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"Verbesserungen kommen nicht schnell genug"

General a.D. Klaus Reinhardt, früher Oberbefehlshaber der internationalen Truppen im Kosovo, hat Verbesserungen in der Ausrüstung der in Afghanistan stationierten Soldaten gefordert. Besonders im Fernmeldebereich bestünden Defizite. Reinhardt forderte außerdem mehr Fahrzeuge, um die Soldaten ausreichend schützen zu können.

Moderation: Dirk Müller | 30.01.2008
    Müller: Die internationalen Einsätze der Bundeswehr, sie reichen vom Balkan über das Horn von Afrika bis zum Hindukusch. Jetzt geht es in Afghanistan wo möglich um eine neue militärische Dimension, um eine neue militärische Qualität. Eine schnelle Eingreiftruppe soll her, eine Kampftruppe; rund 250 Soldaten sind dafür vorgesehen.
    Was kommt konkret auf diese schnelle Eingreiftruppe in Afghanistan zu? - Am Telefon begrüße ich nun Klaus Reinhardt, General a.D., früher Oberbefehlshaber der internationalen Truppen im Kosovo. Guten Tag!

    Reinhardt: Grüß Gott Herr Müller!

    Müller: Zieht die Bundeswehr, Herr Reinhardt, demnächst in den Krieg?

    Reinhardt: Sie zieht nicht in den Krieg, aber sie stellt die Voraussetzung sicher, dass unsere Soldaten dort, wenn sie in Gefahr kommen, auch besser geschützt werden können als bisher.

    Müller: Das habe ich nicht verstanden. Bis jetzt konnten sie nicht gut geschützt werden?

    Reinhardt: Sie haben bis jetzt die Norweger dabei gehabt, die dann, wenn es Schwierigkeiten mit den Taliban gegeben hat, wenn es Schwierigkeiten mit den Aufständischen gegeben hat, unsere Soldaten geschützt haben - im Kampfeinsatz geschützt haben. Und wenn die Norweger abziehen, muss das eine andere Truppe machen.

    Müller: Könnte man da polemisch sagen, wie es einige hin und wieder mal formulieren, die Bundeswehr in Afghanistan ist nicht die Bundeswehr, sondern im Grunde eine Filiale des Technischen Hilfswerks?

    Reinhardt: Nein, das kann man mit Sicherheit nicht sagen. Die bisherigen Aufgaben, die sich auf Checkpoints und auf Patrouillen bezogen haben, waren natürlich mehr im Rahmen der örtlichen Sicherheit gedacht, während wenn es eine Quick Reaction Force gibt, die die Deutschen übernehmen, deren Einsatz viel stärker darauf ausgerichtet ist, tatsächlich einen Gegner, der diese Aufgabe zu unterbinden versucht, zu bekämpfen.

    Müller: Warum kommt dieser Einsatz und dieser Plan für die Deutschen so spät?

    Reinhardt: Weil wir bis jetzt die Norweger gehabt haben, die mit dieser Aufgabe sich einverstanden erklärten und sie sehr gut durchgeführt haben und die Deutschen diesen Auftrag bisher an die Norweger weitergegeben haben. Und nun kommen wir plötzlich in die Situation, dass die Norweger ihren Einsatz beenden. Das heißt das ist nicht plötzlich; das war von Vornherein so vorgesehen. Und die Frage ist: wer übernimmt? - Deutschland ist die Leitnation im Norden und hat damit die Aufgabe, für eine Nachfolge zu sorgen. Da ist natürlich die erste Frage: warum tut ihr es nicht selber?

    Müller: Also ist es richtig, dass sie es tut. Warum hat sie es nicht gleich gemacht?

    Reinhardt: Es war eine Frage des Austarierens der Möglichkeiten. Die Deutschen haben ja bereits über 3000 Soldaten dort im Einsatz und waren mit dem jetzigen Auftrag bis jetzt voll ausgelastet.

    Müller: Herr Reinhardt, das hört sich aus Ihrer Sicht aber so an: alles kein Problem!

    Reinhardt: Natürlich wird das ein Problem sein, aber ich sage mir: Wenn die Norweger ihre Kräfte abziehen und hier eine Lücke entsteht, muss einer diese Lücke, die für die Sicherheit unserer Soldaten entscheidend sein kann, füllen.

    Müller: Können die deutschen Soldaten mit ihrer Ausrüstung diese Lücke füllen?

    Reinhardt: Sie können diese Lücke füllen, aber sie haben ohne Zweifel Probleme in der Ausrüstung. Die Probleme liegen vor allen Dingen im Bereich der Fernmeldemittel, die kompatibel sein müssen mit den anderen Nationen, die dort oben auch im Einsatz sind. Es sind fehlende Aufklärungsmittel; es sind fehlende Mittel, Soldaten die eingeschlossen sind wieder rauszuholen. Hier muss mit Sicherheit sehr schnell nachgebessert werden und das muss ein Teil sein, der in der Vorbereitung der deutschen Truppe mit voll zur Berücksichtigung kommt.

    Müller: Jetzt reden wir, Herr Reinhardt, ja aber nicht über den Kundendienst von Sparkassen. Wir reden über die Bundeswehr, wir reden über Kampfeinsätze, wir reden über Gefechte, über Gewalt, mögliche Verletzte, mögliche Tote. Wie kann das sein, dass bei der Bundeswehr vor Ort etwas fehlt?

