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Verbrauchskontrolle per Internet

Er ist eine Legende, ein Zeuge aus dem vorletzten Jahrhundert. Robust, unscheinbar, schwarz, seine Aluminiumscheibe läuft und läuft, zuverlässiger als ein VW Käfer. Er ist ein Kellerkind, jeder kennt ihn, aber kaum jemand kennt seinen Namen: Ferraris-Zähler. Strom misst er seit Generationen in deutschen Kellern und Fluren, sein Erfinder und Namensgeber der italienische Physiker und Ingenieur Galileo Ferraris starb bereits 1897. Jetzt scheint auch die Zeit für seine langlebigste Erfindung abgelaufen. Ein elektronischer Zähler soll die stoische Metallkiste ersetzen.

Von Patricia Noll | 03.07.2007
    Der drittgrößte deutsche Energieversorger ENBW will aufräumen in deutschen Kellern, und mit einem intelligenten Zähler Transparenz in die Stromrechnungen bringen. 1000 Pioniere sollen den kleinen sillbergrauen Kasten mit dem Bullaugendesign testen. Uli Huener, ein Geschäftsführer der ENBW-ServiceGmbH zu den Pioniereigenschaften die man mitbringen sollte:

    "Das ist relativ einfach, er sollte 1. ENBW Kunde sein, 2. bevorzugt Kunden, die ein Einfamilienhaus haben, dass es sich auch lohnt, auf den Stromverbrauch genau drauf zu schauen. 3. sollte eine DSL-Infrastruktur vorhanden sein, am besten mit Flatrate."

    Und was haben die Testkunden davon? Einen Überblick über ihren Stromverbrauch, online versteht sich. Alle zwei Sekunden sendet der neue digitale Zähler ein Signal ans lokale Netzwerk, die aktuelle Verbrauchssituation wird alle 15 Minuten an einen zentralen Server der ENBW geschickt. Über ein Web-Portal kann so jeder Versuchsteilnehmer seinen Stromverbrauch kontrollieren, überwachen und im Idealfall reagieren. Uli Huener wird das vielleicht nicht täglich tun, aber:

    "Ich will wissen, was bei mir nachts los ist, mit den alten Zählern konnte ich das nicht. Jeden Tag werde ich vielleicht nicht schauen, aber vielleicht einmal pro Woche. Dass ich dann weiß, wo ich Abhilfe schaffen kann, was ich selbst tun kann."

    Spieltrieb und ein gewisses Maß an Technikverliebtheit werden die digital vernetzten Einsteigerhaushalte wohl mitbringen. In erster Linie aber vielleicht Sparsamkeit und Umweltbewusstsein. Bis zu 1000 Watt zieht ein Kaffeevollautomat alle 30 Sekunden - auch im Leerlauf! 22 Milliarden Kilowattstunden, umgerechnet vier Milliarden Euro fressen elektronische Geräte im Standby-Betrieb Jahr für Jahr, schätzt das Umweltbundesamt. Und manche Geräte ziehen sogar noch Strom, wenn sie abgeschaltet sind. Computer zum Beispiel. Diesen heimlichen Stromfressern soll der intelligente Zähler demnächst ganz einfach auf die Spur kommen. Projektleiter Stefan Heeg:

    "Digitalstrom ist da ein Stichwort, so dass wir wirklich sehen können: im Moment läuft ihre Waschmaschine, Spülmaschine oder sie bügeln gerade. Und wir machen Ihnen das transparent, wo sie Strom sparen können."

    All das sind Funktionen, die die ENBW mit den "Pionieren" zusammen entwickeln will, momentan wird erstmal der allgemeine Verbrauch gemessen. Trotzdem soll es schon bald eine SMS aufs Handy geben können, wenn die Grundlast radikal absinkt. Vielleicht ist dann die Gefriertruhe defekt? Ein schnelles Handeln könnte sinnvoll sein, bevor alles auftaut. Und in Zukunft? Kann man dann mobil sehen, ob die Kinder gerade zuhause fernsehen, der Whirlpool eingeschaltet wird? Uli Huener sieht die Gefahr des "Gläsernen Konsumenten" gelassen:

    "Nüchtern betrachtet ist es nichts anderes, als das, was im Telekommunikationsmarkt seit Jahren Usus ist, wo Daten abgelegt werden, die der Kunde auch haben will. Jede Einzelabrechnung mit Einzelverbindungsnachweis gibt dem Kunden Transparenz über Telefonnummern und Uhrzeiten. Beim Strom ist es noch weiter weg, da sollte man die Kirche im Dorf lassen. Für uns steht im Vordergrund, was nützliches für unsere Kunden zu tun, daran arbeiten wir und das motiviert uns."

    Die Verbraucherzentralen beobachten momentan in Ruhe, was kommt. Was der neue Stromzähler wirklich bringt, welche Datenschutzrisiken er wirklich birgt, weiß momentan noch niemand. Strom sparen, Umweltbewusstsein, Klimaschutz und ein bisschen mehr Big Brother. Aber das ist vielleicht der Preis - denn immerhin locken dann günstige Tarife, zum Beispiel für Nachtstrom. Der ist günstiger, auch jetzt schon, allerdings ist meinem Zähler momentan recht egal, zu welcher Tages- und Nachtzeit sich seine Scheibe dreht. Unterscheiden sollte er können:

    "Ihr Schätzchen aus dem Jahr 1958 kann das sicher nicht, ein Grund mehr, sich einen intelligenten Zähler zu beschaffen. Die können das sehr wohl."

    Die Evolution hat wohl auch ihn eingeholt, den Ferraris-Zähler. Ein halbes Jahrhundert lang wird sein Nachfolger wohl nicht mehr halten. Moderne Geräte-Halbwertszeiten liegen deutlich darunter. Ein bisschen Wehmut mischt sich also in den Pioniergeist um den intelligenten Stromzähler. Aber umso mehr Erleichterung - denn schließlich müssen wir dann im Urlaub nie mehr zittern, ob wir das Bügeleisen auch tatsächlich ausgemacht haben. Wir rufen es einfach kurz an.