Donnerstag, 25. April 2024

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Verbraucherschützer verlangen erweiterte Kennzeichnung von Gen-Food

Klaus Remme: Die Reaktionen auf die neue Kennzeichnungspflicht für genetisch veränderte Lebensmittel könnten unterschiedlicher nicht sein. Sie reichen von denjenigen, die solche Hinweise für Panikmache halten, bis zu denen, die ein neues Zeitalter für Verbraucher angebrochen sehen. Fakt ist: Seit gestern gilt die Kennzeichnungspflicht. Cornflakes, Ketchup, Schokolade, diese Produkte zum Beispiel könnten in Zukunft einen entsprechenden Vermerk tragen. Doch wer heute schon danach sucht, der wird wohl enttäuscht werden. Zunächst dürfen die Regalbestände noch verkauft werden, und darüber hinaus wissen die Händler, dass die Verbraucher in Deutschland in Sachen Gen-Food skeptisch sind. Fakt ist auch: Die neue Regelung hat große Lücken. Die wichtigste: Bei tierischen Produkten wie Fleisch, Milch, Eier und Käse muss nicht kenntlich gemacht werden, ob gentechnisch verändertes Futter bei der Aufzucht der Tiere genutzt wurde. Am Telefon ist Thilo Bode, Geschäftsführer der Verbraucherorganisation Foodwatch. Herr Bode, was wird sich denn durch diese Regelung im Verbraucheralltag ändern?

Moderation: Klaus Remme | 19.04.2004
    Thilo Bode: Bei einem kleinen Bereich von Nahrungsmitteln kann der Verbraucher auswählen, weil es diese Kennzeichnungspflicht gibt. Allerdings, wie Sie schon gesagt haben, ist diese Wahlfreiheit extrem eingeschränkt. Bei den wichtigsten Produkten, Milch, Fleisch und Eier, ist diese Kennzeichnungspflicht nicht gegeben. Das ist der wichtigste Bereich, weil 80 Prozent aller gentechnologisch veränderten Pflanzen in die Futtermittel gehen. Das ist also der größte Packen. Hier muss nicht gekennzeichnet werden, und hier kann der Verbraucher durch seine Kaufentscheidung nicht diese Technologie ablehnen oder annehmen.

    Remme: Also eine Regelung ohne Substanz?

    Bode: Eine Regelung ohne Substanz, denn es ist ja auch so, dass die Produkte nur gekennzeichnet werden müssen, wenn sie mehr als 0,9 Prozent Gentechnik enthalten. Also eine völlige Vermeidung für die Verbraucher ist nicht gegeben, und deshalb ist es auch nicht richtig, von einer neuen Episode oder von Wahlfreiheit zu reden.

    Remme: Verbraucherschutzorganisationen haben ja im Vorfeld erfolgreich die Trommel gerührt, wenn man auf die Meinungsumfragen zu Gen-Food schaut. Was spricht eigentlich gegen die Versuche, Pflanzen mittels Gentechnik resistenter zu machen?

    Bode: Um es kurz zu machen, das ist natürlich umstritten, was die Gesundheitsauswirkungen anbelangt. Was die ökologischen Effekte betrifft, so meine ich, dass sie sehr negativ sind. Andere sagen, es ist positiv. Aber hier geht es ja um etwas anderes. Es geht um die Frage, weil diese Debatte so heiß geführt wird, hat der Verbraucher die Möglichkeit, selber die Entscheidung zu treffen, und wenn ihm diese Möglichkeit genommen wird, dann wird ihm ja eine Technologie aufoktroyiert, und dagegen wehren sich die Verbraucherverbände und auch wir als Foodwatch.

    Remme: Gibt es denn bisher nachweislich Hinweise darauf, dass genetisch veränderte Lebensmittel krank machen?

    Bode: Es gibt verschiedene Studien. Die einen sind dafür, die anderen sind dagegen. Es gibt insbesondere Studien, die die ökologische Nachteiligkeit belegen, weil hier ja insbesondere eine extreme Verarmung der Sortenvielfalt stattfindet. Das ist in der Landwirtschaft generell ein großes Problem. Aber noch mal: Es ist eine lange Debatte, und man wird wahrscheinlich noch jahrelang darüber streiten. Deshalb müssen die Verbraucher die Möglichkeit haben, selber die Entscheidung zu treffen. Es ist ja bei vielen Technologien so, auch bei vielen Chemikalien, dass der letzte Nachweis vielleicht gar nicht erbracht werden kann und dass es eine Wertentscheidung ist, und diese Wertentscheidung muss man allerdings auch ermöglichen.

