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Verbraucher-Typologie
Verantwortungsvoll, verletzlich, vertrauend

Immer wieder sprechen Politiker vom "mündigen Verbraucher", dem Idealbild des deutschen Konsumenten, der sich über Inhaltsstoffe und Produktionsbedingungen informiert und Preise vergleicht. Da es in der Realität den einen deutschen Konsumenten nicht gibt, haben Soziologen und Verbraucherschützer nun eine Typologie erstellt – mit erstaunlich sentimentalen Charakteren.

Von Rolph Ahrens | 30.09.2014
    "Jeder möchte natürlich ja den mündigen Verbraucher, die mündige Verbraucherin haben. Wir alle ja glauben und wollen ja auch, dass wir frei informiert entscheiden können. Die Frage ist nur, ob wir das wirklich tun im Alltag. Und ob wir das tun können."
    Fragt Christoph Strünck, Sozialwissenschaftler an der Universität Siegen. Seine Antwort heißt "nein":
    "Ich glaube, fast jeder von uns interessiert sich für bestimmte Produkte, wo er sich extrem gut informiert, wo er Dinge anschaut, vergleicht. Aber in vielen anderen Bereichen tun wir das nicht. Wir haben nicht die Zeit, wir haben nicht die Kenntnisse und dann machen wir irgendetwas anderes."
    Verbraucherpolitiker dürfen also nicht davon ausgehen, dass Verbraucher immer kompetent entscheiden. Sinnvoll sei für Politiker etwa, zwischen verantwortungsvollen, verletzlichen und vertrauenden Verbrauchern zu unterscheiden, erklärt Christoph Strünck.
    Da ist etwa der verletzliche Verbraucher, der seine Energiekosten nicht bezahlen kann und zu Hause weder kochen noch Wäsche waschen kann. Hier hilft konkretes Handeln, meint Petra Maier von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen.
    "Da gibt es erste Ansätze, wo in einem kleinen Projekt in NRW den Leuten geholfen wird, wie man in eine Art Schlichtung kommt, um zu gucken, wie kann zum einen auf der finanziellen Seite zum einen, was kann da getan werden, gibt es Energiespartipps, die umgesetzt werden können, wie kann man auch die Forderungen so machen, dass es für beide Seiten in Ordnung ist. Und da muss Leuten auch einfach geholfen werden."
    Die meisten Verbraucher haben blindes Vertrauen
    Der verantwortungsvolle Verbraucher, der durch sein Kaufverhalten etwa die nachhaltige Entwicklung unterstützen will, braucht dafür Transparenz.
    "Der möchte entscheiden können, kommen die Sachen aus der Region. Was ist überhaupt die Region? Wie wird das überprüft? Wie sind die Systeme dahinter?"
    Er braucht möglichst vollständige Aufklärung etwa über Inhaltsstoffe von Lebensmitteln, Spielzeugen und Kleidung aber auch über Details von Krediten und Versicherungen. Das umzusetzen, ist gar nicht einfach, sagt Petra Maier:
    "Die Frage ist: Was ist gute Information, die ja auch für jeden etwas anderes bedeuten kann? Von daher ist es wichtig, da gute Lösungen zu finden, damit man auch den Leuten viel an die Hand geben kann – auf der Basis, einfache Entscheidungen zu treffen. Denn ich will nicht aus jeder Entscheidung eine Doktorarbeit machen müssen."
    Doch die meisten Bürger seien vertrauende Verbraucher, so der Siegener Christoph Strünck.
    "Wir vertrauen darauf, dass der Anbieter schon uns was Anständiges anbietet oder wir gucken uns mal die Stiftung Warentest an, gucken, was die so schreiben. Also, wir vertrauen auf irgendjemanden, der uns schon sagen kann, was ein für uns gutes Produkt ist. Wir suchen es uns aber eben nicht selber aus – in dem Sinne."
    Diesem Verbrauchertyp würden mehr 'Marktwächter' helfen, die die Anbieter kontrollieren, sowie 'Informations-Lotsen' – also Institutionen, die unabhängig von Anbietern über Lebensmittel, Lebensversicherungen und andere Produkte aufklären. Zu solchen Lotsen zählt Christoph Strünck die Stiftung Warentest, die Verbraucherzentralen sowie vertrauenswürdige Webportale.
    Forscher: den deutschen Verbraucher nicht überschätzen
    Vertrauende Verbraucher müssen besonders bei Kaufentscheidungen im Internet geschützt werden, ergänzt Petra Maier:
    "Die Unternehmen wollen möglichst viele persönliche Daten. Und um das zu ändern, muss ich schon fast ein kleines Diplom haben, um die Einstellungen auch zu finden, dass meine persönlichen Daten geschützt werden."
    Helfen würde es, wenn die automatischen Voreinstellungen in jedem Internetportal – beispielsweise auch bei sozialen Netzwerken – keine persönlichen Daten preisgegeben werden. Danach soll sich jeder dann selbst entscheiden können, wie viele Informationen er von sich bekannt macht, so die Verbraucherschützerin.
    Auf der Bonner Verbrauchertagung präsentieren Fachleute zwar nur Ansätze und keine fertigen Lösungen. Doch der Sozialwissenschaftler Christoph Strünck fordert Politiker auf, Gesetze erst zu verabschieden, wenn sie geprüft haben, wie sich die neuen Regeln auf verletzliche, auf verantwortungsvolle und auf vertrauende Bürger auswirken.
    "Sie wollten sich darüber im Klaren sein, dass man nicht so einfach sagen kann, die Verbraucherin, der Verbraucher sind kompetent und können auswählen, sondern sich vorher darüber Gedanken macht, wann sie das können und wann sie es eben nicht so gut können."