    Reinhardt: Die Bundeswehr hat seit langem im Rahmen der Transformation diese Dinge, die ich eben als negativ angesprochen habe, als unzureichend angesprochen habe, auf ihrer Liste. Sie hat ihnen aber mit Sicherheit nicht die Priorität, die hohe Notwendigkeit gegeben, die erforderlich wäre, den Truppen im Einsatz das Optimale in dieser Richtung zu geben. Da gibt es eine ganze Reihe von Gründen. Das sind Gründe, dass die Industrie manchmal nicht schnell genug liefern kann. Das sind aber auch Gründe, die in unterschiedlichen Vorstellungen der Teilstreitkräfte und der Nationen berücksichtigt sind. Ich kann Ihnen nur sagen: seitdem ich im Ausland bin, habe ich wieder und wieder gerade auf diesem Gebiet gefordert, dass die Verbesserungen kommen, aber sie kommen nicht schnell genug.

    Müller: Welche Verantwortung trägt die Politik?

    Reinhardt: Die Politik trägt natürlich die Verantwortung, dass sie die Prioritäten in diesem Bereich richtig setzt, und sie muss prüfen und sich vom Militär auch entsprechend vorrechnen lassen, ob das was wir in den Einsatz schicken ausreichend vorbereitet und ausreichend auch ausgerüstet ist.

    Müller: Hat die Politik, Herr Reinhardt, die Bundeswehr im Stich gelassen?

    Reinhardt: Nein. Das würde ich so auf gar keinen Fall sagen. Aber hier kommt eine Mixtur von unterschiedlichen Interessen zusammen und es kommt natürlich auch die Situation dazu, dass ein Teil der Mittel, die die Bundeswehr für diese Verbesserung ausgeben muss, nicht da sind, weil sie durch Großprojekte gebunden sind, die zulaufen, die vor 20 Jahren beschlossen worden sind und heute nicht mehr unbedingt der Notwendigkeit der asymmetrischen Kriegführung entsprechen.

    Müller: Inwieweit treten sich denn die verschiedenen Streitkräfte - Sie haben das Stichwort eben genannt - gegenseitig auf die Füße?

    Reinhardt: Das tun sie ohne Zweifel immer wieder, weil sie natürlich versuchen, ihre eigenen Möglichkeiten zu optimieren, ihre eigenen Führungs- und Aufklärungsmöglichkeiten zu optimieren. Hier muss meine ich viel stärker zusammengefasst, koordiniert, prioritätenübergreifend über die Streitkräfte festgelegt werden und da ist noch eine Menge zu tun.

    Müller: Also gibt es bei der Bundeswehr intern einen Kampf, einen Wettbewerb über die richtigen Mittel?

    Reinhardt: Den Kampf gibt es seitdem ich in der Bundeswehr gewesen bin und seitdem ich Planer in der Bundeswehr war. Es geht immer darum, den Kuchen, der nicht ausreichend ist, entsprechend zu verteilen. Da gibt es unterschiedliche Interessenlagen. Umso wichtiger ist es, dass von oben herab die Prioritäten gesetzt werden, dass die Jungs, die im Ausland sind, die optimale Sicherheit und die optimale Ausrüstung bekommen.

    Müller: Es geht ja in dieser Debatte, in dieser Auseinandersetzung gerade mit Blick auf den Einsatz in Afghanistan um Leben und um Tot. Ist es dann nicht fahrlässig, was bis jetzt passiert ist?

    Reinhardt: Ich würde das nicht als fahrlässig bezeichnen, denn bis jetzt haben sich für die bisherigen Aufträge, die die Bundeswehr dort durchgezogen hat, die Mittel als etwa ausreichend gezeigt. Wenn es aber jetzt in eine höhere Stufe der Eskalation geht, muss man mit Sicherheit sehr, sehr schnell nachbessern.

    Müller: Das heißt die Generalinspekteure, die bislang Verantwortung hatten, diese jetzt nicht mehr haben, haben korrekt gehandelt?

    Reinhardt: Ich kann keine Vorwürfe dahingehend machen, dass einer unkorrekt gehandelt hat, weil alle natürlich versuchen, aus dem was man hat das bestmögliche zu machen. Aber wir sehen eindeutig, dass wir an eine Grenze gekommen sind, wo man anhalten muss und sagen muss "ist das, was wir bis jetzt getan haben, für diese Einsätze ausreichend".

    Müller: Losgelöst, Herr Reinhardt, von der schnellen Eingreiftruppe: Die Soldaten, die bislang stationiert sind, die jetzt schon seit Jahren vor Ort sind, sind die ausreichend ausgestattet?

    Reinhardt: Der Soldat ist für seine persönliche Sicherheit gut ausgerüstet. Wir haben Fahrzeuge, die den Soldaten auch entsprechend gut schützen. Aber wir haben nicht ausreichend Fahrzeuge, um alle Soldaten ausreichend zu schützen. - Wir haben keine ausreichenden Fernmeldemittel, um im internationalen Bereich mit unseren Partnern - und wir gehen ja bis auf die Bataillons-Ebene in das Mixen von Nationen - sicherzustellen, dass diese Kräfte sich ausreichend miteinander abstimmen und miteinander sprechen können. Hier liegt eines der zentralen Defizite in der Ausrüstung der Streitkräfte, die verbessert werden müssen und die seit Jahren verbessert werden müssen.

    Müller: Ex-General Klaus Reinhardt war das live bei uns im Deutschlandfunk. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Reinhardt: Bitte sehr!