Mittwoch, 24. April 2024

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"Verbotene Filme"
Konfisziertes Propagandakino der Nazis

Wie geht man mit dem kulturellen Erbe der NS-Zeit um? Immer wieder wird über Malerei, Bildhauerei oder Filmkunst im Dienst des Regimes debattiert. Der Regisseur Felix Moeller hat einen Dokumentarfilm über die sogenannten "Verbotenen Filme", also Originalkopien von Propagandafilmen gemacht.

Von Rüdiger Suchsland | 08.03.2014
    Der Filmregisseur Veit Harlan filmt 1954 auf dem Münchner Flughafen mit einer Schmalfilm-Kamera.
    Veit Harlans berüchtigter antisemitischer Film "Jud Süß" war von den Nationalsozialisten in Auftrag gegebene Propaganda (picture alliance / dpa / DB Göbel)
    "Hinter jeder dieser Segmente sind jeweils zwei Regalreihen, mit jeweils tausend Filmbüchsen. Da heißt cirka fünf Tonnen Nitrozellulose-Material, welches ja unter Sprengstoff zählt."
    Manchmal können Filme zu Bomben werden. Hier, in den Außenlagern des Bundesfilmarchivs lagert eine explosive Mischung. 1200 Filme wurden im Dritten Reich hergestellt, 300 von ihnen wurden nach Kriegsende von den Alliierten verboten.
    Nicht "verboten" aber unter Vorbehalt
    "Verboten", wie der Titel unterstellt, sind diese Filme heute auch in der Bundesrepublik keineswegs. Sie stehen nur unter Vorbehalt. Das heißt, sie dürfen nur im Rahmen wissenschaftlicher Tagungen, oder begleitet von der Einführung durch einen Experten vorgeführt werden. Wenn ein Kino diese Filme zeigen will, muss es eine solche Expertenbegleitung sicherstellen.
    Heute gibt es noch etwa 40 sogenannte "Verbotsfilme" - die anderen sind längst freigegeben. Veit Harlans antisemitischer "Jud Süß" ist der berüchtigtste unter ihnen, auch "Hitlerjunge Quex" mit Heinrich George ist darunter, oder der Durchhaltefilm "Kolberg".
    68 Jahre nach dem Ende der NS-Diktatur stellt sich die Frage, wie man mit diesem Teil des nationalen Filmerbes in Zukunft umgehen soll.
    Immer wieder geraten diese Vorbehalte in die Diskussion - zum einen gibt es einen moralisch-politischen Vorwurf: Ist auch ein Vorbehalt nicht Zensur, der genau das tut, was man der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft vorwirft?
    Warum sollte man die Filme noch in den Giftschrank stecken? Sind die Bürger der Demokratie nicht mündig genug, um selbst zu entscheiden was sie sehen wollen, und es zu beurteilen? Und zum anderen macht eine gesonderte Behandlung sie nicht erst recht interessant? Gibt sie ihnen nicht die Weihe des Bedeutsamen?
    Pragmatisches Argument: Jeder kann sie längst sehen
    Das mehr pragmatische Argument gegen die Vorbehaltsfilme lautet: Jeder kann sie längst sehen. Ganz legal auf YouTube, auf Webseiten, oder zuhause auf dem DVD-Player, wenn man sie im Ausland bestellt, oder von einer Reise mitbringt.
    Da ergibt sich dann das Problem, dass viele Details, mitunter gerade die entscheidenden, nicht gut zu sehen sind, oder sich deren Wirkung kaum entfaltet.
    Was also tun?
    Manche machen es sich einfach und haben eine klare Antwort: Etwa der Berliner Regisseur Oskar Roehler:
    "Ich glaube, es gibt sicher einen Wust von uninteressanten Sachen, aber so herausragende Propagandabeispiele, die sind ja einfach interessant."
    Interessant ist natürlich alles Mögliche. Oskar Roehler hat mit seinem "Jud Süß" einer Geschichte über die Dreharbeiten des Hetzfilms selbst erlebt, wie leicht scheinbar Offenkundiges missverstanden werden kann, und dass das "Interessante" keineswegs immer allen Zuschauern Grund genug ist, sich mit einem Stoff ernsthaft auseinanderzusetzen.
    Der Berliner Regisseur Felix Moeller, der vor ein paar Jahren den hervorragenden Dokumentarfilm "Harlan - im Schatten von Jud Süß" gedreht hat, und ein Buch über Josef Goebbels als Filmminister schrieb, der sich also gut auskennt mit den Tricks, den Wirkungen, und den Gefahren der NS-Propaganda, führt jetzt die Diskussion in seinem neuen Film weiter.
    Neugierige und unparteiische Dokumentation
    Moeller tut das, was jeder gute Dokumentarfilm tun sollte: Er erforscht eine Angelegenheit neugierig und unparteiisch, ohne vorzuverurteilen.
    So kommt er über sein Thema, das zunächst einmal wie eine kulturpolitische Spezialität wirken könnte, auf tiefere, grundsätzlichere Fragen: Wie wirkt überhaupt Propaganda? Wo fängt sie an?
    "Wissen vorenthalten - weiß ich nicht, ob das so schlau ist."
    Oskar Roehler plädiert in Möllers Film für eine Freigabe der wichtigsten Propagandafilme. Er erinnert auch daran, dass die inkriminierten Filme mit ihrem frivolen Ruch des Verbotenen immer schon "in der Szene" kursierten: in den 1980er-Jahren in Klubs und Off-Kinos, heutzutage im Internet.
    "Natürlich kann man sagen: Was soll denn an diesen Filmen noch gefährlich sein? Bei diesen Filmen reden wir auch mit einer bestimmten moralischen Haltung",
    sagt Ernst Szebedits, der Chef der bundeseigenen Murnau-Stiftung, die die Rechte auf den Vorbehaltsfilmen hält.
    Möller stellt auch einige der Filme näher vor. Denn keineswegs ist Propaganda immer plump. In dieser Szene aus "Hitlerjunge Quex" zeigt sich, wie unterhaltsam infame Ideologie daherkommen kann.Möllers Film schildert ein Dilemma, aus dem es keinen Ausweg gibt: In der Demokratie sollen alle Bürger gleichviel wissen, Experten wissen aber am Ende doch oft mehr.
    Dringendes Plädoyer
    Insofern kann man seinen Film nur als dringendes Plädoyer dafür verstehen, über die Vorbehaltsfilme zu reden - was immer dann geschieht, wenn Experten im Kino die Diskussion über sie moderieren. Sie statt nach politischen Prinzipien ganz den Gesetzen des freien Markts zu unterwerfen, wollen viele weiterhin nicht verantworten. Mit guten Gründen.