturwissenschaften gekürt (Klaus von Klitzing Preis). Herr Carmesin, haben Sie sich über die guten Ergebnisse gerade im naturwissenschaftlichen Bereich gefreut heute?

    Hans-Otto Carmesin: Ja, natürlich. Also da ist ja viel passiert in den letzten Jahren, und ich freue mich, dass das jetzt auch in diesen Zahlen zum Ausdruck kommt. Ich denke schon, dass die ganzen PISA-Studien aussagekräftig sind und im Schulbereich insgesamt eine große Aktivität ausgelöst haben. Und da erwartet man natürlich auch, dass sich was verbessert unterm Strich.

    Götzke: Was haben Sie denn getan, wie haben Sie denn Unterricht verändert in den vergangenen zehn Jahren, um auch ein bisschen für dieses gute Ergebnis zu sorgen?

    Carmesin: Es gab alle möglichen Arbeitsgruppen an allen Schulen, also zumindest bei uns, und es gab Reisen nach Finnland, zu den Top-Ländern, und man hat überall Informationen gesammelt und die ausgewertet, vieles ließ sich ja so nicht übertragen, aber man kommt dann doch auf die Kernbereiche, auf die es ankommt. Und das ist natürlich einmal, dass die Schüler individuell angesprochen werden, dass sie mit lebensnahen Kontexten Anknüpfungspunkte finden. Wichtig ist, dass die Schüler Gelegenheiten bekommen, auch selber aktiv zu werden, auch altersgemäß vielleicht noch spielerisch heranzugehen. Und das muss man mit den Schülern gemeinsam durchziehen, dann kommt man voran.

    Götzke: Ist denn Ihr persönlicher Unterricht ein ganz anderer, als er vor zehn Jahren war?

    Carmesin: Ich denke, es hat sich auf jeden Fall was getan, es hat sich was geändert, und zwar genau in die Richtung, dass man noch offener mit den Schülern arbeitet. Man hat sein Konzept natürlich für die Stunde, und damit fängt man auch an. Das Konzept ist aber schon so angelegt, dass es mehrere Weichenstellungen gibt, denn es wichtig, dass die Schüler in dem Prozess ernst genommen werden, dass sie also jetzt auch Ideen einbringen können, die dann ernst genommen werden, die untersucht werden und die möglicherweise auch einen anderen Verlauf zulassen, sodass die Schüler dann selbst sagen können, ja, ich hab das jetzt entdeckt, das war meine Idee und es war nicht das Programm, das der Lehrer so vorgegeben hatte, das einfach abgespult wurde. Ich habe diese Freiräume zunehmend entwickelt, und ich habe die Erfahrung gemacht, das geht sehr gut. Die Schüler werden kompetenter dabei, und man kann sich dann auch, wenn die Schüler es eine Weile gemacht haben, auf die Schüler verlassen. Das heißt, man macht auch die Erfahrung, dass wenn man die Schüler auf diese sagen wir mal verantwortliche, eigenständige Lernmethode vorbereitet, dass die Schüler den Unterricht dann auch effektiver mittragen.

    Götzke: Und dafür sind Sie ja auch prämiert worden. Sie haben gerade das Stichwort, den Stichpunkt individuelle Förderung gebracht – viele andere Lehrer beschweren sich, ja, das sind gute Konzepte, aber wir können die gar nicht umsetzen, weil das Geld und die Zeit fehlt. Wie schaffen Sie das in Ihrem Alltag?

    Carmesin: Zunächst mal die Konzepte: Da würde ich sagen, die hängen nicht von Geld und Zeit ab. Also das ist einfach so, dass man sich selber als Lehrer dann schon entscheidet, wähle ich dieses Konzept oder jenes, es ist einfach eine Weichenstellung, also jedes Konzept kostet seine Zeit. Und die Frage ist, was kommt unterm Strich dabei raus. Und ich habe eben die Erfahrung gemacht, dass gerade in den Naturwissenschaften, wo ja Dinge entdeckt werden können, wo also die Erkenntnisse zum Beispiel am Experiment gewonnen werden, oder in Mathematik werden sie durch Nachdenken, durch Überlegen gewonnen, da kann man die Verantwortung ein großes Stück auf die Schüler übertragen, und die Schüler machen das dann auch gerne. Und da, wenn das so läuft, dann ist ja unterm Strich ein großer Teil der Erkenntnisgewinnung durch die Schüler getragen, und dann ist es nicht notwendig mit einer Mehrarbeit verbunden und schon gar nicht damit, dass es mehr Geld kostet, sondern es ist einfach ein anderes Verfahren, bei dem die Schüler in den Prozess der Erkenntnisgewinnung verantwortlicher eingebracht werden.

    Götzke: Seit PISA wird ja ganz allgemein sehr viel verglichen und getestet an deutschen Schulen. Spornen Sie diese Vergleiche an oder finden Sie eher, dass sie den Unterricht auch mal behindern?

    Carmesin: Insgesamt finde ich es einen großen Fortschritt, dass wir jetzt internationale Vergleiche haben, denn die begleiten ja den Verbesserungsprozess an den Schulen. Das hebt die ganze Arbeit an den Schulen auf ein neues Niveau, da ist praktisch ein neues Messinstrument da, ein neues Wahrnehmungsinstrument, und das halte ich für sehr wertvoll.

    Götzke: Hans-Otto Carmesin, frisch gekürter bester Lehrer für Naturwissenschaften, bei uns, bei "Campus & Karriere". Vielen Dank!