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Verbindliche Stresstests für Atomkraftwerke

EU-Kommissar Günther Oettinger stellt heute seine Pläne für EU-weite AKW-Stresstests vor. Alle sechs Jahre sollen die Meiler künftig Prüfungen unterzogen werden. Über deren Ausgestaltung gehen die Ansichten von Umweltschützern und Betreibern weit auseinander.

Von Eva Raisig | 13.06.2013
    Knapp sieben Monate ist es her, dass EU-Kommissar Günther Oettinger die Ergebnisse der Atomstresstests vorstellte und befand:

    "In der großen Mehrzahl der Atomkraftwerke kann man die Sicherheit erhöhen. Überall besteht Handlungspotenzial. Überall sind Nachrüstungsmöglichkeiten gegeben."

    In welcher Hinsicht auch politisch nachgerüstet werden kann in der nuklearen Sicherheitspolitik Europas, schlägt der EU-Kommissar nun in einem Papier vor, das er in knapp zwei Stunden der Öffentlichkeit präsentiert.

    Oettingers Vorschlag sieht vor, dass die europäischen Atomkraftwerke künftig alle sechs Jahre einem Stresstest unterzogen werden sollen. Allerdings ist geplant, dabei nicht alle denkbaren Risiken zu prüfen, sondern jeweils ein Notfallszenario, wie etwa Naturkatastrophen oder Flugzeugabstürze. Die Mitgliedstaaten sollen sich vor jedem Stresstest auf einen Risikoaspekt einigen. Sollte dies nicht gelingen, würde die EU-Kommission einen Schwerpunkt vorgeben. Unabhängig von diesen Tests sollen die Staaten außerdem mindestens alle zehn Jahre überprüfen, ob ihre alten Atomkraftwerke noch dem neuesten technischen Stand entsprechen.

    Wie schon bei den Stresstests nach dem Reaktorunglück im japanischen Fukushima gehen Kernkraftgegnern die geplanten Tests nicht weit genug. Auch der Vorschlag von EU-Kommissar Oettinger sei nur ein winziger Schritt in die richtige Richtung, sagt Jan Haverkamp, Berater für Kernenergie und Energiepolitik bei Greenpeace. Wichtige Überlegungen, wie konkrete Vorgaben für die einzelnen Atomkraftwerke und die Festlegung von Notfallplänen fehlten.

    "Diese Sachen werden überhaupt nicht angesprochen in dem Vorschlag der Kommission. Dann gibt es noch Terrorismussicherheit, Sicherheit gegen Sabotage, Sicherheit im Kriegsfall, auch die werden überhaupt nicht angesprochen in diesem Gesetz. Und da gibt es noch richtig große Löcher."

    Grundsätzlich neu an dem Vorschlag ist, dass die nun geplanten Stresstests für die Mitgliedstaaten verbindlich sein sollen. Das ist nicht selbstverständlich, liegen die Kernkraftwerke in Europa doch in nationaler Verantwortung. Für die Überprüfungen nach dem Unglück von Fukushima hatte es noch keine ausreichende europäische Rechtsgrundlage gegeben, die Teilnahme war daher freiwillig.

    Die Einrichtung einer neuen EU-Überwachungsbehörde sieht Oettingers Papier nicht vor.

    Doch sollte der Rat der Europäischen Union dem Vorschlag zustimmen und dieser in Kraft treten, käme der Kommission eine wichtige Rolle bei der Überprüfung der Atomkraftwerke zu. Nicht mehr AKW-Betreiber und nationale Behörden, sondern vor allem gemischte Teams aus EU-Kommission und Mitgliedstaaten wären für die Überprüfung zuständig. Das soll insbesondere auch für die Kontrollen gelten, die sich an die Stresstests anschließen und die sicherstellen sollen, dass die Staaten die empfohlenen Nachbesserungen umsetzen. Sollten einzelne Staaten dem nicht nachkommen, könnte die EU laut Oettingers Vorschlag Verfahren gegen sie einleiten und notfalls Strafzahlungen verhängen.

    Insgesamt, sagt Jan Haverkamp von Greenpeace, blieben die beschränkten Möglichkeiten der EU-Kommission aber bestehen. Zwar machten die Mitgliedstaaten in mancher Hinsicht kleinere Zugeständnisse, bei hohen und verbindlichen Standards müsse die Kommission aber letztlich immer wieder vor den nationalen Interessen zurückstecken. Daran ändere auch der neue Vorschlag wenig.

    "Der Text beinhaltet sehr oft das Wort 'redlich', also was redlich durchführbar ist. Mich macht das besorgt, denn genau dieser Unterschied zwischen 'die höchsten Standards' oder das, was 'redlich' akzeptabel ist, ist auch, was in Fukushima eine große Rolle gespielt hat."

    Für die EU-Kommission ist der Vorschlag als gesetzliche Grundlage ein großer Schritt in der 50-jährigen Geschichte der europäischen Atomkraft. Kritiker dagegen nennen ihn ein weiteres Beispiel Brüsseler Kompromisskultur.