Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


"Verantwortung tragen, glaube ich, alle Beteiligten"

Für Herbert Schmalstieg, über 30 Jahre Oberbürgermeister von Hannover, ist es unerträglich, wie die Verantwortung für das Unglück bei der Loveparade hin- und hergeschoben wird. Eine Stadt von der Größenordnung Duisburgs müsse die entsprechenden Fachleute, um ein Sicherheitskonzept richtig beurteilen zu können, unterstreicht der SPD-Politiker.

Herbert Schmalstieg im Gespräch mit Silvia Engels | 29.07.2010
    Silvia Engels: Nach den verheerenden Folgen der Loveparade vom Wochenende lehnt der Bürgermeister der Stadt Duisburg Sauerland einen Rücktritt weiterhin ab. In der "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung" entschuldigt sich der CDU-Politiker heute für Fehlinformationen unmittelbar nach der Katastrophe, in der "Bild"-Zeitung betonte er aber, er persönlich habe die Loveparade gar nicht genehmigt. Gestern Abend formierte sich in Duisburg ein erster Trauerzug.
    Nach wie vor weisen sich also Veranstalter, Politik und Polizei die Verantwortung wechselseitig zu. Am Telefon begrüße ich Herbert Schmalstieg, SPD. Über 30 Jahre lang war er Oberbürgermeister von Hannover. Guten Morgen, Herr Schmalstieg!

    Herbert Schmalstieg: Guten Morgen, Frau Engels!

    Engels: Sie kennen natürlich die Einzelheiten und die Untersuchungen des Falls nicht, aber hätten Sie sich grundsätzlich in Deutschland nach einer solchen Katastrophe ein solches wechselseitiges Zuschieben von Verantwortung vorgestellt?

    Schmalstieg: Ich finde es wirklich schlimm nach einer solchen tragischen Situation, nach 21 Toten, dass man hin und her schiebt die Verantwortung. – Verantwortung tragen, glaube ich, alle Beteiligten.

    Engels: Sie selbst haben ja als Oberbürgermeister von Hannover jahrelang auch die Gesamtverantwortung für Großveranstaltungen getragen: Fußballspiele, Open-Air-Veranstaltungen, Kirchentage … Wie bereitet man als Oberbürgermeister so etwas vor, wie sorgt man für Kontrolle?

    Schmalstieg: Also, man lässt sich zunächst beraten. Und wenn die Fachleute, der Leiter der Feuerwehr oder die Polizei oder die Bauaufsicht sagt, so etwas kann man nicht genehmigen, wäre für mich die Sache klar gewesen, ich hätte so etwas nie genehmigt, weil man sich auf die Fachleute verlassen muss. Denn ein Oberbürgermeister kann nicht alles wissen.

    Engels: Hatten Sie denn je mal eine Situation, wo Sie eine Großveranstaltung aus Sicherheitsgründen nicht genehmigen konnten?

    Schmalstieg: Also, wir haben immer sehr, sehr starke Auflagen erteilt. Wir haben eine Loveparade in Hannover auch gehabt, wir haben große Demonstrationen gehabt, wir haben jedes Jahr die großen internationalen Messen. Wir haben immer dafür Sorge getragen, dass alle Beteiligten an einem Tisch saßen und dass es dann ein gemeinsames Konzept gab, das alle getragen haben. Und ich finde, wenn – wie man es offensichtlich dort gemacht hat, ich kann das natürlich nicht beurteilen –, wenn es dort paar Leute gibt, die Bedenken haben, kann man nicht durch Weisung diese Bedenken ausräumen. Man kann durch Weisung entscheiden, ob ein Kulturzentrum am Großen Markt eine Beihilfe bekommt oder nicht, wenn da der Fachdezernent anderer Auffassung ist.

    Engels: Nun kennen Sie allerdings auch als Oberbürgermeister so etwas wie politischen und medialen Druck. Es gibt ja Veranstaltungen, die sollen stattfinden, die dürfen nicht scheitern. Ist das etwas, was doch stärker dann auch auf so eine Entscheidung einwirkt?