    Remme: Aber wird nicht durch die Skepsis der Verbraucher hier der neuen Technologie eine Chance genommen, wenn wir auf die Probleme der Unterernährung schauen?

    Bode: Also mittlerweile geben auch die Vertreter der Gentechnologie zu, dass Gentechnologie kein Mittel ist, um den Welthunger zu beseitigen. Die Gentechnologie, wie sie heute ist, besteht eigentlich nur aus zwei Arten. Einmal werden Pflanzen resistent gemacht gegen Herbizide, und einmal haben sie ein Insektenvertilgungsmittel eingebaut. Das wird aber nicht zu mehr Produktion auf der Welt führen. Deshalb ist dieses Argument völlig wertlos.

    Remme: Wenn Sie jetzt sagen, das ist eine Regelung ohne Substanz, da eben tierische Lebensmittel ausgenommen sind, wie kann der Weg weitergehen zu einem wahren Verbraucherschutz?

    Bode: Also es muss natürlich so sein, dass die deutsche Regierung sich nicht nur verbal, sondern auch tatsächlich für eine Erweiterung der Kennzeichnung einsetzt. Hier nutzt sie bei weitem nicht die Spielräume, die sie hat, denn sie hat ja auch die Möglichkeit, national mit Kennzeichnungen voranzugehen. Zweitens können die Verbraucher natürlich Gentechnologie im Futter vermeiden, wenn sie konsequent ökologische Nahrungsmittel aus dem tierischen Bereich kaufen. Drittens müssen sich die Verbraucher zusammenschließen. Wir dürfen ja nicht vergessen, dass die Kennzeichnung überhaupt nur zu Stande gekommen ist, weil Verbraucher sich gewehrt haben. Das ist nicht so, dass die Politik hier vorangegangen ist, sondern verschiedene Gruppen haben sich gewehrt und haben hier für ihre Rechte gestritten. Wir von Foodwatch üben zur Zeit Druck auf große Fleischverarbeiter aus, zum Beispiel McDonalds mit der Aktion "Burgerbewegung", und McDonalds hat schon angedeutet, dass sie auch auf gentechnikfreies Futter für die Tiere, aus denen die Hamburger gemacht werden, umsteigen wollen. Es geht nur, wenn die Verbraucher sich wehren. Allein ist der Verbraucher allerdings ein Zwerg, nur zusammen sind sie ein Riese.

    Remme: Ist denn der Weg zu gentechnikfreien Futtermitteln nicht schon durch die Praxis verbaut?

    Bode: Überhaupt nicht. 95 Prozent der Agrarfläche in der Welt sind noch gentechnikfrei. Es gibt natürlich auch gentechnikfreies Soja in Hülle und Fülle. Es ist nur eine Frage der Nachfrage. Der Markt wird nur reagieren, wenn die Nachfrage entsprechend stark ist, sonst sagen sie sich, es ist einfacher, auf das Gentechnikfutter umzusteigen. Es ist ja unwesentlich billiger. Also wir haben ausgerechnet, wenn jetzt Hamburger sozusagen mit gentechnikfreiem Futter hergestellt würden, würde der Hamburger um etwa 1 Cent teurer.

    Remme: Wie weit ist denn der Zusammenschluss der Verbraucher gediehen? Sie haben jetzt gerade gesagt, wir müssen uns wehren, wir Verbraucher müssen uns formieren. Ist das ein Appell in Deutschland, oder geht es darüber hinaus?

    Bode: Also generell wehren sich die Verbraucher ja zunehmend, auch weltweit. Wir haben in China Verbraucherorganisationen. Verbraucherschutz hat etwas zu tun mit Demokratie, mit Recht auf Information, mit Recht auf Wahlfreiheit, mit Recht auf Einfluss. In Deutschland gibt es verschiedene Umweltgruppen, die Verbraucherzentralen und neue Organisationen wie Foodwatch, und hier können sich die Leute anschließen, bei uns zum Beispiel auf der Website www.foodwatch.de, und können dann sich mit Organisationen zusammentun, die für ihre Ziele eintreten. Also da gibt es mittlerweile genug Möglichkeiten, und Aktionen der Verbraucherverbände haben ja auch schon gezeigt, dass das durchaus wirksam ist. Nestle hat vor einigen Jahren versucht, einen Gentechnikriegel auf den Markt zu bringen. Den haben die Verbraucher abgelehnt, und seitdem sind die Konzerne und auch die Supermärkte sehr vorsichtig geworden.

    Remme: Vielen Dank für das Gespräch.