    Schmalstieg: Nein, das darf auf eine Entscheidung nicht einwirken. Wir haben es bei uns so gehandhabt: Natürlich ist der Oberbürgermeister der oberste Katastrophenschützer in einer kreisfreien Stadt, aber bei uns war es so, dass natürlich der Leiter unserer Berufsfeuerwehr die ganzen Dinge gemacht hat. Man wurde informiert und ich hätte einen Teufel getan, in irgendeiner Weise auf ihn einzuwirken, etwas anderes zu entscheiden.

    Engels: Der Oberbürgermeister von Duisburg, Adolf Sauerland, argumentiert heute, er persönlich habe die Genehmigung für die Loveparade gar nicht unterzeichnet und könne persönliche Verantwortung nicht sehen, denn er habe keine ungerechtfertigten Eingriffe in den Prozess gegeben, Zitat Ende. Können Sie die Argumentation teilen?

    Schmalstieg: Also, ich kann das natürlich nicht beurteilen, ob das so ist. Wenn das so ist, mag er recht haben; auf der anderen Seite ist es aber so, der Oberbürgermeister trägt immer die politische Verantwortung, für wenn irgendetwas in seiner Stadt nicht funktioniert. Und ich glaube, dass bei einer solch wichtigen Entscheidung, wo es darum ging, auch einer Stadt, die wirklich schwer gebeutelt ist, ein ich sag mal jetzt in Anführungsstrichen "ein Glanzlicht" aufzusetzen, dass man sich dort sehr stark informieren lässt. Und wenn man der Meinung ist, dass man so etwas nicht machen kann, dann wird man das auch schon verhindern.

    Engels: Das heißt, politische Verantwortung übernehmen hieße in einem solchen Fall jetzt auch zurückzutreten?

    Schmalstieg: Also, das muss Herr Sauerland selbst entscheiden. Aber ich sag mal so und ich will damit auch gar nicht von außen meine Kommentare abgeben, aber ich könnte glaube ich kein Auge mehr zutun, wenn in meiner Stadt so etwas passiert wäre.

    Engels: Dann schauen wir auf die politischen Folgen, die jetzt möglicherweise auch abgeleitet werden. Wir haben es eben zu Beginn dieser Stunde gehört: Hannelore Kraft, die Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen, will die Verantwortung für solche Großveranstaltungen grundsätzlich künftig von den Kommunen, von den Städten an das Innenministerium des Landes geben. Eine gute Idee?

    Schmalstieg: Also, ich muss diese Idee wirklich zunächst mal sezieren. Denn eine Halbmillionenstadt wie Duisburg muss die Fachleute haben, die das vor Ort bewerten und beurteilen und entscheiden können. Ob ein Beamter im Innenministerium oder bei der Bezirksregierung eine bessere Information, einen besseren Erfahrungsschatz hat, das will ich mal dahingestellt sein lassen. Dass man sich eng abstimmen muss, dass man Lehren ziehen muss aus dieser tragischen Ereignisse in Duisburg, und dass sich die Länderinnenminister oder die Landesregierung mit den Kommunen über diese Frage einer Arbeitsteilung, einer Zusammenarbeit auseinandersetzen müssen, das ist auf der einen Seite für mich auch klar. Auf der anderen Seite gibt es auch etwas, was kommunale Selbstverwaltung ist, und das muss vor Ort entschieden werden.

    Engels: Das heißt, die grundsätzliche Abgabe von Kompetenzen der Städte bei solchen Großveranstaltungen lehnen Sie ab?

    Schmalstieg: Also, es geht nicht um die Abgabe von Kompetenzen, sondern es geht vor allen Dingen darum, dass man kooperiert, dass man sich zusammensetzt. Ich sage es noch einmal: Eine Stadt wie Duisburg hat oder muss eine Kompetenz haben, beurteilen zu können, wie sieht die Lage auf einem Veranstaltungsgelände aus? Und wenn man als Außenstehender – hinterher ist man immer klüger –, wenn man hinterher diese Pläne gesehen hat und dieses Veranstaltungsgelände gesehen hat, diesen Tunnel als einzigen Zu- und Ausgang gesehen hat, hätte eine solche Veranstaltung dort niemals genehmig werden dürfen.

    Engels: Auf der andern …

    Schmalstieg: … das kann, muss ein Oberbürgermeister, das muss ein, der Leiter einer Feuerwehr, das muss die Polizei vor Ort sehen und auch entscheiden. Und natürlich trägt der Veranstalter sicherlich die Hauptlast und muss auch die entsprechenden Sicherheitsbedingungen einhalten, die er in einem Konzept vorgelegt hat. Aber ich glaube, man sollte mit voreiligen Schnellschüssen jetzt doch etwas zurückhaltend sein. Aber Lehren müssen gezogen sein und Beratungen haben auch zu erfolgen und vielleicht gibt es einen vernünftigen Kompromiss, wo Fachleute aus den Bezirksregierungen, dort wo es sie gibt, oder aus den Innenministerien gemeinsam mit den großen Städten darüber beraten und dann auch zu einem guten Ergebnis kommen.

    Engels: Aber wenn jetzt ein Oberbürgermeister wie möglicherweise in Duisburg vielleicht – wir wissen es nicht – falsch entscheidet, dann kann es doch nicht sein, dass keine weitere Instanz dort eingreifen kann, um Schlimmstes zu verhindern?

    Schmalstieg: Also, wenn ein … Es könnte ja auch genau so gut sein, dass auch ein Beamter im Ministerium falsch entscheidet. Wo wäre dann die nächste Instanz? Nein, was man machen muss – ich kann das ja auch nur aus den Medienberichten zur Kenntnis nehmen –: Wenn es dort Fachleute gegeben hat, die Bedenken haben, dann muss es möglich sein, dass diese Fachleute, ohne dass sie hinterher Druck oder Repressalien ausgesetzt sind, sich auch an die nächste Instanz an die Kommunalaufsicht wenden können und sagen können, hier geschieht etwas, was unter Umständen eine Gefahr bringen kann, und dass man dann vonseiten der Kommunalaufsicht auf eine Stadt einwirkt. Da gibt es mit Sicherheit Regeln, die man finden kann, um bei Großveranstaltungen auch ein gemeinsames Ziel zu haben, nämlich dass so etwas nie wieder passiert, was in Duisburg passiert ist.

    Engels: Das heißt, dass dann die Polizei, die Feuerwehr bei solchen Bedenken auch die nächsthöhere Instanz, sei es das Innenministerium, sei es den Regierungsbezirk ansprechen kann?

    Schmalstieg: Aber sicher muss das der Fall sein. Da kann man nicht durch Weisung-Erteilen oder würde sagen, das entscheide ich, sondern wenn hier die Fachleute sagen, man kann nicht Ein- und Ausgang, man muss mehrere Ausgänge haben, man muss mehr Ordner dort einsetzen, dass dann gesagt wird, das ist nicht der Fall. Ich weiß nicht, ob das so in Duisburg der Fall war, aber hier muss es Regelungen geben, die dann die Fachleute, die praktisch vor Ort dann ja auch die Verantwortung tragen, dass die sich an die nächste Instanz wenden können, ohne dass sie hinterher in ihrer eigenen Verwaltung einem Druck ausgesetzt sind.

    Engels: Herr Schmalstieg, es gibt doch den Vorschlag, dass man generell bundesweit einheitliche Sicherheitsstandards für Großveranstaltungen entwickeln muss und umsetzen muss. – Ist das nicht schon lang geschehen?

    Schmalstieg: Also, mit Sicherheit gibt es ganz klare Regelungen, die man zwar auf der einen Seite einheitlich hat und auch haben kann; auf der anderen Seite muss man natürlich die Lage und Situation vor Ort entscheiden: Kann man in einer Stadt in einer solchen Größenordnung mit einer Million oder mehr Menschen, wenn man damit rechnen muss, allein die Logistik organisieren? Und da muss man auch so, wie das die Bochumer Kollegin gemacht hat, muss man auch so solch einen Mut haben und sagen, nein, das geht bei uns nicht, so schade es auch vielleicht sein mag.

    Engels: Herbert Schmalstieg, SPD, über 30 Jahre lang war er Oberbürgermeister von Hannover. Vielen Dank für Ihre Einschätzung!